Vorurteil Großkanzleien

Nicht immer mit Biegen und Brechen zum Erfolg

Adrian BechtoldLesedauer: 5 Minuten
Hohe Anforderungen, begehrte Plätze und Arbeit bis ins Wochenende. Wer in Großkanzleien "schafft", hat es nicht einfach. So zumindest das Vorurteil. Große Wirtschaftskanzleien sind oft das Karriereziel schlechthin und doch ranken sich viele Mythen rund um den Job vor Ort. Wir haben nachgefragt und versucht, Licht ins Dunkel zu bringen.

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Juristen haben oft wenige Karriereziele. Zu groß die Auswahl und zu sehr abhängig von den Examensnoten. Wer es sich aussuchen kann, hat schnell entschieden. Entweder lockt der öffentliche Dienst mit freizeitverwöhnten Arbeitszeiten oder die Karriere in der Großkanzlei. Die Namen der angesehensten Kanzleien kreisen schnell und jeder hat schon einmal etwas aus den gläsernen Kanzleitürmen gehört - oder kennt zumindest einen Bekannten, der etwas gehört hat. Gutes gibt es meist nur über das Gehalt. Und wirklich: Großkanzleien bezahlen Berufsanfängern deutlich mehr als kleine oder mittelständische Kanzleien sowie Unternehmen. Mit ungefähr 100.000 Euro pro Jahr kann ein Einsteiger bei einer internationalen Sozietät rechnen, während in anderen Unternehmen durchschnittlich nur 60.000 Euro bezahlt werden. Monetär spricht also alles für die "großen Fische" im Kanzleienmarkt. Weniger zuversichtlich stimmen nur die Gerüchte rund um die Jobbedingungen.

Mit gutem Examina hinein, mit Ellenbogen höher

Vor allem Arbeitsstress in den Kanzleien steht die Anstellung. Mehr als zwei vollbefriedigende Staatsexamina braucht es dafür nicht, so der häufige Irrglaube. Allein herausragende Examina seien das Eintrittsticket in jede Großkanzlei. Jedoch weit gefehlt. Kanzleien sehen den Bewerber deutlich differenzierter. "Gute Examina sind vielleicht Garant für ein Vorstellungsgespräch, ab dann zählen jedoch andere Werte", berichtet HR-Manager Torsten Schneider von Luther. Teamfähigkeit, außeruniversitäres Engagement und Vorkenntnisse sind dann ähnlich wichtig wie die Examensnote. Auch Erfahrung im Ausland und Englischkenntnisse zählen. Nur mit guten Noten kann kein Bewerber punkten. Die Hürde des Einstellungsgespräches genommen, möchten höhere Ziele erreicht werden. Equity-Partner ist dabei das Ziel. Selbstständig direkt am Erfolg der Kanzlei mitverdienen möchte jeder Associate einmal; erreichen werden es jedoch nur die Wenigsten. Mit Ellbogen und niederträchtigen Spielen soll in den Kanzleien um Aufstiegsmöglichkeiten gebuhlt werden, heißt es zumindest. Der Weg zum Partner ist dabei lang. Erfolge müssen verzeichnet und im besten Falle schon neue Mandanten akquiriert werden. Wesentlich einfacher, wenn der Gegenspieler mit vielleicht nicht ganz lauteren Mitteln am Erfolg gehindert wird. Solange es nicht auffällt, ist das doch kein Problem! Doch moderne Hahnenkämpfe werden in den Kanzleien nicht gerne gesehen - aus ganz einfachem Grunde: es ist schlecht für den Erfolg. "Kollegiales Verhalten ist eine unserer wichtigsten Prämissen und am meisten geschätzten Eigenschaften, Rangstreitigkeiten sind daher extrem selten und nicht erwünscht", sagt Kirsten Floss, HR-Partnerin von Freshfields Bruckhaus Deringer. Etwas differenzierter sieht es Wolfgang Bake von CMS Hasche Sigle. "Eine gefühlte Rivalität auf Seiten der Associates kann dann entstehen, wenn Karriereperspektiven aus deren Sicht limitiert erscheinen. Durch unseren im Wettbewerbsvergleich höheren Partneranteil und unser neues Karrieremodell sind wir hier gut aufgestellt", so der HR-Manager. Rangstreitigkeiten wird es trotzdem immer geben. Nur für den Karriereweg gibt es bessere Methoden. Allerdings, die Chancen auf einen Partnerstatus sind bei Großkanzleien generell besser als in kleineren Büros, da diese den Associates seltender die Möglichkeit zum Partner einräumen.

Lange, mit der Familie unvereinbare Arbeitszeiten

Es existiert das Gerücht, Bewerber würden die favorisierte Kanzlei ein paar Tage vor dem Bewerbungsgespräch besuchen. Am Abend, um ungefähr 22 Uhr. Wenn noch viele Lichter die Büroräume erleuchten, ist die Sachlage klar. Lange Arbeitszeiten sind ein immer wieder propagierter Makel von Großkanzleien. Juristisch gesprochen kommt es dabei jedoch ganz auf den Einzelfall an. 
Wer geregelte Arbeitszeiten von 9 bis 17 Uhr möchte, ist bei einer Wirtschaftskanzlei falsch. Je nach Fachgebiet variiert die Arbeitsbelastung teilweise stark und durchgearbeitete Nächte sind oft keine Seltenheit. Ein Alleinstellungsmerkmal für die Kanzleien ist das jedoch nicht. "Ich komme aus der Industrie und auch dort waren lange Arbeitszeiten bei hochqualifizierten Angestellten normal", erzählt Torsten Schneider. Viele Stunden im Job zu verbringen bedeutet jedoch nicht, sinnlose Zeit am Schreibtisch zu verbringen. Präsenzpflichten gibt es bei Großkanzleien kaum und nur die tatsächliche Arbeit wird im Büro verbracht. "Es bringt niemandem etwas, wenn ein Associate glaubt, sich spätabends aus dem Büro schleichen zu müssen, um nicht unangenehm aufzufallen", erzählt Floss mit einem Lächeln. Ruhige Zeiten dürfen durchaus auch außerhalb des Büros verbracht werden. Flexibilität ist gefragt. Anwälte in Großkanzleien arbeiten viel. Verständlich, dass Zeit mit der Familie eher selten zu den positiven Effekten der Großkanzleien gezählt wird. Kirsten Floss von Freshfields kann dieses Vorurteil jedoch so nicht stehen lassen und spricht von "Netto-Zeit": "Genügend Zeit mit der Familie ist sehr wichtig, und unsere Associates sind nicht zuletzt auch aufgrund ihres Gehalts so flexibel, dass sie wirkliche Qualitätszeit mit Partner und Kindern organisieren können", berichtet sie aus eigener Erfahrung. Auch neue Arbeitsmodelle kämpfen gegen Vorurteile an. Immer mehr Kanzleien bieten selbst in der Partnerschaft eine Teilzeitarbeit an, damit Hochqualifizierte erhalten bleiben. Auch neue Arbeitsformen wie die Möglichkeit der lebenslangen Anstellung ohne Partner-Druck werden erprobt. Zum Schluss bleibt es jedem Anwalt selbst überlassen, welche Opfer er eingehen möchte. Möglichkeiten für alle Lebensmodelle existieren oder werden gerade ausgebaut.

Überspezialisierte Arbeit

Eine weit verbreitete Einschätzung ist ebenfalls, dass Anwälte in internationalen Sozietäten nur ein kleines Rad im Getriebe sind und nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Falles bearbeiten. Der Fachansprechpartner für ermäßigte Umsatzsteuersätze ist das Paradebeispiel für solch eine "spezialisierte Arbeit". Überhaupt vermuten viele, dass Kanzleien jeden Associate für die höchste Profitabilität in eine Ecke zwängen. Doch das Gegenteil ist der Fall. "Die berühmten Fachidioten brauchen wir nicht. Spezialisierungen sind wichtig aber ohne Rundumblick kann die tägliche Arbeit kaum gelingen", sagt Stefan Galla, Partner von Luther. Kanzleien engagieren sich im Rahmen von Schulung und Seminaren für fachfremde Themengebiete, damit das gewonnene Allgemeinwissen bei der spezialisierten Arbeit unterstützen kann. "In einigen Bereichen gibt es aufgrund einer besonderen Materie auch hochspezialisierte Anwälte. Solche Spezialisierungen entstehen ganz individuell, wir zwingen niemandem etwas auf", gibt Kirsten Floss an. Jura scheint einfach zu weit für Allrounder. Spezialisierungen entstehen oft aus einem universtären Interesse heraus und verfestigen sich mit der Zeit - oder entwickeln sich ganz neu während der Kanzleiarbeit. Die Angst vor dem Tunnelblick ist jedoch unbegründet. Vorurteile existieren und werden von Generation zu Generation überliefert. Bewerber bei Großkanzleien wissen jedoch genau, an welchem Tisch sie sich gerade vorstellen. Mittlerweile existieren viele Wege, um in direkten Kontakt mit den wichtigen Personen zu kommen. Während Praktika oder Messen muss jeder Bewerber selbst entscheiden, ob Großkanzleien im Generellen und ob diese Sozietät im Speziellen eine Möglichkeit für die Zukunft darstellen könnte. Vorurteile sind schnell beiseite gelegt und warten nur darauf, vom Nächsten aufgeschnappt zu werden. Ganz verschwinden werden die Mythen der großen Glastürme wohl nie.

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