Verbraucherschutz im Rechtsdienstleistungsmarkt: SPD will Erfolgs­honorare für Anwälte noch in dieser Wahl­pe­riode

von Hasso Suliak

18.05.2021

Erfolgshonorare für Rechtsanwälte sowie mehr Rechtssicherheit für Inkasso-Unternehmen, die Rechtsdienstleistungen anbieten: Die SPD will das umstrittene Legal-Tech-Gesetz jetzt zügig und ohne inhaltliche Änderungen im Bundestag beschließen. 

Obwohl auch nach einer Anhörung im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages zum "Gesetz zur Förderung verbrauchergerechter Angebote im Rechtsdienstleistungsmarkt" die Fronten zwischen Befürwortern und Gegnern einer Liberalisierung auf dem Rechtsdienstleitungsmarkt verhärtet sind und mit Blick auf die fachliche Ausgestaltung erhebliche Differenzen bestehen, will die SPD das umgangssprachlich besser als Legal-Tech-Gesetz bekannte Gesetz noch in dieser Wahlperiode verabschieden - und trotz der massiven Kritik vor allem seitens der Anwaltsverbände sogar in unveränderter Fassung. 

Das bestätigte der zuständige Berichterstatter der SPD-Bundestagsfraktion für das Thema, Karl-Heinz Brunner, gegenüber LTO. Auch wenn es laut Brunner "in der Anhörung im Rechtsausschuss unterschiedliche Auffassungen gegeben hat, wie die Zukunft des Rechtsdienstleistungsmarktes aussehen soll", setzt die SPD auf eine schnelle parlamentarische Verabschiedung: "Damit auf diesem Gebiet nicht weiter die Gerichte entscheiden müssen, welche Rechtsdienstleistung zulässig ist, sollte das Gesetz unverändert noch in dieser Wahlperiode verabschiedet werden. Flankierend dazu sollte in einem Entschließungsantrag festgehalten werden, an welchen Stellen es ggf. in der kommenden Legislaturperiode noch nachjustiert werden sollte", so Brunner. Er kündigte gegenüber LTO an, dieses Vorgehen jetzt mit dem Koalitionspartner besprechen zu wollen.

Viele Anwältinnen und Anwälte beklagen schon seit längerem ungleiche Wettbewerbsbedingungen zwischen ihnen und Start-Up-Unternehmen, die, wie zum Beispiel die Betreiber von wenigermiete.de oder flightright.de, Rechtsdienstleistungen für Verbraucher:innen anbieten und dabei an anwaltliches Berufsrecht grundsätzlich nicht gebunden sind. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung reagiert auf diese Schieflage und bemüht sich, die entsprechenden Widersprüche zwischen dem Inkassorecht des Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) und dem Anwaltsrecht in der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) und dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz (RVG) zu beseitigen.

Schärfere Regulierung von Legal Techs

Dabei verweist die Bundesregierung zum einen darauf, dass europarechtlich eine kohärente, stimmige Regelung erforderlich sei, zum anderen gehe es auch darum, Rechtssicherheit zu schaffen und z.B. die sog. Lexfox-Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs umzusetzen. Die Karlsruher Richterinnen und Richter hatten dem Anbieter wenigermiete.de erlaubt, Ansprüche aus der Mietpreisbremse als Inkassodienstleister bei Vereinbarung eines Erfolgshonorars und ohne Kostenrisiko (durch Finanzierung der Verfahrenskosten) geltend zu machen. Während Legal Techs also Erfolgshonorare vereinbaren und Verfahren für ihre Kunden so finanzieren dürfen, dass sie keine Kostenrisiken eingehen müssen, ist das Anwältinnen und Anwälten bislang berufsrechtlich untersagt.

Kernelemente des Gesetzes sind vor diesem Hintergrund zum einen die schärfere Regulierung von Legel-Tech-Anbietern, die auf dem Rechtsmarkt tätig werden wollen. Sie müssen sich u.a. künftig einem intensiveren Registrierungsverfahren unterziehen. Außerdem wird näher geregelt, welche Inkasso-Dienstleistungen sie letztlich zulässigerweise erbringen dürfen, etwa nicht in Bereichen, in denen eine - bezogen auf Nebenleistungen* - besondere Verschwiegenheit gefordert ist oder komplexe rechtliche Erwägungen nötig werden.

BRAK: Erfolgshonorare gefährden Unabhängigkeit der Anwaltschaft

Hauptstreitpunkt im Gesetzentwurf ist allerdings das Thema Erfolgshonorar für die Anwaltschaft.  Der Geschäftsführer des Deutschen Anwaltvereins (DAV), Dr. Nicolas Lührig, spricht sogar von einem "Glaubenskrieg", der bei diesem Thema innerhalb der Anwaltschaft herrsche. 

Das Gesetz der Bundesregierung lockert das geltende Verbot nach § 49a BRAO dahingehend, dass Anwält:innen künftig bei außergerichtlichen und gerichtlichen Mandaten bei allen Geldforderungen bis 2.000 Euro Erfolgshonorare verlangen dürfen. Um Waffengleichheit mit den Inkassodienstleistern nach dem RDG herzustellen, soll ihnen in diesem Bereich auch die Prozessfinanzierung erlaubt werden. Die Vereinbarung eines Erfolgshonorars und die Prozessfinanzierung wäre aber nur dann zulässig, wenn der Mandant oder die Mandantin ansonsten von der Rechtsverfolgung abgehalten würde.

Von Anfang an Sturm gegen diese Pläne läuft vor allem die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK). In ihrer Stellungnahme für den Rechtsauschuss zeichnete die Kammer ein wahres Horrorszenario, für den Fall, dass das Gesetz so in Kraft tritt: Erfolgshonorare führten zu Interessengegensätzen zwischen Rechtsanwalt und Mandant, da der Rechtsanwalt zum Investor des Mandats und damit aufgrund der erheblichen ökonomischen Eigeninteressen gleichsam zur Partei werde. Er sei dann nicht mehr das unabhängige Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO). Auch die geplante Möglichkeit der Prozessfinanzierung verschärfe diese Gefahr: "Der Rechtsanwalt rückt in den gewerblichen Tätigkeitsbereich, da er nicht mehr nur seine Rechtskenntnisse anbietet, sondern auch sein Kapital (oder das eines Dritten).” Das Recht, so die BRAK, verkomme zur Ware und das Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt und Mandant werde erheblich belastet.

Berufsrechtler: "Totalblockade der BRAK kam nicht gut an"

Ob die BRAK mit dieser Fundamentalkritik bei den Abgeordneten jedoch durchdringt, darf bezweifelt werden. Sachverständige, die wie der Kölner Berufsrechtler Prof. Dr. Martin Henssler ebenfalls an der Anhörung teilnahmen, berichten LTO, dass die "Totalblockade" der Kammer "auf keinen Fall" gut angekommen sei. 

Auch der Vertreter des Legal-Tech-Verbands, Rechtsanwalt Dr. Philipp Plog, zeigte sich über die Haltung der Anwaltsverbände  im Rechtsausschuss erstaunt: "Die Anwälte haben im Moment schlechte Wettbewerbsbedingungen. Sie können weder Erfolgshonorare noch Prozessfinanzierung anbieten, konkurrieren aber mit den Legal Techs, die das alles dürfen." Er wundere sich, "dass BRAK und DAV trotzdem so vehement dagegen kämpfen, den Anwälten mehr Freiheit bei der Gestaltung von Vergütungsmodellen zu geben.” Das könne nicht im Interesse der Anwaltsverbände sein, so Plog.

Unterdessen äußerte sich der Hannoveraner Berufsrechtler Prof. Dr. Christian Wolf, der ebenfalls als Sachverständiger im Rechtsausschuss geladen war, nach der Anhörung kritisch zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: "Der Gesetzentwurf lässt viele Fragen des Verbraucherschutzes offen. Unklar ist, wie die Verbraucher vor einem Insolvenzrisiko des Legal-Tech-Unternehmens geschützt werden. Die Mindestschutzvorschriften, die für alle Personen bestehen, die mit Fremdgeld umgehen, fehlen. Gleichfalls stellt der Entwurf nicht sicher, dass das Legal-Tech-Unternehmen bzw. die Gesellschafter nicht für die Gegenseite arbeiten, also ein Fluggastportal gleichzeitig für die Airline die Schadensabwicklung betreibt." 

Seiner Meinung nach hätten die Abgeordneten bei der Anhörung den Eindruck gewonnen, "dass die Vertreter des Legal-Tech-Verbands die anwaltliche Tätigkeit nur aus der Perspektive ihrer corporate law firms kennen, die noch nie für den Verbraucher tätig waren, bis sie den Legal-Tech-Bereich als neues hoch rentables Geschäftsfeld für sich endeckten."

Wird der Gesetzentwurf aufgespalten?

Jedenfalls im Hinblick auf die bei der Anhörung anwesenden SPD-Vertreter trifft diese Einschätzung offenbar nicht zu. SPD-MdB Brunner zufolge habe es von der Mehrheit der Sachverständigen vielmehr "grundsätzliche Zustimmung" für das Gesetz der Bundesregierung gegeben. Ziel des Gesetzes sei im Übrigen auch nicht, die ein oder andere Seite - Anwaltschaft oder Legal-Tech-Unternehmen mit Inkasso-Lizenz - zu benach- oder zu bevorteilen, sondern den Rechtsdienstleistungsmarkt für die Verbraucherinnen und Verbraucher fair und wirksam auszugestalten. "Was nicht vertretbar ist, ist vor der Rechtswirklichkeit die Augen zu verschließen und das Gesetz nur deshalb auf die lange Bank zu schieben, weil es einige auf Teufel komm raus verhindern wollen. Der Verbraucherschutz gebietet hier eine moderne gesetzliche Regelung." 

Ob allerdings eine solche "moderne gesetzliche Regelung" noch in dieser Wahlperiode beschlossen wird, ist fraglich. Prof. Henssler glaubt nicht, dass die Abgeordneten den Gesetzesentwurf "nun einfach so und trotz der von den meisten Sachverständigen angesprochenen Schwächen" durchwinken werden. Der Kölner Berufsrechtler und Direktor des Soldan-Instituts, Prof. Dr. Matthias Kilian, rechnet sogar damit, dass der Teil des Vorhabens, der das anwaltliche Berufsrecht betrifft, in die kommende Wahlperiode verschoben wird: "Ich könnte mir vorstellen, dass man den Block RVG/Erfolgshonorar, in dem es 'nur' um die Anwälte geht, eher auskoppelt und auf die nächste Legislatur schiebt." 

Zum einen gebe es massiven Widerstand beider Berufsorganisationen ("bei BRAK mehr als bei DAV, der nicht in der Lage war, zur Anhörung Positionen in einer Stellungnahme zu formulieren"), zum anderen dürfte wohl auch handwerklich nachgearbeitet werden, etwa bei Ausklammerung von Rechtsgebieten und Regelungen zu Streitanteilsvereinbarungen, vermutet Kilian. Behält er Recht, könnte in dieser Wahlperiode dann immerhin der Teil im Bundestag verabschiedet werden, der das Legal-Tech-Inkasso betrifft.

Union mit erheblichem Beratungsbedarf

Doch auch in diesem Punkt ist noch nichts entschieden. Reaktionen aus der CDU/CSU sprechen jedenfalls für keine allzu schnelle parlamentarische Lösung. Und schon gar nicht nach einer, wie sie sich die SPD vorstellt: "Wir werden uns in Anbetracht der noch (eigentlich viel zu kurzen) übriggebliebenen Zeit in dieser Legislaturperiode natürlich bemühen, das Gesetzgebungsverfahren zu einem ordentlichen Abschluss zu führen", so der zuständige Berichterstatter der Union im Rechtsausschuss, Sebastian Steineke, zu LTO. Für die weiteren Gespräche werde es allerdings erstmal notwendig sein, die zahlreichen Eingaben der Sachverständigen bei der Öffentlichen Anhörung einzuordnen und zu bewerten. Dieser Prozess zwischen den Koalitionspartnern laufe jetzt an.

Das könnte dauern, zumal Steineke selbst noch erheblichen Beratungsbedarf sieht, etwa beim Thema Prozessfinanzierung. Außerdem müsse die praktische Gleichsetzung von Inkasso und Anwaltschaft mit einer deutlich besseren Aufsicht für die Inkassodienstleister einhergehen, fordert er. 

Auch sein Fraktionskollege, der rechtspolitische Sprecher Jan-Marco Luczak, ist offenbar nicht gewillt, das Gesetz noch in dieser Wahlperiode im Eiltempo durchzupeitschen. Im Gegenteil: Nach der Anhörung seien noch viele Fragen des Mandanten- und Verbraucherschutzes offen geblieben, sagt er. Anwaltliche “Core Values” seien zudem unverhandelbar."Rechtsanwälte müssen als Organe der Rechtspflege auch zukünftig den Interessen ihrer Mandanten verpflichtet bleiben und unabhängigen Rechtsrat erteilen. Den regulativen Rahmen müssen wir aber so gestalten, dass auch Rechtsanwälte ihre Geschäftsmodelle fortentwickeln und innerhalb ihrer berufsrechtlichen Pflichten im Wettbewerb mit Inkassodienstleistern bestehen können." 

Das klingt so, als sei das mit dem bisherigen Entwurf der Bundesregierung noch nicht zufriedenstellend gelungen.

*Anm. der Redaktion: Passage wurde am 19.05.21, 10.26 Uhr, präzisiert

Zitiervorschlag

Verbraucherschutz im Rechtsdienstleistungsmarkt: . In: Legal Tribune Online, 18.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44985 (abgerufen am: 09.12.2024 )

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