Dagmar von Stralendorff-Grüttemeier ist Anwältin, spezialisiert auf Pferderecht. Das Wort mag sie nicht, die Pferde umso mehr. Selbst Geschäftsleute vergessen da das Rechnen, erzählte sie LTO. Und sie sei keine "Fachfrau für Luxusprobleme".
LTO: Frau von Stralendorff-Grüttemeier, sie sind Rechtsanwältin und befassen sich vorwiegend mit Fällen rund ums Pferd. In juristischen Ausbildungsfällen sind die Tiere kaum mehr wegzudenken, aber wie relevant sind sie in der Praxis?
Von Stralendorff-Grüttemeier: Die Pferdewirtschaft ist in Deutschland ein sehr großer Wirtschaftsfaktor, wir sind für Sportpferde die Exportnation Nr. 1. Wussten Sie, dass rund 300.000 Arbeitsplätze in Deutschland irgendetwas mit Pferden zu tun haben? Wussten Sie, dass die meisten vierbeinigen Olympioniken direkt oder indirekt aus deutscher Pferdezucht stammen? Und dass der Markt für Pferde und Pferdesportartikel in Deutschland ca. sechs bis sieben Milliarden Euro pro Jahr umfasst?
Beeindruckende Zahlen, aber was heißt das für die juristische Praxis? Worum streitet man sich vor Gericht?
Im Zivilrecht geht es häufig um Sachmangelhaftung: Das gekaufte Pferd ist krank oder erfüllt die sportlichen Erwartungen des Käufers nicht. Natürlich stellen sich auch Fragen aus der Tierhalterhaftung und dem Schadensersatzrecht: Reitunfälle, Schäden durch Pferde, Obhutsschäden im Pensionsstall.
Es gibt auch Werkvertragsrecht rund ums Pferd: Der Maßsattel passt nicht, der Hufschmied hat das Eisen falsch aufgenagelt, der Tierarzt hat bei der Ankaufsuntersuchung eine Erkrankung übersehen. Das sind die Standardfälle, aber es kann auch bei teuren Sportpferden um komplexe gesellschaftsrechtliche Konstruktionen gehen. Im öffentlichen Recht spielen Tierschutzfragen oder die Genehmigung von Bauvorhaben im Außenbereich eine große Rolle.
"Mandanten aus allen gesellschaftlichen Schichten"
Pferdesport gilt landläufig als ein Hobby für Menschen mit gutem finanziellem Background. Auf was für Mandanten treffen Sie in Ihrem Alltag und um welche Summen geht es dabei?
Reiten ist zum Breitensport avanciert. Ich arbeite u.a. für große Versicherungsgesellschaften, die privaten Mandanten kommen aus allen gesellschaftlichen Schichten.
Häufig wird übersehen, wie teuer der Sport wirklich ist, der Kaufpreis eines Pferdes ist im Rückblick oft nur ein kleiner Posten. Für den Unterhalt und Beritt eines Sportpferdes sollte man 1.000 Euro im Monat übrig haben, für ein Freizeitpferd mindestens 500. Da kommt bei einer sportlichen Nutzungsdauer von zehn oder mehr Jahren schon einiges zusammen.
Ein "normales" Freizeitpferd kostet – je nach Alter, Rasse und Ausbildungsstand – 3.000 bis 15.000 Euro, die Preise für Sportpferde beginnen bei 20.000 Euro und sind nach oben offen, besonders dann, wenn die Käufer aus dem Ausland kommen. Teuer wird es, wenn die Unterhalts- und Tierarztkosten im Falle einer Kaufvertragsanfechtung oder Rückabwicklung mit eingeklagt werden. Ich habe schon um Kaufverträge im siebenstelligen Bereich gestritten. Die Bandbreite ist groß.
"Vor Gericht besser als ein hippologischer Laie"
Sie kennen sich als Rechtsanwältin nicht nur ganz gut mit Pferden aus, sie werden von Gerichten sogar als Sachverständige bestellt. Wie kommen Sie zu dieser Expertise und wann haben Sie bemerkt, dass sich Pferde und Recht verbinden lassen?
Meine Pferdepassion begann schon ganz früh: Ich konnte eher auf dem Pony sitzen als laufen und ab einem Alter von einem bis zwei Jahren habe ich keine Gelegenheit ausgelassen, meiner Mutter auszubüxen und unter den Koppelzäunen durchzukriechen, um bei den Pferden zu sein. Das liegt wohl in den Genen: Mein Urgroßonkel, bei dem meine Großmutter noch das Reiten lernte, hat 1928 in Amsterdam die erste olympische Goldmedaille für Deutschland in der Dressur gewonnen.
Nach meinem zweiten Staatsexamen 1996 habe ich zunächst zehn Jahre lang als Rechtsanwältin und Justiziarin mit Schwerpunkt Zivil- und Wirtschaftsrecht gearbeitet. Irgendwann habe ich mich gefragt, ob ich das nun für den Rest meines Lebens machen möchte. Just dann fiel mir ein Artikel in einer Pferdefachzeitschrift über öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige in die Hände. Da hat es "Klick" gemacht und ich begann, mich systematisch fortzubilden.
2008 legte ich dann vor dem Bayerischen Landwirtschaftsministerium meine Prüfung zur Sachverständigen ab. Parallel dazu begann ich, gezielt im Bereich Pferdesport zu akquirieren, mein Netzwerk auszubauen und mich mehr und mehr zu spezialisieren. Heute bin ich international im Bereich Pferdezucht und -sport tätig, sowohl als Sachverständige als auch als Rechtsanwältin. Ich habe z.B. Kunden in den USA, Frankreich, England, Indien.
Wieviel hilft Ihnen Ihr Fachwissen in der anwaltlichen Praxis?
Meine beiden Berufe - Rechtsanwältin und Sachverständige - ergänzen sich wunderbar: Als Rechtsanwältin hilft mir mein Fachwissen in Pferdefällen vor Gericht enorm, denn ich kann den Sachverständigen vor Gericht ganz anders begegnen als ein hippologischer Laie. Und als Gerichtsgutachterin mit juristischem Hintergrund kenne ich die feine Linie zwischen Sachvortrag und Rechtsausführungen besser als jeder landwirtschaftliche Sachverständige und überschreite sie tunlichst nicht. Auch der im Studium viel geübte Gutachtenstil hilft enorm, die Sachverhalte klar strukturiert auf den Punkt zu bringen.
"Zivilrecht am Hochreck"
Den Begriff "Pferderecht", mit dem Sie auch in diesem Interview eingeleitet werden, mögen Sie eigentlich nicht besonders.
Aus einem einfachen Grund: Es gibt im engeren Sinne kein Pferderecht und der Begriff rückt einen zu Unrecht in die Ecke "Fachfrau für Luxusprobleme". Das wird diesem Spezialgebiet nicht im Geringsten gerecht: Das Pferd ist in meiner anwaltlichen Tätigkeit das Einfallstor in eine hoch komplexe Rechtsmaterie. Wir "Pferderechtsspezialisten" betreiben meist Zivilrecht am Hochreck. BGB AT, allgemeines und besonderes Schuldrecht, hier insbesondere Kaufrecht und unerlaubte Handlungen, bewegliches Sachenrecht: Einige "meiner" Fälle tauchten schon so oder so ähnlich in Examensklausuren auf.
Mit welchen besonderen Schwierigkeiten müssen Sie in "Pferdefällen" umgehen?
Was die Materie in der Praxis so komplex macht, sind vor allem zwei Umstände: Der Umgang mit Pferden ist eine hoch emotionale Angelegenheit, aber ihre Haltung ist rechtlich und tatsächlich extrem anspruchsvoll. Das wird oft unterschätzt, die handelnden juristischen Laien wissen oft gar nicht, dass das vermeintlich Banale, was sie schriftlich vereinbart haben, eine komplizierte Vertragskonstruktion darstellt.
Gute Beispiele dafür sind Kauf-, Reitbeteiligungs- und Pensionsstallverträge, in denen es um relativ viel Verantwortung oder Geld geht. Die Rechtsgrundlagen z.B. bei Nutzungsrechten, Obhutsverträgen, Vorkaufsrechten, Ratenzahlungen, Übergaberegelungen, Gefahrtragungsregelungen sind juristisch nicht ohne.
Dennoch wird im Vorfeld selten ein Anwalt gefragt, stattdessen werden Vertragsmuster aus dem Internet heruntergeladen und unter Außerachtlassung des AGB-Rechts nach Belieben handschriftlich ergänzt oder geändert. Wenn der Deal dann schief geht, ist das einst Gewollte nur noch durch Vertragsauslegung zu ermitteln. Dann ist es für einen Anwalt nicht einfach, einem Richter, der Pferde oftmals nur aus dem Fernsehen kennt, diese eigene Welt zu erklären.
"Hochemotional - und das Recht ist nicht für den Pferdekauf gemacht"
Jeder Internetkauf über zehn Euro ist heute von einem umfassenden Regelwerk begleitet. Warum wird ausgerechnet in diesem Bereich, in dem es um recht viel Geld geht, vergleichsweise unbesonnen vorgegangen?
Am Anfang steht die Liebe zum Traumpferd. Da werden Bedenken gern zur Seite gewischt und die Folgekosten klein gerechnet. Hinzu kommen dann professionelle Verkäufer, Reitlehrer und Vermittler, die es hervorragend verstehen, die Kauflust zu wecken. Da ist es selbst für besonnene Geschäftsleute schwer, nicht wie die Milchmädchen zu rechnen, selbst wenn es ein offenes Geheimnis ist, dass im Pferdehandel reichliche Provisionen fließen. Transparenz und objektive Beratung ist da im Vorfeld oft nicht erwünscht – der Käufer will sich die Illusion nicht nehmen lassen und der Verkäufer möchte das Geschäft machen. Wenn es dann schief geht, wird vor Gericht abgerechnet.
Was ist nun der zweite Umstand, den Sie ansprachen?
Das Recht, insbesondere das Kaufrecht, ist nicht für den Pferdekauf gemacht. Das Pferd ist nach der Abschaffung der "Gewährsmängel" bei der Schuldrechtsreform in die Gesetzeslücke gefallen, es wird seither rechtlich zwangsläufig gleich behandelt mit Autos und Waschmaschinen. Das musste ja schief gehen.
Ein Pferd als normaler Gebrauchsgegenstand?
Genau. Der VIII. Senat des BGH hat deshalb das Kaufrecht anhand einiger Pferde-Fälle fortentwickeln müssen: Wann ist ein Tier "gebraucht", wann ist es "neu"? Welche Abweichung von einer physiologischen Norm begründet einen Sachmangel? Ist Unternehmer im Sinne des Gesetzes, wer Pferdezucht bloß als Hobby betreibt?
Das sind nur einige wichtige und examensrelevante Fälle von vielen. Das Pferd ist tatsächlich der "neue Gebrauchtwagen". Auch das Haftungsrecht wird häufig anhand von Pferdefällen fortgeschrieben, zuletzt z. B. in einer Entscheidung des BGH zur Tierhalterhaftung für einen Pferdetritt.
Ein weiterer Schwerpunkt Ihrer Tätigkeit ist die Tierarzthaftung. Gibt es da mehr als nur eine begriffliche Ähnlichkeit zum Arzthaftungsrecht, wie wir es aus dem "klassischen" Zivilrecht kennen?
Ja, so hat z. B. der BGH 2016 entschieden, dass sich die Beweislast bei Befunderhebungsfehlern zu Gunsten des Patientenbesitzers umkehrt - der Tierarzt muss genauso wie der Humanmediziner bei groben Behandlungsfehlern dann beweisen, dass die negative Folge auch bei einer lege artis durchgeführten Diagnostik, bzw. Behandlung eingetreten wäre.
Wie Sie berichten, ist die Materie sehr komplex und es geht um viel Geld. Dass muss doch zahlreiche Juristen in Ihre Nische ziehen. Wie groß ist die Konkurrenz?
In meinem Fall ist die Konkurrenz gar nicht so groß, denn es gibt nicht viele Rechtsanwälte, die auch als Sachverständige tätig sind. Mir fallen spontan nur ganz wenige Kollegen mit dieser Doppelqualifikation ein, die ich öfter vor Gericht treffe - bundesweit.
Ich kann Kollegen auch nur davor warnen, "Pferderecht" unter "Sonstiges" betreiben zu wollen. Wenn man es ordentlich machen will, dann reicht es nicht, Anwalt zu sein und zu wissen, wie ein Pferd aussieht. Jeder Fall ist ein Einzelfall und muss auf die Sondersituation von Tieren im Recht angepasst werden. Da werden die Akten schnell dick. Ohne Routine, ein gutes Netzwerk und vertiefte Sachkenntnis rechnet sich der schönste Gegenstandswert irgendwann nicht mehr.
Dagmar von Stralendorff-Grüttemeier ist Rechtsanwältin in Berlin und öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige für die Haltung, Zucht und Bewertung von Pferden. Zu ihren Mandanten gehören u. a. Pferdehalter, -händler, Gestüte, Versicherungen und Verbände.
Die Fragen stellte Maximilian Amos.
Pferderechtlerin im Gespräch: . In: Legal Tribune Online, 17.08.2019 , https://www.lto.de/persistent/a_id/37079 (abgerufen am: 13.12.2024 )
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