Ein Rechtsanwalt verschickt versehentlich statt der Berufungsbegründung ein anderes Schreiben ans Gericht, die Berufung verfristet. Hätte das Gericht den Anwalt auf das Versehen hinweisen müssen? Nein, so der Bundesgerichtshof.
Seine Sekretärin hatte Urlaub, also nahm der Rechtsanwalt die Sache selbst in die Hand: Rechtzeitig, sogar zwei Wochen vor Fristablauf, verschickte er die Berufungsbegründung im Namen seines Mandanten per besonderem elektronischem Anwaltspostfach (beA) an das zuständige Landgericht (LG) Zwickau. Zumindest dachte er das.
In Wirklichkeit jedoch landete im Posteingang des LG nicht die Begründung der (zuvor fristgerecht eingelegten) Berufung, sondern eine E-Mail an den Mandanten mit einer für diesen bestimmten, angehängten Kostenrechnung. Das LG zog aus dem Versehen des Anwalts zunächst keinerlei Schlüsse, wies ihn später aber nach Fristablauf darauf hin, dass eine Berufungsbegründung nicht eingegangen sei und es deshalb eine Verwerfung der Berufung beabsichtige.
Der Anwalt reichte daraufhin die Begründung nach und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Begründung: Das Gericht hätte ihn auf sein offenkundiges Versehen hinweisen müssen und ihm so im Rahmen der schließlich zu diesem Zeitpunkt noch laufenden Frist die Einreichung der Berufungsbegründung noch ermöglichen können.
"Fürsorgepflicht sind Grenzen gesetzt"
Doch sowohl das Oberlandesgericht Dresden als auch jetzt der BGH lehnten eine Wiedereinsetzung zugunsten des Anwalts ab. In einem am Freitag veröffentlichten Beschluss stellte der VIII. Zivilsenat des BGH vielmehr klar, dass das LG Zwickau keine gerichtliche Fürsorgepflicht treffe, es den Anwalt also auch nicht auf sein Missgeschick habe hinweisen müssen (Beschl. v. 11.02.2025, Az. VIII ZB 65/23).
Zwar sei grundsätzlich anerkannt, dass eine solche Fürsorgepflicht aus dem Gebot des fairen Verfahrens in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip folgen könne. Ein Gericht sei jedoch nur unter besonderen Umständen gehalten, einer drohenden Fristversäumnis seitens einer Partei entgegenzuwirken. Einer gerichtlichen Fürsorgepflicht seien im Interesse der Funktionsfähigkeit der Justiz Grenzen gesetzt, so der BGH.
Im vorliegenden Fall hatte sich der Anwalt auf den Standpunkt gestellt, dass es für das Gericht doch hätte offensichtlich sein müssen, dass eine E-Mail an den Mandanten inklusive Kostennote nicht für das Gericht bestimmt sein könne. Da als einzige Frist in dem betreffenden Verfahren nur noch die Berufungsbegründungsfrist lief, hätte dem LG doch auch klar sein müssen, dass er eigentlich den Schriftsatz der Berufungsbegründung an das Gericht hätte übermitteln wollen, so der Anwalt.
"Verantwortung der Ausgangskontrolle nicht auf Gerichte verlagern"
Dieser Argumentation vermochte der BGH aber nicht zu folgen: Für das LG sei es nicht "offen zutage" getreten, dass in Wirklichkeit der Schriftsatz mit der Berufungsbegründung hätte übermittelt werden sollen und die Auswahl des übersandten elektronischen Dokuments offenkundig auf einem Versehen beruhen musste. "Das Berufungsgericht musste den Umstand, dass überhaupt ein Schriftsatz der Klägerseite eingegangen ist, nicht ohne Weiteres mit dem vorliegend noch mehr als 14 Tage später anstehenden Ablauf der Berufungsbegründungsfrist in Zusammenhang bringen", so die Kammer.
Auch das in der E-Mail an den Mandanten verwendete interne Kanzlei-Aktenzeichen bzw. die sich auf die Berufung erstreckende Kostennote seien keine Umstände, "die auf die beabsichtigte Einreichung eines Schriftsatzes mit der Berufungsbegründung hindeute", so der BGH. Würde man anderes von einem Gericht erwarten, liefe dies "auf eine weitgehende Verlagerung der Verantwortung für die Ausgangskontrolle von dem dafür zuständigen Absender auf das Gericht und damit auf eine Überspannung der gerichtlichen Fürsorgepflicht hinaus."
Im Übrigen sei der Fall auch nicht mit Fallgestaltungen zu vergleichen, in der die Rechtsprechung bereits Hinweispflichten zugunsten der Anwälte angenommen hatte, etwa wenn ein Schriftsatz versehentlich bei einem unzuständigen Gericht eingegangen ist. In einem derartigen Fall, so der BGH, müsse das Gericht, nachdem es die eigene Unzuständigkeit bemerkt habe, davon ausgehen, dass etwaige Vorkehrungen gegen derartige Fehler in der Anwaltskanzlei gescheitert seien und "dass die für die Einhaltung der formellen Anforderungen an ihren Schriftsatz verantwortliche Prozesspartei eben deshalb keinen Anlass für weitere Anstrengungen zur Fristwahrung hat."
Urlaubsabwesenheit des Personals entbindet Anwalt nicht von persönlicher Pflicht
Wie bereits in diversen früheren Entscheidungen ermahnte der BGH auch diesen Anwalt zur Sorgfalt und einer akribischen Ausgangskontrolle bei der elektronischen Übermittlung von Dokumenten.
Ein Rechtsanwalt habe durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt wird und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. "Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittelfristen auszuschließen", so der BGH.
Zwar dürfe er auch die Ausgangskontrolle auf zuverlässiges Personal übertragen und brauche sie nicht selbst vorzunehmen. Fehle das Personal aber wie im vorliegenden Fall etwa wegen Urlaubs, müsse er auch selbst für eine wirksame Ausgangskontrolle Sorge tragen. Dass er diese überhaupt vorgenommen habe, sei seinem Vorbringen im Wiedereinsetzungsgesuch jedoch überhaupt nicht zu entnehmen gewesen.
Infolge seiner Nachlässigkeit drohen dem Anwalt nach diesem BGH-Beschluss nun Haftungsansprüche seitens der Mandantschaft.
BGH verneint Wiedereinsetzung: . In: Legal Tribune Online, 21.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56844 (abgerufen am: 22.04.2025 )
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