Themenwoche Fachanwalt & Fortbildung

Exotische Seminare

von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 5 Minuten
Anwaltsfortbildungsseminar. Man hat das Wort kaum ausgesprochen, da schlummert man auch schon friedlich. Tatsächlich haben sich viele Dozenten die Qualitäten ihrer früheren Professoren zu eigen gemacht, eine langweilige Materie noch langweiliger zu vermitteln – doch es geht auch anders. Drei ungewöhnliche Alternativen.

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Eine Szene, wie sie mir geschildert wurde: Ein Herr mittleren Alters steht kerzengerade im Raum, streckt sich, gähnt hörbar. Kurz darauf lässt er durch sanft geschlossene Lippen einen Luftstrom entweichen, ein vibrierendes "Brrrrrr" ertönt, wird bald darauf von einem schneller werden "ÜÜÜ-III-ÜÜÜ-III" abgelöst, immer wieder "ÜÜÜ-III-ÜÜÜ-III", wie von einer Polizeisirene. Was sich hier vor den interessierten Augen und Ohren eines halben Dutzends Zuschauer vollzieht, sind nicht die ersten Stadien eines psychotischen Schubs, sondern hat durchaus System. Ein System, das zu erlernen sie alle angereist sind. Und ein System mit Namen: "Stimm- und Sprechtraining für Juristen" nennt sich der von der Firma Sweet Spot angebotene Kurs, in dem es allerlei eigenwillige akustische Darbietungen zu belauschen und selbst zu vollziehen gilt. Wer "The King's Speech" gesehen hat, wird sich automatisch an den Film erinnert fühlen. Hemmungen hätten die Teilnehmer durchaus manchmal, bestätigt Geschäftsführer Jochen Peter Elsesser, aber die gäben sich unter der einfühlsamen Leitung der beiden Dozentinnen – eine professionelle Sprecherin und eine Logopädin – bald. Außerdem macht der Rest der Gruppe die Albernheiten ja auch mit. Bleibt trotzdem die Frage: Warum eigentlich? "Weil die Stimme ein zentrales Werkzeug von Juristen ist", erklärt Elsesser, "und trotzdem viel zu wenig Beachtung findet." Rhetorikseminare gebe es zwar inzwischen wie Sand am Meer, doch die drehten sich vorwiegend um inhaltliche Aspekte: Wie bringe ich ein Argument prägnant auf den Punkt? Wie kontere ich schlagfertig? Wie bleibe ich höflich, aber dennoch bestimmt? Alles keine unwichtigen Fragen, aber im Verhandlungsgespräch auch nicht alleine kriegsentscheidend. Im Gegenteil: Studien gehen davon aus, dass bis zu 93 Prozent der Wirkung einer Aussage von Stimme und Körpersprache des Sprechenden abhängen. Diese Zahl darf man getrost anzweifeln, aber dass die Rede des einen sich eingängig in den Gehörgang schmeichelt, wo die des anderen das Trommelfell förmlich bluten lässt, hat sicher schon jeder selbst erlebt. Ebenso, dass Intonation, Tempo, Atmung und Emphase Auswirkungen auf die (empfundene) Glaubwürdigkeit, Seniorität und Überzeugungskraft des Sprechenden haben. Alles Qualitäten, die einem Juristen gut zu Gesicht stehen – und deren verbale Vermittlung verschiedene Anbieter ihren Kunden antrainieren wollen. Bei Sweet Spot geschieht dies in bis zu drei Seminareinheiten, die je einen halben bis einen Tag in Anspruch nehmen und zwischen denen die Teilnehmer "Hausaufgaben" zu erledigen kriegen. Als Pflichtfortbildung kann man den Besuch kaum geltend machen, was aus Elsessers Sicht jedoch einen Vorteil bedeutet: "Der Großteil unserer Kunden kommt freiwillig, und das ist auch gut so. Denn man muss sich schon auf die Übungen einlassen, damit sie ihre Wirkung entfalten."

Verkehrsrechtsseminar mit Crash-Test

Auf etwas unkonventionelle Methoden müssen sich auch die Teilnehmer des SVO-Seminars "Verteidigung bei Verkehrsunfallflucht" einstellen. Dabei unterscheidet sich der theoretische Teil der Veranstaltung wohl nicht grundlegend von anderen Seminaren zum Thema. Unter Leitung des Fachanwalts für Verkehrsrecht Leif Hermann Kroll und des Unfallsachverständigen Dr. Michael Weyde werden die rechtlich und tatsächlich bedeutsamen Weichenstellungen eines Verkehrsunfalls erläutert. Besonderes Augenmerk wird dabei auf die Vorsatz-Frage gelegt, also darauf, ob der Flüchtende den Unfall überhaupt bemerkt hat. "Gerade bei kleineren Unfällen unterschätzt man, wie leicht es ist, diese gar nicht wahrzunehmen", erläutert Kroll. "Weiche Teile wie zum Beispiel die Türen geben bei einer Kollision nach, Seitenspiegel brechen schnell ab; zudem sind die Fahrgastzellen bei modernen Pkw sehr gut schallgeschützt." Das klingt plausibel, aber die Besucher sollen sich nicht allein auf Krolls Wort verlassen müssen. Also was tun? Ganz einfach: Mir nichts, dir nichts verlädt er die Gruppe in einen alten VW-Bus, hält auf ein vom Schrottplatz entliehenes Fahrzeug zu, und… gibt Gas. Nicht besonders viel natürlich, schließlich soll die Übung den Teilnehmern vor Augen führen, wie wenig man von einem Unfall bei niedrigem Tempo überhaupt mitkriegt. "Wenn man einmal aus erster Hand miterlebt hat, wie unscheinbar ein Unfall bei niedrigem Tempo abläuft, kann man das auch vor Gericht überzeugender argumentieren", ist Kroll sich sicher. Die Teilnehmer schätzen den für anwaltliche Fortbildungen eher ungewöhnlichen praktischen Einschlag, nur der VW-Bus schaut ein wenig verknautscht und grimmig drein.

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2/2: Kleine graue Männchen in der Heizung – vom Umgang mit Querulanten

Ebenfalls etwas ungehalten, wenn auch aus ganz anderen Gründen, sind die Teilnehmer des Advocom-Seminars "Deeskalation und Umgang mit Querulanten". Rein präventiv kommen hier nur die wenigsten hin; der Großteil der Anwesenden hatte es schon mindestens einmal in seiner beruflichen Laufbahn mit einem hartnäckigen Quälgeist zu tun. Doch was sind Querulanten überhaupt? "Eine genau Definition ist nicht einfach, aber man könnte wohl sagen: Menschen, denen im Grunde gar nicht daran gelegen ist, bestehende Probleme zu lösen, sondern neue zu schaffen, alte ewig lang fortzuspinnen, und andere damit zu belasten", erklärt Oskar Miller, gelernter Kommunikationswissenschaftler und Geschäftsführer von Advocom. Die Krux liegt freilich darin, einen Querulanten rechtzeitig als solchen zu erkennen, bevor man das Mandat angenommen und ihn damit am Hals hat. Dementsprechend dreht sich das Seminar auch zu einem beträchtlichen Teil um die Entwicklung einer Art natürlichen Frühwarnsystems. "Es gibt natürlich nur Indikatoren, keine Gewissheiten", meint Miller. "Aber wenn der Mandant mit einem Berg von Aktenordnern anrückt und vor Ihnen schon zwei, drei oder gar noch mehr Anwälte mit derselben Sache betraut hat, dann sollte man sich die Frage stellen, ob das Problem wirklich bei diesen Anwälten lag." Freilich ist die Lage nicht immer so eindeutig. Als weitere Verdachtsmomente nennt Miller etwa: eine offenkundig starke emotionale Betroffenheit, die der Sachverhalt eigentlich nicht hergibt, die gerichtliche Verfolgung von Lappalien, die bereits viele Jahre zurückliegen und eine mangelnde Zugänglichkeit für diplomatische und vermittelnde Lösungen. Manchmal stellt sich die Erkenntnis, dass jemand in erster Linie Ärger einbringt, jedoch zu spät ein, und ohnehin kann man sich nicht immer aussuchen, mit wem man es im Berufsleben zu tun hat. "Wir haben zum Beispiel mal eine Staatsanwältin beraten, bei der ständig ein Mann anrief, der Strafanzeige gegen seinen Vermieter gestellt hatte, weil dieser es angeblich zuließ, dass in der Heizung der Wohnung kleine graue Männchen lebten, die ständig Lärm machten. Das war natürlich ein Extremfall und der Mann psychisch krank, aber so jemand kann durchaus zur Belastung werden." Millers Rat an die Staatsanwältin: die Kollegen und Geschäftsstelle informieren und Anrufe des geplagten Mieters nicht sofort durchstellen lassen, sondern nur zu abgesprochenen Zeiten und Terminen. So war ihr Arbeitsumfeld im Bilde und konnte späteren Beschwerden des Mannes gegen die Staatsanwältin zutreffend einordnen. Doch egal, ob Selbstschutz gegen wirre Geister, Selbstversuch als Crashtest-Dummy oder Ausbildung zum Stimmwunder: Alle drei Beispiele zeigen, dass auch eine ernste Materie ihre unterhaltsamen und humorigen Seiten haben kann. Beruhigend, oder?

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