Themenwoche Unternehmensjuristen

Wenn der Karrieresprung die Altersversorgung gefährdet

von Johanna Strohm, LL.M. und Pia LorenzLesedauer: 8 Minuten
Die Deutsche Rentenversicherung verweigert immer mehr in Unternehmen beschäftigten Anwälten die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherung, erteilte Befreiungen sind auf die konkrete Tätigkeit begrenzt. Syndikusanwälte verschieben berufliche Wechsel, Beförderungen können die Befreiung beenden. Behörden und Gerichte entscheiden uneinheitlich, hunderte von Klagen sind anhängig. Nun warten alle auf das BSG.

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Seit über vier Jahren streitet sich die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV) mit Unternehmensjuristen, die zugelassene Rechtsanwälte sind, über die Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht zugunsten einer vollen Mitgliedschaft im Versorgungswerk der Rechtsanwälte. Nach Schätzungen der Rechtsanwaltskammer Köln sind rund 20 bis 25 Prozent der Rechtsanwälte in Deutschland als sogenannte Syndikusanwälte tätig. Für die zukünftige Tätigkeit in einem Unternehmen ist die Frage nach der Befreiungsmöglichkeit nicht nur ein wichtiger Faktor geworden, sondern eine mitentscheidende Komponente in den Verhandlungen um einen neuen Arbeitsvertrag. Denn für den einzelnen wie auch für die Rentenversicherung geht es um die grundsätzliche Altersversorgung. Die Versorgungswerke der freien Berufe arbeiten im Gegensatz zur gesetzlichen Rentenversicherung kapitalgedeckt, bieten also eine anders finanzierte Altersversorgung (mit allen Risiken der Anlage) an, die voraussichtlich bessere Leistungen erbringen wird als, wenn der Jurist in der DRV verbleibt und daneben Mindestbeiträge an ein anwaltliches Versorgungswerk zahlen muss. Wie viele Kollegen ist auch Rechtsanwalt Christian Bähringer, Head of Corporate Center bei der GROUP Business Software AG, beunruhigt. Er fing in seinem Unternehmen 2008 als Vorstandsassistent an, konnte damals seinen Antrag ausreichend begründen und eine Freistellung erreichen. "Jetzt bin ich verunsichert, wie es bei einem weiteren Wechsel innerhalb des Unternehmens oder bei einem neuen Arbeitgeber sein wird".

Unternehmensjuristen und die Angst vor der Beförderung

Seit einem Urteil des BSG vom 31. Oktober 2012 (Az. B 12 R 3/11 R) steht nämlich fest, dass schon eine neue Tätigkeit oder eine Beförderung im aktuellen Unternehmen eventuell neu bewertet werden muss, wenn keine anwaltliche Tätigkeit mehr ausgeübt wird. Eine einmal ausgesprochene Befreiung ist nur noch für die jeweilige Beschäftigung beziehungsweise selbständige Tätigkeit bestandskräftig, für welche sie erteilt wurde. Bei einem Wechsel des Arbeitgebers, auch innerhalb eines Konzerns, muss eine neue beantragt werden. Das gilt auch für Anwälte, die bei Anwälten oder Anwaltsgesellschaften angestellt sind.   Maßgeblich für die Frage nach der Befreiung ist die tätigkeitsbezogene Regelung des § 6 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) VI. Danach werden von der Versicherungspflicht "Beschäftigte und selbstständig Tätige für die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, wegen der sie aufgrund einer durch Gesetz angeordneten oder auf Gesetz beruhenden Verpflichtung Mitglied einer öffentlich-rechtlichen Versicherungseinrichtung oder Versorgungseinrichtung ihrer Berufsgruppe (berufsständische Versorgungseinrichtung) und zugleich kraft gesetzlicher Verpflichtung Mitglied einer berufsständischen Kammer sind" befreit. Die Freistellung erfolgt also "für" die Beschäftigung oder selbstständige Tätigkeit, "wegen der" die Pflichtmitgliedschaft besteht. Für Rechtsanwälte im Anstellungsverhältnis bei einem nicht-anwaltlichen Arbeitgeber bedeutet dies, dass sie jedenfalls dann befreit werden können, wenn sie als angestellte Rechtsanwälte eine anwaltliche Tätigkeit ausüben.

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2/3: Beraten, entscheiden, gestalten, vermitteln – die vier Kriterien der DRV

Die DRV vertritt aber zunehmend die Auffassung, dass selbst Syndikusanwälte in den klassischen Rechtsabteilungen keine solche anwaltliche Tätigkeit ausübten. Um Rechtssicherheit zu schaffen und zu einer einheitlichen Befreiungspraxis zu gelangen, haben sich die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Arbeitsgemeinschaft Berufsständischer Versorgungseinrichtungen (ABV) im Jahr 2005 auf vier Befreiungskriterien geeinigt, die 2011 noch einmal überarbeitet wurden. Der Unternehmensjurist übt danach im Anstellungsverhältnis eine anwaltliche Tätigkeit aus, wenn er rechtsberatend, rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd tätig ist. Bei der Prüfung, ob die genannten vier Kriterien vorliegen, problematisiert die DRV oftmals im Rahmen des Merkmals der "Rechtsentscheidung", ob der Syndikusanwalt eine "eigenständige Entscheidungskompetenz" hat und nicht den Weisungen eines Vorgesetzen unterliegt. Dieses Kriterium kritisieren Interessenvertreter und Betroffene als dem anwaltlichen Berufsbild fremd. Vergleichsmaßstab für den Unternehmensjuristen ist nämlich der angestellte Rechtsanwalt in einer Kanzlei. Auch dessen Berufsbild ist aber "nicht mehr gekennzeichnet durch ein selbständiges Tätigwerden in einer Kanzlei. Gerade zu Beginn der beruflichen Laufbahn befinden sich vielmehr auch angestellte Anwälte in Kanzleien in einem weisungsgebundenen Angestelltenverhältnis", meint Martin W. Huff, Sprecher des Ausschusses Syndikusanwälte im Kölner Anwaltverein. Er vertritt zahlreiche Unternehmensanwälte anwaltlich in Verfahren zur Befreiung von der Versicherungspflicht.  Der Anwalt  aus dem Rheinland verweist darauf, dass auch „freie“ Rechtsanwälte immer den Weisungen ihres Mandanten unterliegen. Wo hier der Unterschied zur Tätigkeit für ein Unternehmen liegen soll, sei völlig offen.

Identische Anträge, gleiche Jobs, verschiedene Entscheidungen

Auch Denis Korneev berät Anwälte zu Fragen rund um die Befreiung ihrer Tätigkeit von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht. Er bemängelt vor allem, dass es nach jahrelangen Streitigkeiten noch immer keine einheitliche Befreiungspraxis gibt und hält die Praxis der DRV für nicht transparent und ergebnisgetrieben. "Identische Anträge mit gleicher Stellenbeschreibung in gleichen Arbeitsbereichen und dem gleichen Aufgabenspektrum der betroffenen Kollegen werden hin und wieder unterschiedlich beschieden", berichtet der Münchner Anwalt. Von einer Behörde, die das Willkürverbot zu beachten hat, sei dies nicht zu akzeptieren. Bei den Gerichten allerdings sieht es durch die Instanzen etwas anders aus. Die weitaus meisten Entscheidungen zeigen, dass die Sozialgerichte  - anders als früher – nicht mehr einfach der Rechtsauffassung der DRV folgen, sondern im Einzelfall abwägen, ob die geschilderten vier Kriterien im konkreten Fall erfüllt sind und dabei auch den gesellschaftlichen Wandel berücksichtigen. So bejahten Gerichte die Befreiung bei der Schadensmanagerin eines Versicherungskonzerns (SG Aachen, Urt. v. 26.11. 2010 – S 6 R 173/09), einem Assistenten der Intendanz eines städtischen Theaters (SG Köln Urt. v. 5.7.2010 – S 23 R 125/09) und bei dem Kanzleimanager einer Rechtsanwalts-GmbH (SG Würzburg, Urt. V. 20.08.2013 – S 4 R 1318/11). Aber etwa das SG Hamburg (Urt. v. 18.04.2013, Az. S 53 R 435/12) meint, dass eine Vertragsmanagerin nicht anwaltlich tätig sei, das SG Münster (Urt. v. 05.04.2012, Az. S 14 R 923/10) verneint wie auch das SG Detmold (Urt. v. 25.9.2012 – S 22 R 12/11) eine Befreiungsmöglichkeit generell. Die allgemeine Unsicherheit ist aber nicht nur Behörden und Gerichten geschuldet. Vielmehr wäre es dazu nicht gekommen, wenn die Tätigkeit der Unternehmensjuristen ähnlich wie zum Beispiel bei den Steuerberatern gesetzlich als anwaltliche definiert wäre. Doch hier haben sich die Anwälte selber noch zu keiner einheitlichen Haltung durchringen können. Der Bund der Unternehmensjuristen (BUJ) weist darauf hin, dass die rechtlichen Voraussetzungen zur Rentenbefreiung sich nicht geändert haben, allein die Praxis der DRV sei eine andere. Diese stelle immer höhere Anforderungen an die Rentenbefreiung und sorge damit auch unter den Unternehmensjuristen für große Verunsicherung. "Das hat schon jetzt negative Auswirkungen auf das Recruiting in den Rechtsabteilungen", sagt Roland Kirsten, Leiter der Fachgruppe Berufsrecht im BUJ. Seine Forderung lautet: "Die Gleichstellung der Unternehmensjuristen mit ihren Anwaltskollegen muss bei diesem Thema erhalten bleiben." Der Deutsche Anwaltverein (DAV) plädiert für eine Klarstellung in der Bundesrechtsanwaltsordnung, dass Rechtsanwälte, die in einem Unternehmen anwaltlich tätig sind, „richtige Rechtsanwälte“ seien. Und unter den regionalen Rechtsanwaltskammern hat eine heftige Diskussion über die Rechtsstellung der Syndikusanwälte eingesetzt, die lange noch nicht beendet scheint.

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3/3: Warten auf das BSG

Und so warten nun alle auf das Bundessozialgericht (BSG). Auch wenn nach Angaben von Martin W. Huff rund 75 Prozent der sozialgerichtlichen Instanzentscheidungen in den vergangenen Jahren zugunsten der Syndikusanwälte ausfielen, sind nur wenige von ihnen rechtskräftig geworden. Den Kassler Richtern liegen drei grundlegend unterschiedliche Rechtsauffassungen zur Auslegung des § 6 SGB VI vor. Der 11. Senat des LSG Baden-Württemberg will schon jede mit der Zulassung als Anwalt einhergehende Mitgliedschaft im Versorgungswerk ausreichen lassen, um von der Versicherungspflicht in der DRV zu befreien (LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 19.02.2013, Az. L 11 R 2182/11), der 2. Senat verlangt nur eine der anwaltlichen Tätigkeit wesentlich ähnliche Tätigkeit (Urt. v. 23.01.2013, Az. L 2 R 2671/12) und wendet im Grundsatz die vier Kriterien für eine Befreiung an. Ganz anders das LSG Nordrhein-Westfalen: Die Essener Richter halten trotz der zwischenzeitlich erfolgten Definition der vier Kriterien an ihrer Rechtsprechung aus dem Jahr 2004 fest. Sie verneinen per se jegliche Befreiungsmöglichkeit für Syndikusanwälte (Urt. v. 7.5.2013, Az. L 18 R 1038/11, L 18 R 170/12 und Urt. v. 11.6.2013, Az. L 18 R 843/11). Aus Sicht von Martin W. Huff gehen die Entscheidungen von falschen berufsrechtlichen Voraussetzungen aus. So verlange der Senat eine Anwaltszulassung für die konkrete Tätigkeit der Kläger, "die es nach dem Berufsrecht gar nicht gibt." Vom BSG kann nun also alles kommen. Experten gehen allerdings davon aus, dass die Kassler Richter voraussichtlich erst Ende 2014 entscheiden werden.

Worst-case-Szenario: Das Ende der Versorgungswerke?

Würde der rigide Kurs der DRV sich durchsetzen, könnte nicht nur die Befreiung von Rechtsanwälten in Unternehmen grundsätzlich kippen. Man wird allerdings davon ausgehen dürfen, dass gegen ein Urteil des BSG, das die Befreiungsmöglichkeit grundsätzlich  ablehnt, das Bundesverfassungsgericht angerufen werden wird. Selbst die Anstellungsverhältnisse in großen Rechtsanwaltskanzleien könnten mit einer solchen Entscheidung aus Kassel unter Druck geraten. "Viele Kollegen arbeiten zwar hochspezialisiert, neben der Rechtsberatung aber nicht unbedingt kumulativ rechtsentscheidend, rechtsgestaltend und rechtsvermittelnd", erklärt Martin W. Huff.  Auch sie seien zudem nicht weisungsfrei tätig,  sondern unterlägen den Weisungen der Kanzlei als Arbeitgeberin. Rechtsanwalt Denis Korneev schließt eine  Gefahr für den Bestand der anwaltlichen Versorgungswerke nicht aus, wenn das BSG sich gegen die Befreiung ausspräche. Er geht davon aus, dass sogar ca. 30 Prozent der als Anwälte zugelassenen Volljuristen schon heute bei Unternehmen beschäftigt sind, "die Tendenz steigt. Deren Zulassung und Zwangsmitgliedschaft im Versorgungswerk wären für viele dann aber im Ergebnis sinnlos, da sie doppelte Beiträge zahlen müssten.“ Der Münchener Anwalt hält eine solche Entscheidung des BSG jedoch nicht für wahrscheinlich, weil es kaum dem gesetzgeberischen Willen entspräche, die Umsetzung der zunehmenden rechtlichen Vorgaben in Unternehmen aller Branchen in die Hände der nicht den anwaltlichen Pflichten unterliegenden Volljuristen zu legen. Martin W. Huff sieht das ähnlich. Eine Rücknahme bereits erteilter Bescheide hält er nicht für möglich. Selbst wenn die DRV im Nachhinein bei einer erteilten Befreiung einen Fehler entdecke,  genössen die Unternehmensjuristen für die konkrete Beschäftigung Bestandsschutz. Für den Fall einer negativen Entscheidung des BSG hebt Korneev zwei Auswirkungen hervor: Viele der Syndizi würden ihre Anwaltszulassung zurückgeben und die Versorgungswerke (wie auch die Rechtsanwaltskammer) damit massenhaft Beitragszahler verlieren beziehungsweise entsprechend weniger neue dazu gewinnen. Viele der Anwälte würden versuchen, aus den Unternehmen in Kanzleien oder in die Selbständigkeit zu flüchten oder eine syndikusanwaltliche Karriere gar nicht mehr anstreben,  um ihre Altersvorsorge und deren einheitlichen Verlauf zu sichern.  Angesichts der ohnehin angespannten Lage auf dem Anwaltsmarkt einerseits und dem zunehmenden Bedarf an ständig verfügbarer anwaltlicher Expertise in Unternehmen andererseits ein kaum wünschenswerter Trend. Auch Rechtsanwalt Bähringer, Head of Corporate Center bei der GROUP Business Software AG, hofft, dass es so weit nicht kommen, sondern das BSG in naher Zukunft eine Klärung zugunsten der Syndikusanwälte herbeiführen wird. Er würde sich bei der weiteren Planung seiner Karriere gern auf andere Aspekte konzentrieren als seine Altersvorsorge.

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