Deutscher Anwaltstag 2023: "Anwalt­schaft ist kein Teil der Orga­ni­sierten Kri­mi­na­lität"

von Hasso Suliak

15.06.2023

Auf dem Anwaltstag in Wiesbaden diskutiert die Zunft über mehr Nachhaltigkeit im Recht, fordert eine frühzeitigere Einbindung in rechtspolitische Vorhaben und träumt von höheren Gebühren. Rechtsanwalt Marco Buschmann macht ihr Hoffnung.

Der diesjährige Anwaltstag des Deutschen Anwaltverein (DAV) steht voll und ganz unter dem Motto der Nachhaltigkeit, "mit Recht nachhaltig". Was das für den DAV bedeutet, erläutert Präsidentin Edith Kindermann in ihrer Eröffnungsrede anhand der 17 Nachhaltigkeitsziele der UN. Darunter fallen etwa "keine Armut", "kein Hunger", "weniger Ungleichheiten" oder "mehr Maßnahmen zum Klimaschutz". Blicke man auf diese Ziele, so Kindermann, werde klar, dass niemand diese im Einzelnen infrage stelle. Es könne aber zu Zielkonflikten kommen – eine einfache Lösung gebe es nicht. "Sie können nur mit dem Recht erreicht werden. Das Recht – nicht Gewalt, nicht Wirtschaftsmacht – ist der Weg, und das Recht ist der Maßstab unseres Handelns."

Die Rolle der Anwaltschaft sieht die DAV-Präsidentin unter anderem in einer engen Begleitung der Gesetzgebung. Hierzu müsse die Politik die Anwaltschaft allerdings im Rahmen angemessener Fristen einbinden. Ein Vorwurf, der bereits auf vergangenen Anwaltstagen immer wieder zu hören war. Gesetzgebung im Eilverfahren ist so gar nicht nach dem Geschmack des DAV. 

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP), am Vortag in den sozialen Medien noch mit Schalke-Trikot unterwegs, geht zwar auf diesen Vorwurf Kindermanns nicht konkret ein, macht aber gleich zu Beginn seiner Rede den anwesenden Anwältinnen und Anwälten klar, dass er einer von ihnen ist und sie auf ihn zählen können. Er sei schließlich Rechtsanwalt und Bundesjustizminister, habe seine Anwaltszulassung auch bis heute nicht zurückgegeben.   

Buschmann wirbt für höhere Anwaltsgebühren 

Buschmann betont die Notwendigkeit einer unabhängigen Anwaltschaft und erntet viel Applaus, als er im Kontext der Geldwäschebekämpfung darauf hinweist, dass Misstrauen gegenüber der Anwaltschaft nicht angebracht sei, schließlich sei sie kein Teil der Organisierten Kriminalität.  

Im Übrigen, so Buschmann, seien die Bürgerrechte für ihn eine "Herzensangelegenheit". Sogenannte Chatkontrollen dürfe es daher nicht geben: "Das Briefgeheimnis gilt auch in der digitalen Welt", sagt er. EU-Innenkommissarin Ylva Johansson hatte im Mai 2022 einen Vorschlag für eine Verordnung vorgelegt, um die Verbreitung von Darstellungen, die den sexuellen Missbrauch von Kindern zeigen, im Wege von Chatkontrollen einzudämmen. Buschmann betonte in Wiesbaden, dass selbst Kinderschutzverbände gegen das angedachte Instrument seien. 

Erst richtig beliebt macht sich der Bundesjustizminister bei der anwaltlichen Zuhörerschaft, als er auf das Thema Anwaltsgebühren zu sprechen kommt. Zuvor hatte DAV-Präsidentin Kindermann in ihrer Ansprache fast schon routinemäßig auf die Notwendigkeit einer zeitnahen Anpassung des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) hingewiesen. Damit die Anwaltschaft ihren elementaren Beitrag zum Rechtsstaat leisten könne, bedürfe es einer angemessenen Vergütung.  

Rechtsanwalt Buschmann teilt diese Einschätzung. In seiner Funktion als Justizminister habe er daher die 16 Länderkolleginnen und Kollegen entsprechend angeschrieben. Schließlich gehe es auch um eine "ökonomisch unabhängige Anwaltschaft". Der Hintergrund: Finanziell stemmen müssten höhere Anwaltsgebühren neben den Rechtsuchenden auch die Bundesländer. Bereits bei der letzten Anpassung 2021 galt es, Widerstände der Lände zu überwinden. Getreu dem Motto des Anwaltstages gab sich Buschmann diesbezüglich jedoch zuversichtlich: "Wir werden auch diesen Zielkonflikt nachhaltig auflösen." 

Nachdenkliche Rede von Katarina Barley  

Wesentlich nachdenklichere Töne fand dagegen Katarina Barley (SPD) in ihrem Festvortrag. Die Vizepräsidentin des EU-Parlamentes unterstrich die Rolle der Anwaltschaft im Kampf um den Erhalt der Demokratie in Europa. So würden sich immer mehr Staaten vom EU-Motto "united in diversity" und Art. 2 EU-Vertrag wegbewegen. Nach Art. 2 EUV sind die Werte, auf die sich die EU gründet, die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und Wahrung der Menschenrechte einschließlich der Rechte von Personen, die Minderheiten angehören.  

Katarina Barley/Foto: Andreas Burkhardt/DAV.

Barley verwies auf einen zunehmenden Rechtsruck in Europa. An die Anwaltschaft richtete die ehemalige Bundesjustizministerin die eindringliche Bitte: "Sie haben die Expertise, mischen Sie sich ein, um eine "Herrschaft des Unrechts" zu verhindern. Das Ziel sei ein "nachhaltiges, resilientes Recht" in Europa. 

Explizit gebeten worden war Barley, in ihrem Festvortrag auch zu dem kürzlich auf EU-Regierungsebene getroffenen, äußerst umstrittenen Asylkompromiss ein Wort zu verlieren. Der DAV hält die Zustimmung Deutschlands dazu für "beschämend". 

"Keine weiteren Morias" 

Barley kündigte an, dass sich das EU-Parlament im Rahmen der anstehenden Trilog-Verhandlungen zum EU-Asylverfahren für die Verankerung humanitärer Aspekte einsetzen werde. Die Position des EU-Parlamentes sei, dass Familien mit Kindern bis zu zwölf Jahren nicht in den geplanten Auffanglagern an den EU-Außengrenzen unter Haftbedingungen landen sollen. 

Bei aller berechtigten Kritik an der Regierungsposition mahnte Barley, nicht zu vergessen, was gedroht hätte, wenn die Einigung der EU-Innenministerinnen und -minister vergangene Woche gescheitert wäre: 17 von 27 EU-Staaten hätten das sog. "Ruanda-Modell" favorisiert. Großbritannien hatte einen umstrittenen Pakt mit dem ostafrikanischen Land geschlossen, um weitere Schutzsuchende von der Einreise abzuhalten. Dieser sieht vor, dass Schutzsuchende, die illegal nach Großbritannien gelangt sind, unabhängig von ihrer Nationalität oder Herkunft nach Ruanda gebracht werden und dort gegen Zahlungen der britischen Regierung die Möglichkeit für einen Asylantrag erhalten.

Barley zeigte sich überzeugt, dass auch auf Grundlage der jetzigen Pläne Zustände wie im Flüchtlingslager Moria künftig verhindert werden. Verabredet seien verbindliche Standards Aufnahmezentren. "Wir werden keine weiteren Morias mehr bekommen", so Barley.  

Zum Abschluss der Eröffnungsveranstaltung wurde die Münsteraner Rechtsa­wältin Mechtild Düsing (78) mit der Hans-Dahs-Plakette ausgezeichnet. Die Plakette wird seit 1973 an Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte verliehen, die sich laut DAV gleichermaßen um die Anwaltschaft und um ihre Verbindung zur Wissenschaft verdient gemacht haben. Im Agrarrecht gilt Düsing europaweit als Koryphäe. So war es, die sich beim Thema "Milch-Quote" vor dem Europäischen Gerichtshof erfolgreich gegen die EU-Kommission durchgesetzt hat: Die Landwirte erhielten seinerzeit Schadensersatz. 

Zitiervorschlag

Deutscher Anwaltstag 2023: . In: Legal Tribune Online, 15.06.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52004 (abgerufen am: 01.11.2024 )

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