Neue Arbeitsweisen in Kanzleien

"New Work heißt nicht kuscheln"

von Dr. Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Strenge Billable-Hours-Vorgaben, an fünf Tagen ins Büro und Berge an Papierakten – das entspricht nicht mehr dem Zeitgeist. Absolventen erwarten mehr Flexibilität – und mehr Eigenverantwortung. Wie sieht "New Work" in den Kanzleien aus?

"Das Gesamtpaket muss stimmen, da reicht das Geld allein bei den meisten Kandidaten bei weitem nicht aus". Daja Apetz-Dreier, Office Managing Partnerin von Reed Smith in München, findet deutliche Worte. Zwar buhlen die Kanzleien immer noch mit stetig steigenden Einstiegsgehältern um den juristischen Nachwuchs, aber die Erwartungen der Bewerberinnen und Bewerber haben sich verändert. "Von Kanzleien wird zunehmend Flexibilität in der Arbeitsweise und im Hinblick auf die Karriereplanung erwartet", so Apetz-Dreier.

Punkten können die Kanzleien vor allem auch mit neuen Arbeitsmethoden: Unter dem Stichwort "New Work" werden u.a. Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und digitale Arbeitsweisen diskutiert. Auch die Zusammenarbeit im Team, die Unternehmenskultur oder die Pro-bono-Arbeit spiele eine Rolle, sagt Apetz-Dreier.

Potenzielle Arbeitgeber haben zunehmend mit sinkenden Absolventenzahlen zu kämpfen: Im Jahr 2020 haben knapp über 9.000 Menschen das Erste Staatsexamen absolviert, 2019 waren es noch knapp 9.500. Seit dem Jahr 2012 war die Anzahl kontinuierlich von ursprünglich 7.600 angestiegen. Auch beim Zweiten Staatsexamen gab es einen leichten Rückgang, von knapp über 8.000 auf 7.818. Seit 2017 war auch diese Absolventenzahl stetig angestiegen.

Was tun die Kanzleien, um die Absolventinnen und Absolventen zu überzeugen – und wie sieht "New Work" bei ihnen aus?

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"New Work bedeutet für uns, sich auf Augenhöhe zu begegnen"

Das Konzept von New Work geht ursprünglich auf den österreichisch-US-amerikanischen Sozialphilosophen und Anthropologen Frithjof Bergmann zurück (1930-2021). Bergmann zufolge sollten sich Menschen "aus der Knechtschaft der Lohnarbeit befreien und künftig mehr Zeit für Teilhabe an der Gemeinschaft haben". Heute wird der Begriff überwiegend abweichend interpretiert und beschreibt den strukturellen Wandel der Arbeitswelt, hin zu überwiegend digitalen Arbeitsmethoden und flexibleren Arbeitsmodellen.

Allerdings hat wohl jeder ein eigenes Verständnis von New Work und den damit einhergehenden Veränderungen im Arbeitsleben – und das scheint auch ganz im Sinne Bergmanns zu sein: Weg von starren Abläufen und hin zu mehr Freiheit und Kreativität.

"New Work bedeutet für uns, sich auf Augenhöhe zu begegnen", so etwa Apetz-Dreier. Bei Reed Smith nähmen Flexibilität und Freiräume für Entwicklung einen hohen Stellenwert ein. Dafür brauche es allerdings die "richtige Balance zwischen Eigenverantwortung, Rücksprache und Feedback".

Mehr Freiheiten, aber auch mehr Verantwortung

Bei der Arbeitsrechtsboutique vangard | Littler arbeiten die Associates nach Kanzleiangaben vom ersten Tag an hierarchiefrei und eigenverantwortlich. "So ist einfach der Zeitgeist", sagt Alexander Bartz, personalverantwortlicher Partner am Düsseldorfer Standort. An motivierten Bewerberinnen und Bewerbern mangelt es der Kanzlei nicht. "Wir haben irgendwann entschieden, viele Dinge anders zu machen – und das hat sich rumgesprochen", so die Erklärung von Bartz. Nicht nur die Associates, sondern auch die Rechtsanwaltsfachangestellten (ReFas) kommen fast ausschließlich aufgrund persönlicher Empfehlungen zu vangard | Littler, sagen Helena Grauel und Nicole Hirche, Office Managerinnen in Düsseldorf bzw. Hamburg.

Was genau macht die Kanzlei anders? Zum einen setzt sie vollständig auf eigenverantwortliches Arbeiten. Das bedeutet mehr Freiheit für alle Mitarbeitenden, im anwaltlichen und nicht-anwaltlichen Bereich, die man aber auch ausfüllen muss. "Man kann sich nicht darauf ausruhen, dass der Partner das dann schon macht", sagt Jan-Ove Becker, personalverantwortlicher Partner bei vangard | Littler in Hamburg.

Es gibt keine starren zeitlichen Vorgaben mehr und der Spinning-Kurs um 17 Uhr ist kein Problem – die dringende Arbeit kann man auch danach noch erledigen. Mit den vielen Freiräumen kommen nicht alle klar; viele, gerade auch junge Associates brauchen strengere Vorgaben und ein Gerüst, an dem sie sich entlanghangeln können. Die Kanzlei ziehe aber die Mitarbeitenden an, die zu ihr passen, sind sich alle einig. 

"Wir brauchen keine Kopien der älteren Partner"

Vangard | Littler ist geprägt durch die eigene Kanzleikultur. "Eine Kanzlei lebt durch Vielfalt. Wir brauchen keine Kopien der älteren Partner. Die Mitarbeiter können und sollen ihre Charaktere ausleben und so akzeptiert werden", sagt Becker.

Bei allen Freiräumen bleibt eine Kanzlei aber ein Wirtschaftsunternehmen und muss Geld erwirtschaften. "New Work heißt nicht kuscheln", sagt Becker. Wenn man die Mitarbeitenden aber gut behandelt, arbeiten sie auch besser. 

Zentral ist daher auch die Wertschätzung – und zwar gegenüber allen Mitarbeitenden. "Wenn ich auf die Idee kommen würde, Privilegien für Anwälte zu etablieren oder ein Anwaltsessen zu veranstalten, dürfte ich nur noch gebückt über die Flure laufen", sagt Bartz. Ob das in allen Kanzleien so wäre?

Arbeit aus dem Homeoffice – oder aus Australien

Häufig dürften die Flure allerdings nur digital zu sehen sein – denn alle Mitarbeitenden der Kanzlei können remote arbeiten. Das kann auch aus dem Ausland sein, wenn die sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Bestimmungen eingehalten werden. So hat eine ReFa zeitweise in Australien gelebt und von dort aus gearbeitet, erzählt Bartz. Durch die örtliche Flexibilität ergäben sich auch neue Möglichkeiten beim Recruiting, wenn zum Beispiel eine Bewerberin oder ein Bewerber nicht ins teure Hamburg ziehen will.

Zumindest das Homeoffice setzt sich bei vielen Kanzleien mittlerweile an einigen Tagen durch. Die Anwältinnen und Anwälte bei Reed Smith sind in der Regel an drei Tagen in der Woche im Büro, die innerhalb der Teams abgestimmt und kommuniziert werden. Homeoffice sei ein normaler Bestandteil der Arbeitskultur, dennoch will die Kanzlei "nach wie vor unsere Kultur und unseren Zusammenhalt leben und unsere Talente ausbilden und fördern". Das gehe im Homeoffice nur teilweise.

Auch Arqis setzt mit dem "HybridWork@ARQIS-Konzept" auf örtliche Flexibilität. Homeoffice funktioniere, das habe man spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie gesehen. Jetzt gibt es ein Hybridmodell, das keine festen Vorgaben macht. Die Kanzlei wünscht sich aber, "dass jeder Privatleben und Beruf bestmöglich vereinen kann, aber dennoch gerne ins Büro kommt. "Spaß und Freude im Büro entstehen durch das Team", meint Dr. Andrea Panzer-Heemeier, geschäftsführende Partnerin von Arqis.

Bei Heuking Kühn Lüer Wojtek ist ebenfalls Homeoffice möglich, wenn das gewünscht wird. Eine stärkere Anwesenheit in Präsenz kann aber "insbesondere bei Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern, bspw. im Hinblick auf die Vernetzung mit Kolleginnen und Kollegen, die Zusammenarbeit im Team oder auch die Zusammenarbeit innerhalb der Praxisgruppe notwendig sein, um die Ausbildung und Integration der jungen Anwältinnen und Anwälte optimal zu gewährleisten", so Boris Dürr, Managing HR-Partner.   

Ein immer noch weit verbreitetes Argument gegen das Arbeiten außerhalb der Kanzleiräumlichkeiten ist die fehlende Kontrolle, dass die Mitarbeitenden auch tatsächlich arbeiten. Davon halten viele aber wenig: "Wir Anwälte schreiben timesheets. Es gibt kaum einen Job, bei dem die Produktivität besser messbar ist", sagt Becker.

"Talent Hub" für juristischen Nachwuchs in Berlin

Eine weitere Form von "New Work" gibt es bei Arqis: Im Dezember 2022 hat die Wirtschaftskanzlei den sogenannten "Talent Hub" am Gendarmenmarkt in Berlin eröffnet, also keinen offiziellen neuen Kanzleistandort, sondern einen Platz zum Arbeiten für Arqis-Anwälte in Berlin-Mitte. Der Hub ist nach Kanzleiangaben "eine Art 'Dockingstation' für Jurist:innen, die für Arqis arbeiten, aber nicht aus Berlin wegziehen wollen", heißt es in einer Pressemitteilung.

Die Idee dafür hatten die Anwälte Dr. Friedrich Gebert und Dr. Astrid Seehafer, die beide von Berlin aus arbeiten. "Es gibt wenige Städte mit einer vergleichbaren Anziehungskraft und Anzahl an hochmotivierten Talenten auch im juristischen Bereich. Ihnen bauen wir mit dem Talent Hub eine neuartige Brücke", sagt Seehafer. Die Mitarbeitenden im Talent Hub sind vertraglich an die Kanzleistandorte in Düsseldorf oder München angebunden und dort einem Team zugeordnet. Vor-Ort-Support etwa durch ein Sekretariat gibt es zwar nicht, die derzeit sechs Arbeitsplätze sind aber in die IT-Infrastruktur der Kanzlei integriert. "Es gibt bei uns nicht die klassische Büroatmosphäre, aber wir bieten deutlich mehr Anknüpfungspunkte als die Kanzleien, die ihren Beschäftigten dauerhaft die Tätigkeit im Homeoffice ermöglichen", erläutern die Gründer.

Mit dem Talent Hub will Arqis für den Nachwuchs in Berlin attraktiver werden, erklärt Gebert. Eine wissenschaftliche Mitarbeiterin und eine Referendarin hat die Kanzlei seitdem in Berlin eingestellt, erläutert Panzer-Heemeier. Auch Mitarbeitende anderer Kanzleistandorte haben in Berlin nun eine Anlaufstelle, erklärt sie. "Unser Ziel ist es, beste Bedingungen zu schaffen, damit alle ARQIS Mitarbeiter größtmögliche Flexibilität leben können", so Panzer-Heemeier.

"Auch Hinhören ist ein Teil von New Work"

Um die örtliche Flexibilität zu gewährleisten, muss man die IT-Landschaft anpassen. Nahezu jede Kanzlei hat viele ihrer Arbeitsabläufe digitalisiert: Videocalls statt Reisen zum kilometerweit entfernten Mandanten, digitale Akten und Tablet oder Laptop bei Gericht anstatt schweren Papierakten.

Auch Tools und Methoden aus dem Projektmanagement sind im Anwaltsalltag angekommen: Kanban-Boards, mit dem man Aufgaben visualisieren kann oder die Scrum-Methode, mit der kleine Teams selbstorganisiert arbeiten können, erleichtern die tägliche Arbeit. Mit Microsoft Planner etwa kann man Projekte steuern, Pläne erstellen und Aufgaben zuweisen. Häufig gibt es keine festen Arbeitsplätze mehr. Mithilfe von Raumplanungstools kann man sich dann einen Büroplatz buchen.

Im Vergaberechtsteam von Heuking-Partner Dr. Martin Schellenberg sitzen wissenschaftliche Mitarbeitende, Anwältinnen und Anwälte und Projektmanagerinnen, wöchentlich wechselnd in unterschiedlichen Konstellationen, in gemischten Zweier- oder Dreierbüros. Das Team probiert derzeit verschiedene agile Arbeitsmethoden aus – und ein wesentliches Element ist die Aufgabe klassischer Hierarchien. Es gibt keine Anwaltsrunden mehr, sondern Scrum-Meetings mit allen Teammitgliedern.

Homeoffice, flexible Arbeitszeiten und neue Arbeitsmethoden – das alles und noch mehr kann New Work sein. Häufig sind es aber die vermeintlich kleinen Dinge, die die Mitarbeitenden schätzen: "Auch Hinhören ist ein Teil von New Work", sagt Becker.

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