BGH verlangt Nachweis über fünf Jahre Anwaltstätigkeit: Nur noch mit eides­statt­li­cher Ver­si­che­rung in den Kam­mer­vor­stand?

von Pia Lorenz

17.10.2018

Die Wahl zum Berliner Kammervorstand 2015 wird nicht weiter angegriffen, eine Anfechtungsklage wurde für erledigt erklärt. Aber der BGH hat neue Anforderungen aufgestellt. Die könnten noch mehr Anwälte davon abhalten, sich ehrenamtlich zu engagieren. 

Das gefiel nicht allen. Zwei Berliner Anwälte erhoben vor dem Anwaltsgerichtshof (AGH) Klage gegen die Wahl der acht Syndikusanwälte, hilfsweise gegen die Wahl aller 14 Vorstandsmitglieder. Die Wahl sei unwirksam, so die Kläger, wegen unzulässiger Wahlbeeinflussung durch Verbände, zudem seien die Syndizi nach dem damals geltenden Recht gar keine Anwälte im Sinne des § 65 Nr. der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und damit auch nicht wählbar gewesen, argumentierten sie.

Ihre Anfechtungsklage, die der Berliner AGH abgewiesen hatte, ist nun endgültig vom Tisch: Am Montag haben sich die Parteien  in der mündlichen Verhandlung vor dem Anwaltssenat beim Bundesgerichtshof (BGH, Az. Anwz BrfG 2/17) auf einen Prozessvergleich geeinigt. Das Verfahren wurde mit Blick auf die im März 2019 anstehende nächste Wahl zum Kammervorstand in der Hauptstadt für erledigt erklärt, ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse verneinte der Anwaltssenat. Seine Kosten trägt jeder selbst.  Diese etwas überraschende Wende beruht auf einem Hinweis der Karlsruher Richter, der künftig einen Mehraufwand für die Aufstellung der Wahllisten für die Kammerwahlen bedeuten könnte.

Bei Zweifeln: Fünf Jahre praktische anwaltliche Erfahrung nachweisen

Mit der neuen Wahl heiße es für alle neues Spiel, neues Glück, so der Senat. Bis März 2019 sei aber die Sachverhaltsaufklärung, die es für eine Fortsetzung des Wahlanfechtungsverfahrens bräuchte, nicht mehr zu leisten, erklärten die Anwaltsrichter. Und stellten dabei klar, dass die beigeladenen Syndizi, aber auch andere gewählte Anwälte darlegen müssten, dass sie vor der Wahl praktisch anwaltlich tätig waren.

Nach § 65 Abs. 2 Nr. 2 Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) kann in den Vorstand der örtlichen Anwaltskammer gewählt werden, wer den Beruf eines Rechtsanwalts seit mindestens fünf Jahren ohne Unterbrechung "ausübt".

Während man sich bis zum Montag eher darüber stritt, ob die aufgestellten Unternehmensjuristen nach altem Recht, also vor dem Inkrafttreten des Syndikusreform-Gesetzes anwaltlich tätig waren, formulierte der Senat am Montag neue Maßstäbe: Die Zulassung zur Anwaltschaft und damit die fünfjährige Mitgliedschaft in der Kammer allein genügten nicht. "Im Hinblick auf das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel einer notwendigen Mindesterfahrung an praktischer Expertise genügt für die Wählbarkeit nicht die bloße Zulassung zur Anwaltschaft", formulierte der Senat in seinem Vorspann vor dem Vergleich.

Vielmehr müsse, wer sich zur Wahl aufstellen lasse, nachweisen, dass er tatsächlich seit mindestens fünf Jahren eine anwaltliche Tätigkeit ausgeübt hat, so die Anwaltsrichter. Die in der Literatur vertretene Auffassung, dass die anwaltliche Tätigkeit der Mittelpunkt der Arbeit sein müsse, lehnte der Senat ausdrücklich ab. Bei Zweifeln an der Ausübung der anwaltlichen Tätigkeit aber müssten die Kammern Nachweise einer gewissen praktischen Erfahrung verlangen.

BUJ wünscht sich Prüfung für alle Kandidaten

So muss auch ein Syndikusrechtsanwalt, will er sich aufstellen lassen, nachweisen, dass er fünf Jahre lang anwaltlich tätig war. Gelingt ihm das, genügt das laut dem Senat – und zwar auch für die Zeit vor dem Inkrafttreten des Syndikusreform-Gesetzes 2016, wenn die nach der damaligen Rechtsprechung erforderlichen vier Kriterien für eine anwaltliche Tätigkeit erfüllt waren.

Einen über die bloße Zulassung hinausgehenden Nachweis einer anwaltlichen Tätigkeit sieht der Bund der Unternehmensjuristen (BUJ) an sich noch nicht allzu kritisch, sagte die Leiterin der Hauptstadtrepräsentanz, Ina Vogt, auf Nachfrage von LTO - sofern die Anforderung auch für die niedergelassenen Anwälte gelten soll: "Der BUJ möchte, dass diese Voraussetzungen im Sinne einer einheitlichen Anwaltschaft auch bei niedergelassenen Anwälten geprüft werden."

Der Geschäftsführer der Kölner Anwaltskammer, Martin W. Huff, fragt sich in einer ersten Analyse der Ausführungen des Anwaltssenats, ob bei zugelassenen Syndikusrechtsanwälten und in Kanzleien angestellten Rechtsanwälten Zulassung und das Bestehen eines Arbeitsvertrags über eine anwaltliche Tätigkeit dennoch ausreichend sind. "Bei Syndikusrechtsanwälten könnte dies unter Umständen sogar einfach sein, denn bei ihnen muss ja die anwaltliche Tätigkeit prägend sein, sonst erhalten sie keine Zulassung", so Huff, der auch einen der beigeladenen Unternehmensjuristen anwaltlich vertritt.

BUJ-Sprecherin Vogt hofft, dass die Feststellungen des BGH nun "in einem kooperativen Miteinander mit dem DAV – insbesondere mit der AG Syndikusanwälte – analysiert" werden. Das dürfte nötig werden, es besteht Umsetzungsbedarf.

Kammern müssen künftig alle Kandidaten prüfen

Zwar gibt es, da die Parteien einen Prozessvergleich geschlossen haben, außer dem Hinweis keine schriftliche Urteilsbegründung. Der Geschäftsführer der RAK Freiburg, Tilman Winkler, der das Verfahren in Karlsruhe als Beobachter verfolgt hat, ist der Auffassung, dass die Rechtsanwaltskammern die Überlegungen des BGH bei den anstehenden Wahlen zu berücksichtigen hätten. "Wenn Zweifel an der Ausübung der Tätigkeit in den fünf Jahren vor der Wahl bestehen, werden die Kandidaten entsprechende Nachweise zu liefern haben", erklärte er gegenüber LTO.

Mit der Begründung, dass jemand zum Zeitpunkt der Wahl nicht hinreichend anwaltlich tätig gewesen sei, könnte sonst jede Wahl vor dem Anwaltsgerichtshof angefochten werde, bestätigte auch der Kölner Kammergeschäftsführer Huff. Dann müsste der Wahlausschuss der Rechtsanwaltskammer nachweisen, dass er alle Kandidaten überprüft hat.

Wie das praktisch gehen soll, dazu wollte sich der Senat am Montag nicht abschließend äußern. Laut Huff könnte das zum Beispiel durch Vorlage von Falllisten ähnlich denen für den Fachanwaltstitel geschehen. Er befürchtet jedenfalls einen erheblichen Mehraufwand für die Kammern. Jetzt müsse zumindest eine Erklärung, evtl. sogar eine eidesstattliche Versicherung eingeholt werden, dass ein Kandidat für den Kammervorstand anwaltlich tätig ist.

Wer wird so noch fürs Ehrenamt im Kammervorstand kandidieren?

Sinnvoll, so war nach der Verhandlung zu hören, wäre eine Klarstellung durch den Gesetzgeber, denn Wahlanfechtungen aus diesem Grunde würden der Anwaltschaft nicht helfen, da sind sich die RAK-Geschäftsführer Huff und Winkler einig.

Gerade für ältere Anwälten könnte eine Kandidatur um das Ehrenamt im Vorstand der örtlichen Anwaltskammer nun schwieriger werden, wenn diese etwa aus ihrer Kanzlei schon ausgeschieden sind. Dabei sind viele Kammervorstände mit erfahrenen, aber bereits verrenteten Anwälten besetzt.

Man darf vermuten, dass die neuen höchstrichterlichen Anforderungen der ehrenamtlichen Tätigkeit in einem Kammervorstand sicherlich nicht zu mehr Zulauf verhelfen werden. Wer Falllisten vorlegen muss, um überhaupt kandidieren zu können, wird sich noch einmal mehr überlegen, ob er sich diese Belastung neben einem in der Regel ohnehin zeitaufwändigen Job noch ans Bein bindet.

Wer, wenn er sich dazu entschließt, auch noch befürchten muss, mit den Kosten eines Wahlanfechtungsverfahrens belastet zu werden, wird wohl von jedem ehrenamtlichen Engagement künftig absehen. Die Kostenregelung des Vergleichs nämlich, der am Montag vor dem BGH abgeschlossen wurde, betraf auch die Beigeladenen: Jeder Anwalt, der 2015 in den Vorstand der RAK Berlin gewählt wurde, muss seine Kosten nun selbst tragen.   

Zitiervorschlag

BGH verlangt Nachweis über fünf Jahre Anwaltstätigkeit: . In: Legal Tribune Online, 17.10.2018 , https://www.lto.de/persistent/a_id/31561 (abgerufen am: 05.12.2024 )

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