Strafverteidiger in Kriegsverbrecher-Prozessen

Wie der Aufstieg auf den 8.000er

von Sascha HörmannLesedauer: 5 Minuten
Eigentlich beschäftigt sich der Frankfurter Rechtsanwalt Dr. Stefan Kirsch mit Wirtschaftsstrafsachen. Gelegentlich aber vertritt er Mandanten, denen Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen werden. Wie er den Weg an internationale Strafgerichte fand und mit welchen Schwierigkeiten deutsche Juristen dort zu kämpfen haben, erklärte er Sascha Hörmann.

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Die Anklage gegen seinen ersten Mandanten in einem Verfahren vor einem internationalen Gericht lautete auf Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Schwerwiegendere Tatvorwürfe gibt es nicht. Das sind andere Delikte als die Steuerhinterziehungs- und Korruptionsfälle, mit denen sich Kirschs Arbeitgeber "HammPartner" sonst befasst. Aber "Verantwortungszuschreibung in Makrostrukturen ist bei einer Aktiengesellschaft letztlich nicht anders als in einem Generalstab" erklärt ein entspannt wirkender Gastgeber in der gut sortierten Bibliothek der Frankfurter Kanzlei.

Als einer der ersten deutschen Rechtsanwälte trat Kirsch vor dem "Jugoslawienstrafgerichtshof" in Den Haag als Verteidiger auf. Angeklagt war ein hochrangiger serbischer Offizier in einem Folgeverfahren zu Srebrenica, dem nach Einschätzung des Anwalts "Horrorszenario in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg".

Der Weg des deutschen Juristen dahin war nicht sehr weit. Kurz nach seiner Zulassung zur Anwaltschaft und dem Eintritt in die Kanzlei kam er im Jahr 1997 über eine Tagung in Kontakt mit dem Völkerstrafrecht. Zu dieser Zeit hatten die Vereinten Nationen zwar schon die Tribunale für Jugoslawien und Ruanda geschaffen. Dennoch, "damals gab es noch kein Völkerstrafrecht", erläutert der Strafverteidiger, zumindest nicht in der Form, wie es sich heute darstellt. Gerade das empfand er als "hochspannend, ein Gebiet in dem sich Strafverteidigung erproben muss, sowohl praktisch als auch akademisch".

Kein Vertrauensvorschuss für deutsche Strafverteidiger


Dass er die wissenschaftliche Auseinandersetzung ernst meint, verdeutlicht ein Blick in das Publikationsverzeichnis des heute 43-Jährigen. Seit zehn Jahren veröffentlicht Kirsch zum Beispiel Beiträge zur Rolle des Strafverteidigers oder zu Beschuldigtenrechten in internationalen Verfahren. Um sich der praktischen Herausforderung zu stellen, ließ er sich auf der Liste der beigeordneten Verteidiger eintragen, anhand derer die Beschuldigten in völkerstrafrechtlichen Verfahren einen Rechtsbeistand auswählen.

Wirklich erwartet hatte Kirsch die Benennung durch einen Mandanten anfangs nicht: "Warum sollte jemand in einem Verfahren mit Englisch und Französisch als Gerichtssprache, in einem angloamerikanischen System Interesse an einem deutschen Strafverteidiger haben?" Sein erster Mandant, der Serbe, wählte ihn dennoch aus. "Er kannte Deutschland, einige seiner Verwandten lebten hier, vielleicht deshalb". Den genauen Grund nannte er seinem Rechtsbeistand nie.

Damit war der Weg beschritten. Zwei weitere Verfahren folgten am Jugoslawientribunal. Danach übernahm Kirsch in Arusha am Strafgerichtshof für Ruanda die Verteidigung von Oberstleutnant Setako. Auch er, der Ex-Rechtsberater des ruandischen Verteidigungsministeriums war wegen Völkermord angeklagt.

Im Grunde sei das völkerstrafrechtliche Mandat zunächst "eine Strafverteidigung wie in jedem anderen Fall auch". Dennoch gibt es natürlich Unterschiede. "Anders als bei anderen Klienten muss man sich das Vertrauen eines solchen Mandanten erst erarbeiten. Einen Vertrauensvorschuss gibt es nicht", erläutert der Völkerstrafrechtler. Der Aufbau einer persönlichen Bindung sei nicht einfach, wenn immer ein Dolmetscher mit am Tisch sitzt.

Die nächste Hürde waren die Verfahrensregeln, nachgebildet dem anglo-amerikanischen Prozessrecht. Bei der ersten Berührung mit dem in Deutschland fast unbekannten Kreuzverhör, habe er Glück gehabt. Er begegnete einem "begnadeten Mentor" – ein amerikanischer Kollege, der Kirsch in die Geheimnisse der ungewohnten Befragungstechnik einweihte und ihm half das fremde Prozessrecht zu verstehen.

Der Austausch mit Kollegen schärft den Blick

Doch nicht nur die Beweisführung unterscheidet sich sehr von deutschem Recht. Das Völkerstrafrecht folgt insgesamt ungewohnten, eigenen Regeln. Kirsch erinnert sich noch gut an einen seiner ersten, langen Schriftsätze, die sich gegen eine erst am Jugoslawientribunal entwickelte Figur der strafrechtlichen Verantwortlichkeit richtete, die "Joint Criminal Enterprise". Im deutschen Recht wäre eine Verurteilung auf dieser Grundlage wegen dem Verstoß gegen das Schuldprinzips undenkbar, in Den Haag aber war es "der Anklage in der Erwiderung keine einzige Zeile wert."

Der Kontakt mit neuen Herausforderungen und der Austausch mit den Kollegen einer "überschaubaren Gemeinde", mache jedoch den Blick klarer. "Der Bergsteiger der schon mal auf einem 8.000er gestanden hat, läuft auch auf 4.000 Metern mit einem anderen Blick, als wenn er bislang nur Mittelgebirge gesehen hat. Man stößt in solchen Verfahren an Grenzen. Dadurch reflektiert und überdenkt man sein Verständnis der eigenen Rechtsordnung."

Daraus resultierte die Erkenntnis, als Strafverteidiger alles in Frage stellen zu müssen. Nachdem mehrere Zeugen, die zunächst authentisch schlimmste Gewalttaten beschrieben hatten, der Falschaussage überführt wurden, stand fest: "Was ich an den Tribunalen gelernt habe, ist radikal zu sein in dem, was ich glaube und was ich nicht glaube."

Im Ergebnis sei die Strafverteidigung bei den Tribunalen letztlich frustrierend. "Weil du keine wirklich faire Chance hast", stellt Kirsch fest. Er meint damit eine mangelhafte "Waffengleichheit", die viele Verteidiger bei internationalen Gerichten beklagen. Anders als im deutschen Strafverfahren, ist man auch auf eigene Ermittlungen angewiesen. Hier aber sei einem die Anklagebehörde mit ihrem Apparat überlegen. Die Ressourcen der Verteidigung sind schnell begrenzt.

Pflichtverteidigung als Fulltimejob

Während der Verfahren vor den Tribunalen bleibt kaum Zeit für anderes. Die Mandate "erfordern in aller Regel deutlich mehr Zeit und sind auch stressiger als in Deutschland". Vor allem wenn man sich in Den Haag oder Arusha "auf Mission" befindet. Das kann durchaus mehrere Wochen dauern, andere Mandate lassen sich dann kaum wahrnehmen: "Wenn du in Arusha morgens versuchst eine E-Mail mit einer PDF zu öffnen, dann kannst du dir vielleicht gegen 17 Uhr die erste Seite anschauen."

Und auch in der heimischen Kanzlei beschäftigt man sich vor allem mit dem "durchfressen" der Dokumente. Ohne die Abstimmung mit den Partnerkollegen ginge das nicht. Sie halten Kirsch "den Rücken" frei, indem sie gelegentlich bei laufenden Mandaten in Deutschland einspringen. Bezahlt wird die Verteidigung durch die Vereinten Nationen. Zwar "deutlich mehr, als bei einer Pflichtverteidigung in Deutschland, aber deutlich weniger als bei Wahlmandaten in Deutschland", aus finanzieller Sicht sei die Arbeit deshalb "eher unlukrativ".

Deutsche Dogmatik als Exportschlager

Allen erlebten Anstrengungen zum Trotz hat sich der Fachanwalt dann doch auch auf den Listen des Internationalen Strafgerichtshofs und des Sondertribunals für den Libanon eintragen lassen. Bis zum nächsten Einsatz auf der internationalen Bühne bleibt er über die Lehre mit dem Thema verbunden.

Dieses Jahr war er im Auftrag der "Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit" in Sarajevo, um sich an der Ausbildung junger bosnischer Juristen zu beteiligen. Neben dem "bisschen Abwechslung" sei ihm der Beitrag in der internationalen Juristenausbildung wichtig. Die deutsche Dogmatik sei "mit dem hohen Standard an theoretischer Durchdringung etwas, was sich zu exportieren lohnt."

Oft wird ihm, wie vielen anderen Strafverteidigern, im Privaten die Frage gestellt, warum er auch mutmaßliche Kriegsverbrecher, verteidigt. Zur Beantwortung kommt Stefan Kirsch wieder auf den Bergsteiger zurück: "Warum er auf den Berg steigt? Weil der nun mal da ist." Mit einem Mandat vor einem Tribunal sei es nichts anderes, der Verteidiger gehört nun mal dazu.

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