Auch wenn es im Sondierungspapier heißt "Wir wollen die Bürgerrechte stärken": In den Plänen der möglichen Ampel spielt die Rechtspolitik bislang kaum eine Rolle. Der DAV fordert daher für die Koalitionsverhandlungen "Inhalte und Vorhaben".
Eine eher seltene Erwähnung rechtspolitischer Vorhaben im Sondierungspapier und in einem "ersten Aufschlag" der Verhandlungsgruppen für die Koalitionsgespräche zwischen SPD, Grünen und FDP, macht dem Deutschen Anwaltverein (DAV) Sorgen: "Abgesehen von einer ungewissen Ausrichtung auf Bürgerrechte tauchten die Begriffe Recht, Rechtsstaat, Justiz und Anwaltschaft nur selten auf", kritisierte der DAV am Freitag in einer Pressemitteilung. Dabei, so die Anwaltsorganisation, sei die maßgebliche Arbeitsgruppe-16, in dem die Ampel-Verhandler:innen die Themen Innere Sicherheit, Bürgerrechte und Sport behandeln, doch "um rechtspolitischen Sachverstand" erweitert worden.
Für die SPD sitzen in der Arbeitsgruppe-16 u.a. sowohl die amtierende als auch die frühere Justizministerin, Christine Lamprecht und Katharina Barley. Auch der bisherige rechtspolitische Sprecher der Fraktion, Johannes Fechner, darf am Koalitionsvertrag mitverhandeln.
Die Delegation der Grünen wird angeführt vom Innen-Experten und Rechtsanwalt Konstantin von Notz, aber auch die Rechtspolitikerin Manuela Rottmann ist mit im Boot. Die rechtspolitische Sprecherin der zu Ende gegangenen Wahlperiode, Katja Keul, verhandelt dagegen in der Arbeitsgruppe-14, in der es um Familienpolitik geht. Der neu in den Bundestag eingezogene, frühere Hamburger Justizsenator Till Steffen befindet sich in der Arbeitsgruppe-1, die einen "Modernen Staat und Demokratie" zum Thema hat. Dort dürften u.a. die beabsichtigte Wahlrechtsreform und die Absenkung des Wahlalters auf 16 besprochen werden. Die FDP hat u.a. die Juristen Wolfgang Kubicki, Konstantin Kuhle und Stephan Thomae in die rechtspolitische Arbeitsgruppe berufen.
Vorrang für die Innere Sicherheit?
Der DAV appelliert nunmehr an die rot-grün-gelben Verhandler:innen, sich "tiefergehend" auch mit der Rechtspolitik zu befassen und diese nicht weiter im Vergleich zu anderen Themen "stiefmütterlich" zu behandeln. Bislang sei lediglich zu vermuten, "dass rechtsstaatliche Fragen irgendwo in der Gruppe 'Innere Sicherheit, Bürgerrechte, Sport' und bei 'Moderner Staat und Demokratie' behandelt werden sollten. Angesichts der Wichtigkeit der Themen Recht und Rechtsstaat sei das jedoch "ein falsches Signal und unbefriedigend".
Laut DAV-Hauptgeschäftsführerin Dr. Sylvia Ruge sei es jetzt allerhöchste Zeit, "die Rechtspolitik mehr in den Fokus zu nehmen und dringend notwendige Vorhaben für den Rechtsstaat und die unabhängige Anwaltschaft in den Koalitionsverhandlungen herauszuarbeiten. Rechtspolitik darf nicht zur Nebensache werden", so Ruge.
Der Anwaltverein beklagt darüber hinaus, dass im Sondierungspapier den Belangen der Inneren Sicherheit gegenüber der Rechtspolitik Vorrang eingeräumt würden. Überhaupt gefällt es dem DAV gar nicht, dass die Innere Sicherheit gemeinsam mit dem Thema Rechtsstaat in einer Arbeitsgruppe behandelt werde: "Recht und Inneres sind zwei verschiedene Paar Schuhe. In der Zusammenstellung der Ministerien sind sie aus gutem Grund immer getrennt", so Ruge. Schließlich entspringe die traditionelle Trennung der Ressorts Justiz und Inneres dem Grundsatz der Gewaltenteilung, der Unabhängigkeit der Justiz und dem Rechtsstaatsprinzip mit seiner Garantie eines effektiven Rechtsschutzes.
Zweiwöchige Arbeit der Fachgruppen
SPD, Grüne und FDP begannen am Freitag in Berlin mit den Koalitionsverhandlungen. Am Vormittag trafen sich zum ersten Mal die 24 Spitzenleute der sogenannten "Dachgruppe", in der alle wichtigen Entscheidungen im Verlauf der kommenden Wochen fallen sollen.
Im kürzlich vorgelegten Sondierungspapier hatten sich die Ampel-Partner u.a. auf diverse GG-Änderungen, eine Revision der Sicherheitsarchitektur und die Herabsetzung des Wahlalters auf 16 verständigt. In der Flüchtlingspolitik wurde angekündigt, die Verfahren zur Flucht-Migration zu "ordnen" und die "ausbeuterischen Verhältnisse" auf den Fluchtwegen zu bekämpfen. Außerdem sei beabsichtigt, die Asylverfahren, die Verfahren zur Familienzusammenführung und die Rückführungen zu beschleunigen und legale Wege zu schaffen.
Im Zuge der Koalitionsverhandlungen sollen die Fachgruppen bis zum 8. November arbeiten. Dann will die "Dachgruppe" alles zusammenführen und ggf. strittige Punkte entscheiden. Anfang Dezember soll der Koalitionsvertrag von den entsprechenden Parteigremien abgesegnet werden, bei den Grünen soll es eine Urabstimmung der rund 120.000 Mitglieder geben.
Anwaltverein zum Start der Koalitionsverhandlungen: . In: Legal Tribune Online, 22.10.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/46440 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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