Seniorenrecht

Juristen für Altersfragen gesucht

von Daniel GrosseLesedauer: 5 Minuten
Die demografische Entwicklung eröffnet einen neuen Markt für findige Juristen: das Seniorenrecht. Die Themen reichen vom Medizin- zum Verkehrsrecht, vom Sozial- bis zum Arbeitsrecht. Auch technische Entwicklungen bieten rechtlichen Beratern interessante Perspektiven.

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Auf der Themenliste des Berliner Seniorenrechtstages im April stand unter anderem: "Flexible Altersgrenzen in der gesetzlichen Rentenversicherung", "Pflege und Betreuung von Eltern – was bringt's?", "Technische Unterstützung für das Leben im Alter" oder "Rechtsfragen im Leben eines Heimbewohners". In der Rechtsanwaltschaft haben immer mehr Kolleginnen und Kollegen den Schwerpunkt "Seniorenrecht". Sie betten das Thema ein in die Spezialisierung zum Fachanwalt für Familienrecht und Fachanwalt für Sozialrecht. Wie wahrscheinlich ist es, dass es in naher Zukunft die Fachanwaltsbezeichnung "Seniorenrecht" in Deutschland geben wird? Bei einem Fachanwalt für Seniorenrecht müsste erkennbar werden, wodurch er sich von den jenen für Erbrecht, für Familienrecht und für Sozialrecht,  - möglicherweise auch für Arbeitsrecht – unterscheidet. Bislang ist der für die Fachanwaltschaften zuständige Ausschuss mit dem Thema Seniorenrecht allerdings noch nicht befasst worden, war jüngst von Susanne Offermann-Burckart zu erfahren. Die Rechtsanwältin ist Mitglied der Satzungsversammlung bei der Bundesrechtsanwaltskammer. Dabei gibt es in anderen Ländern Vorbilder dafür, wie und warum eine Gesellschaft typische Rechtsfragen, die Ältere betreffen, professionalisieren sollte. Ein Beispiel könnte man sich an den USA nehmen. Dort gibt es längst das Elder Law und den Elder Law Attorney. "Mit einem Fachanwalt für das Recht der Älteren könnte das praktische Bedürfnis nach Rechtsrat in den spezifisch Ältere interessierenden Rechtsfragen befriedigt werden", stellt der Jurist Professor Markus Roth aus Marburg in einem Fachaufsatz fest. Rechtsanwalt Ronald Richter sieht das anders. Seiner Ansicht nach braucht es keine Fachanwälte für Seniorenrecht. Mit dem Sozialrecht, Familienrecht, Steuerrecht oder auch Arbeitsrecht gebe es bereits "ausreichende, griffige Fachanwaltsbezeichnungen". Und tatsächlich sind es ja in erster Linie die Verbraucher, die sich an solchen Bezeichnungen orientieren sollen. Eine Fachanwaltschaft "Senioren oder Ältere" muss ihnen nützen und sie nicht verwirren. Auch deshalb, weil sich die meisten seniorenrechtlichen Fragen in den vier erwähnten Rechtsgebieten stellten, hält Ronald Richter einen etwaigen Fachanwalt für Seniorenrecht für "schlicht überfordert. Und dem Mandanten würde das keinesfalls helfen."

"Knappe Kassen bedeuten auch immer angreifbare Entscheidungen"

Ob die Fachanwaltschaft für Seniorenrecht nun kommt oder nicht, die Rechtsberatung für Senioren, Ältere, Best-Ager ist in jedem Falle wirtschaftlich ein Markt der Zukunft und bereits jetzt ein attraktives Arbeitsfeld für Jungjuristen, Anwälte, Uni-Mitarbeiter, Verbands- und Unternehmensjuristen. Auch Felder wie das Leistungsrecht der Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung werden immer bedeutsamer. "Knappe Kassen bedeuten auch immer angreifbare Entscheidungen", sagt Ronald Richter. Insbesondere beim Thema Kostenübernahme für neue Hilfsmittel durch Krankenkassen ist rechtlich Musik drin. Zwar sind die Gesetzlichen Krankenkassen grundsätzlich zur Kostenübernahme verpflichtet, wenn neue Hilfsmittel in das Hilfsmittelverzeichnis aufgenommen worden sind. Doch Ingenieure und Mediziner haben zu diesem Zeitpunkt längst schon neue, bessere Geräte entwickelt: zum Beispiel Hörhilfen, Krankenfahrzeuge, High-Tech-Prothesen, Orthesen oder Inhalations- und Atemtherapiegeräte. "Durch fundierten rechtlichen Rat können unsere Mitglieder nach außen besser argumentieren", sagt Norbert Stein, Geschäftsführer beim Bundesinnungsverband für Orthopädie-Technik in Dortmund. Er sieht auf jeden Fall einen Bedarf für Juristen, die sich mit altersspezifischen Themen auskennen. "Oder denken Sie etwa an die 70-Jährigen, für die es schon heute nahezu unmöglich ist, einen Raten-Kredit für eine Hausfinanzierung zu bekommen, obwohl das Einkommen und Vermögen geordneter ist als bei jedem 20-Jährigen", sagt Rechtsanwalt Ronald Richter. Themen, Themen, Themen.

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Neue Herausforderungen auch im Verkehrsrecht

Juristen, die Arbeitsmärkte der Zukunft suchen, schauen auch aufs Verkehrsrecht. Die Straße ist ein Terrain, auf dem sich Helmut Faust auskennt. Der 68-Jährige ist Fachmann fürs Autofahren im Alter, macht Lehrfilme dazu und ist unter anderem Fahrlehrer aller Klassen und Dozent der Fahrlehrer-Aus- und Weiterbildung. Aus seiner Erfahrung heraus würde er spätestens ab 60 für alle älteren Kraftfahrzeugführer zumindest einen gesetzlich vorgeschriebenen Sehtest einführen. Und zwar alle zwei Jahre. "Bedenken Sie", sagt Helmut Faust, "es gibt das kalendarische, das psychologische und das medizinische Alter. Die können bei einem Menschen jeweils vollkommen voneinander abweichen." Jemand ist zum Beispiel 60, fühlt sich wie 50, hat aber einen Körper wie ein 70-Jähriger. Beim Verkehrsrecht und der Verkehrserziehung seien die Älteren in seinen Kursen extrem interessiert. Neue Regeln zu kennen, sei ihnen wichtig, so Faust. Ein Beispiel: Wie verhalte ich mich als Autofahrer in und nach einem verkehrsberuhigten Bereich, einer Spielstraße? Weiteres Beispiel: Halte- und Parkverbote. Es gibt heute viel mehr Verkehrsschilder als früher. Auch Zusatzschilder, die die Verkehrsschilder ergänzen. Viele Signale, vieles, das auch die älteren Fahrer kennen und umsetzen müssen. Hier kommen die Juristen ins Spiel. Warum kooperieren Verkehrsrechtler nicht verstärkt zum Beispiel mit Fahrschulen? Entwickeln Schulungen und auf Ältere zugeschnittenes Lehrmaterial? Eine weitere Perspektive für Juristen: Die Lebensarbeitszeit verlängert sich. Nicht nur ältere Selbstständige sind weiterhin auf ihr Fahrzeug angewiesen. Verkehrsrechts-Experten könnten gemeinsam mit Unternehmen und Industrie- und Handelskammern Schulungen oder Vorträge anbieten. Der demografische Wandel schafft so nicht nur zusätzlichen Beratungsbedarf, sondern bringt den Kooperationspartnern auch einen Imagegewinn: durch ein Engagement für Ältere.

Seniorenrecht beginnt schon bei den eigenen Eltern

Recht für Ältere, ein Seniorenrecht, muss sich an seiner Zielgruppe orientieren. Eine starre Altersgrenze gibt es indes nicht. "Das Seniorenrecht beginnt nicht erst, wenn die Menschen gebrechlich und vergesslich werden, sondern bereits dann, wenn sie für sich oder ihre Eltern vorbeugen wollen", sagt Rechtsanwalt Philipp Wendt, Geschäftsführer der Deutschen Anwaltakademie in Berlin. 30, 40, 50 Jahre. Das Alter für derlei Vorsorgethemen ist fließend. Und er hat einen Tipp: "Die Patientenverfügung oder der Umgang mit Dementen im Heim ist auch arbeitsrechtlich ein Knaller", so Wendt. Schließlich könne eine Heimleitung ihr Pflegepersonal hier nicht rechtlich sicher anweisen. Fehler, Unsicherheiten, unklare Vorgaben oder falsche Behandlungen haben gravierende Folgen. Auch mietrechtlich brauchen Ältere bisweilen besondere Hilfe. Zwei Beispiele liefert Georg Zenker, auf Seniorenrecht spezialisierter Rechtsanwalt aus Berlin: Mieter stehen einer Sanierung des Hauses, der Umwandlung in Eigentumswohnungen oder einfach einer Mieterhöhung im Weg. Bekanntlich führen Neuvermietungen zu oft kräftigen Mieterhöhungen. "Eine ältere Dame mit einem alten Mietvertrag und einer entsprechend günstigen Miete wurde deshalb aus ihrer Wohnung gemobbt", berichtet Georg Zenker. Auch gegen vorschnelle Entmündigungen und die Einrichtung einer Betreuung kämpft der Berliner Rechtsanwalt immer wieder. Vor zwei Jahren schrieb Martin Rath: "Wenn dann auch der letzte Rollator GPS-gesteuert durch die Straßen navigiert, wird es wohl längst ein eigenes ‚Seniorenrecht‘ geben." Fraunhofer-Forscher sind technologisch schon ganz nah dran. Ob die Bundesrechtsanwaltskammer nachziehen wird, können Sie in zwei weiteren Jahren vielleicht an dieser Stelle lesen.

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