Tabuthema Depression

"Bei Anwälten ist das Stigma viel größer"

von cdü/LTORedaktionLesedauer: 6 Minuten
Anwälte sind besonders häufig von Depressionen betroffen - das zeigen Statistiken in den USA. Doch in einer Branche mit einem extrem hohen Erfolgsdruck ist das Thema weiterhin ein Tabu. Der US-amerikanische Anwalt Daniel Lukasik betreibt eine Webseite für betroffene Juristen. LTO sprach mit ihm über seine Erfahrungen mit der Krankheit, ihren Einfluss auf den Beruf und seinen Rat an andere Erkrankte.

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LTO: Sie leiden selbst unter Depressionen und gehen damit sehr offen um. Wie sind die Reaktionen darauf? Lukasik: Anfangs waren die Reaktionen nicht positiv. Ich sprach mit befreundeten Anwälten über meine Pläne, meine Erkrankung öffentlich zu machen, um so anderen in der Branche zu helfen. Sie rieten mir davon ab. Einer meiner besten Freunde, ein Richter, sagte: "Dan, bitte, tu das nicht. Es wird deine Karriere ruinieren. Andere Anwälte werden sich über dich lustig machen. Warum machst du es nicht anonym?". Ich erwiderte: "Das ist doch das Problem. Warum sollte ich es anonym machen müssen? Habe ich etwas Falsches getan? Es gibt nichts – nichts -, das mir jemand antun könnte, das schlimmer ist als die Depression in ihrer schlimmsten Phase." Also bin ich in die Offensive gegangen. LTO: Wie haben Sie herausgefunden, dass Sie depressiv sind? Lukasik: Für viele Anwälte fangen die Probleme an, wenn sie sich nicht mehr konzentrieren können. Dann suchen sie Hilfe - wenn Sie anfangen, den Anschluss zu verlieren. So war es auch bei mir. Ich hatte außerdem große Schlafprobleme. Ich stand um drei Uhr in der Nacht auf, weil ich nicht mehr schlafen konnte, aber ich fühlte mich dennoch erschöpft. Ich ging zu meinem Hausarzt, um mir ein Schlafmittel verschreiben zu lassen. Stattdessen schickte er mich zu einem Psychiater, der mich untersuchte und eine klinische Depression diagnostizierte. Das war vor zehn Jahren. LTO: Ab welchem Zeitpunkt sollte man sich Hilfe holen? Lukasik: Man sollte Hilfe in Anspruch nehmen, wenn man mit der Konzentration und dem Schlaf Probleme hat. Anhaltender Trübsinn ist ein weiteres Warnzeichen. Eine normale Traurigkeit geht vorüber. Betroffene erholen sich nicht. Sie empfinden keine Freude. Das sind Indikatoren dafür, dass etwas nicht stimmt. LTO: Wie hat die Depression Ihre Karriere und Ihre tägliche Arbeit beeinflusst? Lukasik: Zu Beginn war es verheerend. Ich war ein ehrgeiziger, erfolgreicher Anwalt, der vor Gericht Prozesse führte. Als die Depression stärker wurde, konnte ich meiner Tätigkeit nicht  mehr nachgehen. Ich wollte das nicht akzeptieren und so fing ich an, mich vor anderen zu verstecken und pfuschte mich durch meine Arbeit in der Hoffnung, niemand würde es merken. Aber ab einem bestimmten Punkt funktionierte das nicht mehr. Meine Kanzleipartner zeigten kein Verständnis, aber sie waren auf mich angewiesen. Ich verließ die Arbeit für sechs Monate und kam dann zurück. Das hat mir enorm geholfen, denn ich konnte mich von der schlimmsten Phase erholen. Heute, Jahre später, beeinträchtigt mich die Krankheit immer noch, aber nicht mehr in dieser schlimmen Weise. Ich musste meine Tätigkeit neu strukturieren und weniger stressige Arbeiten übernehmen. Stress ist ein Hauptauslöser von Depressionen.

"Die Unterstützung von Berufskollegen ist nicht besonders groß"

LTO: Warum haben Sie eine Webseite speziell für betroffene Anwälte initiiert? Erkranken sie häufiger als andere Menschen? Lukasik: Ich habe die Webseite vor drei Jahren ins Leben gerufen, weil es sie noch nicht gab. Darüber war ich erschrocken angesichts der Statistiken. Der Anteil der Betroffenen ist in der Gruppe der Anwälte doppelt so hoch wie beim Rest der Bevölkerung.  20 Prozent der US-amerikanischen Anwälte, 200.000 von einer Million, leiden zurzeit an einer Depression. Ungefähr 30.000 bis 60.000 der 150.000 Jurastudenten werden im Laufe ihrer Ausbildung ein Problem mit einer Depression haben. Mich würde es nicht überraschen, in Deutschland ähnlichen Zahlen zu begegnen. Vor etwa einem Jahr habe ich neben der Webseite ein Blog gestartet. Dort schreibe ich über meine persönlichen Erfahrungen mit Stress, Ängsten, Depressionen und meinem Beruf. Das Blog ist auf der Webseite verlinkt. Der aktuellste Beitrag thematisiert zum Beispiel Depressionen im Jurastudium. LTO: Ist es für Anwälte schwieriger als für andere Menschen, mit der Krankheit umzugehen? Lukasik: Depressionen treffen Anwälte anders. Das Stigma ist viel größer. Sie gelten als gebildet, erfolgreich und stark. Anwälte haben keine Probleme, sie lösen die Probleme anderer. Sie sind außerdem in der Öffentlichkeit wenig beliebt. Deshalb ist die Anteilnahme von Nicht-Anwälten nicht sehr groß, wenn ein Anwalt depressiv wird. So war es bei mir. Man hat mir gesagt: "Warum zum Teufel bist du depressiv? Du hast ein tolles Leben!" Auch die Unterstützung von Berufskollegen ist nicht besonders groß. Wir arbeiten in einer Branche, in der Härte erwartet wird. Eine typische Reaktion auf einen Anwalt mit Depressionen lautet etwa: "Wenn du mit deinem Job nicht fertig wirst, dann kündige." Betroffene suchen oft keine Hilfe und die, die es tun, schämen sich häufig. LTO: Was ist Ihr Rat an betroffene Anwälte, insbesondere in beruflicher Hinsicht? Wie sollen sie sich gegenüber Kollegen, Vorgesetzten oder Mandanten verhalten? Lukasik: Mein Rat ist, dass sich Betroffene schnell Hilfe suchen sollten. Wenn sie es nicht tun, wird ihre Leistungsfähigkeit immer weiter sinken. Sie sollten darüber nachdenken, welche Konsequenzen es hat, keine Hilfe in Anspruch zu nehmen. Wenn ich depressiven Kollegen sage, dass sie sich besser fühlen werden, wenn sie Hilfe in Anspruch nehmen, glauben mir viele nicht. Wenn ich ihnen aber sage, dass sie wahrscheinlich ihren Job verlieren werden und das begründe, sind sie in der Regel überzeugt. Anwälte sind daran gewöhnt, über negative Folgen nachzudenken. Sie sind dazu ausgebildet, in den Angelegenheiten ihrer Mandanten nach Problemen zu suchen. Deshalb ist dieser Ansatz effektiv.

"Man muss handeln und die Arbeit anpacken"

LTO: Gibt es tägliche Routinen oder Rituale, die eine Depression mildern können? Lukasik: Natürlich, Bewegung ist der wichtigste Punkt. Alle Betroffenen sollten das Buch "Spark: The Revolutionary New Science of Exercise and the Brain” von John J. Ratey lesen. Es erklärt die starke positive Wirkung von Bewegung auf das depressive Gehirn. Ebenfalls wichtig ist, die Woche so zu strukturieren, dass man einen Ausgleich schafft. Depressive Menschen neigen dazu, sich abzuschotten. Deshalb müssen sie Mittagessen und Kaffeepausen gemeinsam mit anderen einplanen. Ein weiteres bekanntes Problem von Depressiven ist, dass sie warten wollen, bis es ihnen besser geht, bevor sie ein berufliches Projekt starten. Aber das funktioniert nicht, denn keiner weiß, wie lange die depressive Stimmung anhalten wird. Dadurch entsteht ein Gefühl des Kontrollverlusts und der Zustand verschlechtert sich weiter. Man muss handeln und die Arbeit anpacken. Die Stimmung wird sich verbessern, wenn man vorankommt. Es gibt viele weitere Tipps auf meiner Webseite. In meinem Blog schreibe ich außerdem über Dinge, die mir persönlich geholfen haben. LTO: Wie sollte ich einen Kollegen behandeln, wenn ich befürchte, dass er depressiv sein könnte? Lukasik: Urteile nicht über ihn. Höre zu. Mach dich schlau. In drei Minuten kann man sich im Web über die Symptome einer Depression informieren. Sprich ihn nicht im Büro darauf an. Lade ihn stattdessen auf einen Spaziergang oder einen Kaffee ein. Weise ihn auf meine Webseite hin. Er kann sie zu Hause oder im Büro bei geschlossener Türe lesen. LTO: Sie besuchen Universitäten und sprechen mit Jurastudenten über die Krankheit. Welche Reaktionen bekommen Sie dort? Lukasik: Ich denke, die Stundenten sind bestürzt und besorgt angesichts der Zahl der betroffenen Juristen und Kommilitonen. Es macht ihnen Angst und sie denken noch einmal über ihre Berufswahl nach. Aber ich erkläre ihnen auch, dass eine Karriere in der Rechtsbranche sehr erfüllend sein kann. Allerdings muss man körperlicher und geistiger Gesundheit eine hohe Priorität einräumen angesichts der hohen Anforderungen und der Stressbelastung. Die meisten Studenten kontaktieren mich nach meinen Vorträgen oder nachdem ich ihnen meine Filmdokumentation zum Thema gezeigt habe, per E-Mail oder Telefon. Ich nehme an, sie wollen nicht, dass ihre Kommilitonen sie im Gespräch mit mir sehen. Wahrscheinlich haben Sie Angst, dass andere denken könnten, sie seien depressiv. Ich würde mich freuen, wenn ich deutsche Universitäten besuchen könnte, um den Film zu zeigen und über die Krankheit zu sprechen.  Daniel Lukasik ist Partner der Kanzlei Cantor Lukasik Dolce & Panepinto in Buffalo, USA. Auf seiner Webseite www.lawyerswithdepression.com veröffentlicht er Informationen für Betroffene, Nachrichten, Präsentationen, Podcasts und Beiträge von Gastautoren. Daneben betreibt er das LWD Blog, in dem er seine persönliche Sicht auf den Umgang mit der Krankheit darstellt. Das Interview führte Christian Dülpers. Das Interview im englischen Originalwortlaut (pdf)

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