Auch nach mehr als zwei Tagen läuft das elektronische Anwaltspostfach noch nicht wieder einwandfrei. Die Gerichte können zwar Anwälte anschreiben, umgekehrt aber nicht. Mit mehr Zugriffen in der Corona-Krise soll das nichts zu tun haben.
Das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) ist weiterhin nicht zuverlässig benutzbar. Um 12:22 Uhr am Mittwoch teilte die für den Betrieb verantwortliche Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) mit, dass noch immer nicht absehbar sei, wann die Störung behoben sein wird.
Elektronische Post an die Justiz funktioniert weiterhin nur unzuverlässig. Um 16.18 Uhr teilte die BRAK mit, dass nun die Anmeldung im System wieder möglich sei, die Anwälte also eingegangene Nachrichten lesen könnten. Zeitweise hatte schon die Anmeldung gar nicht funktioniert, nach der Eingabe der ersten von zwei erforderlichen PINs ging es nicht mehr weiter.
Nach Angaben der BRAK hängt die Störung nicht mit einer Überlastung der Server oder anderer Kapazitäten des Systems durch die aktuelle Situation zusammen. In den regionalen Anwaltskammern häufen sich die Anrufe verzweifelter Anwälte, die in der Corona-Krise darauf angewiesen sind, ihren Kanzleibetrieb von außerhalb aufrechtzuerhalten.Auf die Digitalstruktur, die schon in wenigen Jahren für Anwaltschaft und Justiz flächendeckend verpflichtend sein soll, können sie dabei offenbar nicht setzen.
Anwälte können die Gerichte weiterhin nicht anschreiben
Schon seit Montag besteht die beA-Störung. Es war der Tag, an dem Deutschland umdenken musste: KiTas und Schulen wurden geschlossen, Eltern hatten keine Betreuung mehr für ihre Kinder. Arbeitende wurden ins Homeoffice geschickt, Meetings durch Videokonferenzen ersetzt. Die Ersten begannen sich zu fragen, wie lange die deutschen Digitalstrukturen die massiv steigende Internetnutzung bewältigen würden. Das Internet hat bislang gehalten. Das besondere elektronische Anwaltspostfach fiel dagegen am Montag um 11 Uhr aus.
Nach Auskunft der BRAK war zunächst die Anmeldung am System teilweise nicht möglich und die Adress-Suche für den Versand von Nachrichten aus dem beA heraus an die Justiz funktionierte nicht. Umgekehrt konnten die Gerichte die besonderen elektronischen Postfächer der Anwälte in der Adress-Suche nicht finden, auch die Suchfunktion im Bundesweiten Amtlichen Anwaltsverzeichnis war gestört.
Diese Suche funktioniert seit Mittwochvormittag wieder, nach Angaben einer Sprecherin der BRAK können die Gerichte seitdem auch die Anwälte wieder anschreiben. "Die übrigen Fehler bestehen weiter und äußern sich durch die Fehlermeldung 'Server nicht erreichbar' oder die Nicht-Auffindbarkeit der adressierten Gerichte", teilte die BRAK-Sprecherin auf LTO-Anfrage mit.
Das heißt, dass, Stand Mittwochnachmittag, die Gerichte zwar offenbar die Anwälte wieder anschreiben können. Die Anwälte aber können die Gerichte weiterhin nicht oder zumindest nicht zuverlässig über das beA erreichen.Nicht ganz klar ist, ob die Kommunikation von Anwalt zu Anwalt zwischenzeitlich wieder funktioniert.
"Zurück in der Postkutschenzeit"
Nun können die Anwälte also immerhin ihre Posteingänge prüfen. "Das ist besonders deshalb wichtig, weil viele Gerichte, vor allem solche der Fachgerichtsbarkeit, derzeit über das beA Termine aufheben oder verlegen oder Fristverlängerungen gewähren", sagte der Geschäftsführer und Pressesprecher der Kölner Anwaltskammer, Martin W. Huff, gegenüber LTO.
Huff hatte noch am vergangenen Freitag in einem Beitrag bei LTO die Anwälte aufgefordert, für die Aufrechterhaltung des anwaltlichen Kanzleibetriebs in Zeiten der Corona-Krise vorzusorgen – unter anderem, indem die Anwälte den Zugriff auf das beA auch von außerhalb der Kanzlei sicherstellen sollten.
"Es ist eine Katastrophe, wenn das beA gerade jetzt, wenn die Kollegen im Homeoffice ganz besonders darauf angewiesen sind, nicht funktioniert", so Huff. Er hat nach eigenen Angaben alle Beschwerden der Anwälte aus dem Kölner Kammerbezirk auch an die BRAK weitergeleitet. Auch der Präsident der RAK Düsseldorf zeigte im Telefonat mit LTO großes Verständnis für die Beschwerden der wütenden Advokaten. "Wir sind zurück in der Postkutschenzeit – und das ausgerechnet jetzt", fasste Herbert P. Schons die derzeitige Situation gegenüber LTO zusammen. "Die Kollegen fragen sich zu Recht: Wenn das jetzt schon passiert, wie soll das dann später sein, vor allem wenn die Nutzung des beA zwingend wird? Beschäftigen die Gerichte sich dann nur noch mit Wiedereinsetzungsanträgen?"
Zu Gericht fahren, das gute alte Fax – und die Störungsmeldung sichern
Seine Empfehlung an die Anwälte, um auch während der Corona-Krise den Kanzleibetrieb aufrechtzuerhalten: "Wer ganz sicher gehen will, insbesondere bei längeren Schriftsätzen, muss in fristgebundenen Sachen zu Gericht fahren. Im Übrigen bleibt ja nur der Verweis auf das gute alte Faxgerät". Der Präsident der Anwaltskammer München, Michael Then, wies gegenüber LTO darauf hin, dass in kritischen Fällen, in denen die Kanzlei komplett geschlossen bleiben muss, rein vorsorglich ohnehin Fristverlängerungsanträge gestellt werden sollten.
Huff von der RAK Köln wie auch der Präsident der Berliner Anwaltksammer, Dr. Marcus Mollnau, habenfür den akuten Fall noch einen anderen Tipp: "Die Anwälte, die einen fristgebundenen Schriftsatz ans Gericht schicken wollen, sollten unbedingt einen Screenshot von der Störungsdokumentation der BRAK machen, in der die Ausfälle des elektronischen Anwaltspostfachs dokumentiert werden", raten die beiden für den Fall eines nötig werdenden Wiedereinsetzungsantrags. Wer so beweisen könne, dass das beA nicht funktionierte, dessen Antrag werde Erfolg haben. "Man könnte danach noch versuchen, ein Fax zu schicken, aber zwingend ist das nicht, sicherlich muss man dann auch nicht zum Gericht fahren. Nach der Rechtsprechung des BGH darf ein einmal gewählter Übermittlungsweg grundsätzlich beibehalten werden". Unklar ist, ob das auch noch gelten würde, wenn zum Beispiel öffentlich bekannt wäre, dass das beA einen schwerwiegenden und langanhaltenden Fehler hat.
"Mit mehr Nutzung wegen der Corona-Krise nichts zu tun"
Zahlen darüber, ob das beA derzeit mehr genutzt wird als bisher, konnte die BRAK LTO nicht zur Verfügung stellen. Zur Begründung verweist sie darauf, dass die Störung mit der Empfehlung zusammengefallen sei, "vermehrt von zu Hause aus zu arbeiten. Deshalb geht derzeit die Zahl der Zugriffe zurück."
Ganz nachvollziehbar ist diese Antwort nicht, denn das beA ist, einen Client auf dem Rechner vorausgesetzt, auch von zuhause oder eben jedem anderen Rechner aus benutzbar. Und, einmal unterstellt, dass die wenigsten Anwälte in ihrem privaten Arbeitszimmer ein Faxgerät stehen haben, spricht alles dafür, dass sie im Homeoffice wesentlich mehr auf digitale Technik zurückgreifen als in der Kanzlei. Die nach Angaben der BRAK verminderten Zugriffszahlen dürften sich wohl eher darauf zurückführen lassen, dass sich herumgesprochen hat, dass das beA ausgefallen ist.
Eindeutig legt sich die BRAK aber hinsichtlich einer anderen Frage fest: "Die Störung hat nichts mit einer stark zunehmenden Nutzung des beA wegen der aktuellen Situation zu tun", teilte die Sprecherin per Mail an LTO mit. Man könne "augenblicklich ausschließen, dass die Störung mit einer Überlastung der Server oder anderer Kapazitäten des Systems zusammenhängt". Auslöser sei vielmehr eine Unterbrechung der Schnittstelle zwischen dem beA-System und der Bundesnotarkammer gewesen, die für die Adress-Suche und die damit zusammenhängende Zertifikatsprüfung benötigt wird. Hinzu seien weitere unbekannte Fehler betreffend die Suchfunktion gekommen.
Wann das beA wieder funktionieren wird, ist noch nicht bekannt, die BRAK wird unter https://bea.brak.de über den Stand der Fehlerbeseitigung informieren. Die BRAK werde "gemeinsam mit ihren Dienstleistern alles daransetzen, die Störung schnellstmöglich zu beheben und ein stabiles System zur Verfügung zu stellen, damit gerade in der derzeitigen Situation das Arbeiten außerhalb der Kanzleien zuverlässig möglich ist", ließ sie über die Sprecherin mitteilen. Ob die Anwälte sich damit zufriedengeben werden, darf man bezweifeln. Während die RAK München es nicht für nötig hält, nachzufassen, zumal der BRAK "der Ernst der Lage bewusst sei" will jedenfalls die Anwaltskammer Köln auf der nächsten Hauptversammlung das Thema noch einmal auf den Tisch bringen. Diese soll, Stand heute, am 8. Mai in Berlin stattfinden.
In der Corona-Krise: . In: Legal Tribune Online, 18.03.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/40923 (abgerufen am: 05.12.2024 )
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