Traumatisierte Mandanten

Gratwanderung zwischen Professionalität und Anteilnahme

von Veronika RaithelLesedauer: 4 Minuten
Die betrogene Ehefrau, der Unfallverursacher, das Gewaltopfer: Anwälte müssen sich mit menschlichen Tragödien auseinandersetzen. LTO sprach mit Dr. Regina Karl, stellvertretende Leiterin der Traumaambulanz der LMU München, wie dabei die Gratwanderung zwischen Anteilnahme und professioneller Sachlichkeit gelingt.

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Fast jeder Anwalt kennt psychologische Extremsituationen. Oft stehen selbst die erfahrensten Juristen hilflos da. Wie bekomme ich die für die juristische Bearbeitung wichtigen Informationen? Wie gehe ich gleichzeitig mit einer traumatisierten Person richtig um? In diesen Momenten entwickelt der Mandant grundlegendes Vertrauen zu seinem Rechtsbeistand – oder er gewinnt es nie mehr. Dr. Regina Karl rät: Zuhören, sachlich bleiben und gut gemeinte Ratschläge vermeiden. LTO: Frau Dr. Karl, nimmt aus Ihrer Erfahrung die Zahl derjenigen, die bei Ihnen Hilfe suchen, zu? Dr. Karl: In den letzten Jahren haben zunehmend mehr traumatisierte Menschen Hilfe bei uns gesucht. Das Bewusstsein in der Öffentlichkeit hat sich gewandelt. Auch die Krankenkassen, Berufsgenossenschaften und ähnliche Institutionen sehen mittlerweile die Notwendigkeit auch psychologischer bzw. psychotherapeutischer Behandlung. Leider gibt es aber viele, die oft monatelang nach einem geeigneten (Trauma-)Therapeuten suchen. LTO: Der Anwalt ist kein Profi im Umgang mit Personen in psychischen Ausnahmesituationen. Was sollten aber aus Ihrer Sicht auch Juristen unbedingt in solchen Fällen beachten? Dr. Karl: Es ist ganz wichtig, dass die eigenen Grenzen beachtet werden: Was ist meine Rolle? Was kann ich tun? Ein falsch verstandenes Mitgefühl ist für beide Seiten wenig hilfreich. Oft will der Betroffene einfach nur erzählen und erwartet gar keinen Rat oder Trost. Sicher ist es schwierig, dieses Erzählen, das auch für den Zuhörer sehr belastend sein kann, einfach auszuhalten. Die Grenzen können aber zum Beispiel dadurch gesetzt werden, dass auf den Unterschied zwischen dem juristischen Sachverhalt, den der Anwalt abarbeiten soll, und im Gegensatz dazu auf die emotionale Ebene, wie Schuldgefühle, hingewiesen wird. LTO: Was sollte man als Anwalt in solchen Situationen sagen? Dr. Karl: In jedem Fall muss der Betroffene ernst genommen werden. Es sollen keine Bewertungen, wie "das ist alles nicht so schlimm" oder "das ist kein Beinbruch" erfolgen. Auch Sätze wie "Ich kann nachfühlen, wie es ihnen jetzt geht" sollten unbedingt vermieden werden. Es ist nie möglich, die jeweilige Situation wirklich genau nachzufühlen. Vorsicht ist auch bei Ratschlägen geboten. Jemand, der große Probleme im Beruf hat, kann den hingeworfenen Tipp, sich "einfach" eine andere Arbeitsstelle zu suchen, als extrem belastend empfinden, auch wenn der Rat aus juristischer Sicht passend ist. Problematisch sind auch Feststellungen wie: "Sie haben den oder den Fehler gemacht". Fühlt sich zum Beispiel der Mandant belastet, weil durch sein Verhalten ein Radfahrer schwer verletzt wurde, ist es besser, sich als Anwalt auf die Tatsachen zu konzentrieren. Also zum Beispiel nur zu fragen: "Wo standen Sie? Was haben Sie gesehen?"

Therapeutische Hilfe notwendig? Anzeichen erkennen

LTO: Wie kann ich erkennen, dass mein Mandant die professionelle Hilfe eines Therapeuten braucht? Kann ich darauf hinweisen? Dr. Karl: Wenn eine Person ein Problem sehr lange mit sich trägt und dieses das ganze Leben verändert, sind dies solche Anzeichen. Zum Beispiel wenn jemand nach einem Unfall die Arbeitsstelle nicht mehr aufsuchen kann oder sich weitgehend nicht mehr aus dem Haus traut. Die normale Routine ist gestört, das Leben aus der Bahn geworfen. Auch wenn Wiederholungen auftreten, zum Beispiel wenn jemand in jeder neuen Arbeitsstelle gemobbt wird oder sich gemobbt fühlt, kann psychologische Hilfe erforderlich sein. Sicher ist ein Hinweis möglich und wird in vielen Fällen auch als professionell angesehen. Schließlich soll dem Mandanten ja umfassend geholfen werden. Leider ist die Zusammenarbeit zwischen Anwälten und Psychotherapeuten noch sehr wenig ausgeprägt. Es kommt so oft zu einem Nebeneinander, das dem Betroffenen unter Umständen sogar mehr schadet als nützt. Auch wenn jeder in seiner Profession das Beste gibt, wäre oft eine Absprache wichtig. LTO: Was mache ich, wenn ein vollkommen aufgelöster Mandant plötzlich droht: "Ich bringe mich um!"? Dr. Karl: Eine solche Situation sollte immer sehr ernst genommen werden. Der Betroffene sollte auf keinen Fall alleine gelassen werden. Nur wenn er wirklich glaubhaft versichert, dass die Äußerung nicht ernst gemeint war, kann er die Kanzlei verlassen. Es ist aber oft sehr problematisch, dies auch wirklich abzuschätzen. Ist die Lage noch überschaubar, sollte angeboten werden, Verwandte oder Freunde zu benachrichtigen, die den Betroffenen abholen. Bestehen aber wirklich Zweifel und kann die Lage nicht abgeschätzt werden, muss ein Notarzt gerufen werden. Letztlich trägt dann dieser die Verantwortung für die weitere Behandlung. Natürlich sollte der Betroffene vorher informiert werden, zum Beispiel mit dem Satz: "Ich mache mir große Sorgen, es geht Ihnen sehr schlecht und wir holen jetzt Hilfe für Sie." LTO: Welche Anlaufstellen gibt es in weniger akuten Fällen? Dr. Karl: Die Telefonseelsorge oder Wohlfahrtsverbände, wie die Caritas haben Beratungsstellen, die dann gegebenenfalls an Therapeuten weiterverweisen. Auch die Universitätskliniken haben in aller Regel spezielle Ambulanzen, die Hilfe anbieten. Das Interview führte Veronika Raithel. Sie arbeitet als selbstständige Rechtsanwältin in Moorenweis (Oberbayern).

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Thema:

Psychologie

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