Small Talk mit Dr. Lukas Theune, Anwalt der "Letzten Generation"

"BGH anwenden und sonst nichts mit dem Kli­ma­wandel zu tun haben"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Im Small Talk fragen wir Juristinnen und Juristen, was sie denn so machen. Heute: Lukas Theune, der Klimaaktivisten in Strafverfahren vertritt, über seine Mandanten – und wieso Richter in Prozessen häufig verloren dastehen.

LTO: Herr Dr. Theune, was machen Sie beruflich?

Dr. Lukas Theune: Ich bin Rechtsanwalt bei akm Rechtsanwält*innen in Berlin und hauptsächlich als Strafverteidiger tätig. Dabei liegt mein Schwerpunkt im Bereich der politischen Strafverfahren. Ich vertrete zum Beispiel die "Letzte Generation" oder Organisationen wie "Extinction Rebellion" und "Animal Rebellion" in Strafverfahren vor den Gerichten in Berlin und Umgebung. Hinzukommen Strafverfahren gegen linke Aktivist:innen, die sich anti-rassistisch oder feministisch betätigen, wenn wegen bestimmter Aktionen ermittelt wird. Ich bin aber auch in ganz anderen Verfahren tätig, zum Beispiel wegen Diebstahls, Körperverletzung oder Raubes ohne politischen Bezug. Daneben übernehme ich Fälle im Polizeirecht und im Versammlungsrecht.

Haben Sie Jura studiert, um sich für den Klimaschutz einzusetzen?

Meine Motivation für das Studium war das nicht, aber es hat sich so entwickelt – und darüber bin ich auch sehr froh. Ich wollte aber immer Strafverteidiger werden. In den Nullerjahren, als ich studiert habe, war die Klimabewegung noch nicht so präsent wie jetzt. Heute engagieren sich viel mehr Menschen, protestieren in unterschiedlichen Formen – und einige sind dann mit Strafverfahren konfrontiert. 

Welcher Fall hat Sie denn zu den Klimaaktivist:innen gebracht?

Einen ersten Fall kann ich dazu nicht nennen. Aber ich erinnere mich gut daran, wie ein Mandant, der nach dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 angeklagt war, das Artensterben und die klimatischen Veränderungen in den Fokus seiner Verteidigung nahm. 

Und als auf der Oberbaumbrücke in Berlin vor einigen Jahren eine unangekündigte Versammlung abgehalten wurde, habe ich eine Frau vertreten, die der Nötigung angeklagt wurde. Mittels einer Drohnenaufnahme, die die Aktivist:innen selbst angefertigt hatten, konnten wir aber das Gegenteil beweisen und die Frau wurde freigesprochen.

Danach wurde ich dann weiterempfohlen – und der Klimaschutz liegt mir auch persönlich sehr am Herzen. Ich verteidige die Fälle gerne, weil es sehr angenehme Mandant:innen sind, die sich wirklich für etwas Gutes einsetzen.

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"Hass finde ich völlig fehl am Platz"

Die guten Motive erkennen wohl die meisten Leute an, dennoch sind viele gerade mit den Straßenblockaden nicht einverstanden. 

Ich kann das nicht nachvollziehen. Manche Teile der Gesellschaft reagieren mit Hass auf die Menschen, die sich dafür einsetzen, dass die Erde erhalten bleibt. Den Hass finde ich völlig fehl am Platz. Ich möchte um Verständnis dafür werben, dass diese Menschen nur das Beste für uns alle wollen und deshalb zu diesen Mitteln greifen. 

Was sind das für Menschen, die Sie vertreten?

So pauschal kann man das nicht sagen, denn es engagieren sich viele unterschiedliche Persönlichkeiten für den Klimaschutz. Mir fällt aber der hohe Bildungsgrad der Beschuldigten auf. Ich vertrete häufig Menschen, die an der Universität forschen, gerade im naturwissenschaftlichen Bereich. Und es sind auffallend viele Frauen – gerade im Hinblick auf sonstige Strafverfahren. Grob geschätzt sind über 90 Prozent der Beschuldigten in Strafverfahren Männer – und das ist bei den Verfahren gegen Klimaaktivist:innen deutlich anders.

"Den Aktivisten geht es um einen radikalen Wandel der Gesellschaft"

Was möchten Ihre Mandant:innen erreichen?

Eigentlich geht es ihnen um einen radikalen Wandel der Gesellschaft und auch darum, dass ein Handeln der Bundesregierung vermisst wird.

Die Mandant:innen wollen in der Gesellschaft mit öffentlich sichtbarem Protest einen Paradigmenwechselbewirken, in dem Sinne, dass die im Pariser Klimaabkommen beschlossenen Ziele endlich ernst genommen und umgesetzt werden – und aus dieser Motivation heraus nehmen sie das Strafverfahren eher in Kauf. 

Könnte man zu diesem Zweck nicht zu weniger einschneidenden Maßnahmen als Straßenblockaden greifen?

Man muss sich immer die Frage stellen, wie man möglichst schnell möglichst viel erreichen kann. Ich glaube nicht, dass der Aufschrei in der Gesellschaft bei weniger einschneidenden Maßnahmen genauso groß wäre – und dann würde erst recht nichts passieren. Die Zeit drängt, das ist uns doch eigentlich allen klar. Noch ein paar Jahre weiter so, das geht einfach nicht.

Wie erleben Sie diese Verfahren vor Gericht? 

In Prozessen stehen die Richter:innen und Staatsanwält:innen häufig etwas verloren da und wissen nicht, was sie machen sollen. Sie wollen dann einfach die "Zweite-Reihe-Rechtsprechung" des Bundesgerichtshofs (BGH) anwenden und ansonsten nichts mit dem Klimawandel zu tun haben. Demnach ist es zwar keine gewaltsame Nötigung, wenn man auf der Straße sitzt und dadurch jemanden zum Anhalten zwingt – eine Nötigung kommt aber dann in Betracht, wenn dadurch noch ein weiterer Autofahrer nicht weiterfahren kann.

"Man darf nicht alle Fälle gleichbehandeln"

Wenn anerkannt ist, dass Straßenblockaden eine Nötigung darstellen können, wieso halten Sie die Klebeaktionen der Klima-Aktivist:innen dennoch für rechtmäßig?

Man darf nicht alle Fälle gleichbehandeln. In seinen Entscheidungen zu Sitzblockaden ist das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Grunde genommen immer zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verurteilungen verfassungswidrig waren. Auch in der letzten Entscheidung, in der das BVerfG die Zweite-Reihe-Rechtsprechung gebilligt hat, hat es gleichzeitig einen Verstoß gegen die Versammlungsfreiheit festgestellt.

Dr. Lukas Theune…

… ist Strafverteidiger in Berlin

… wollte schon immer Strafverteidiger werden

… hat viele Naturwissenschaftler:innen als Mandant:innen 

… kann Hass gegenüber Aktivist:innen nicht nachvollziehen

… mag keine Bürokratie

Eine Straßenblockade ist also nicht generell strafbar oder straflos. Man muss im Einzelfall schauen, was der Zweck der Aktion ist – und wie der Sachbezug zwischen dem Thema, für das die Demonstrierenden einstehen, und dem Ort der Blockade ist. Dann müssen die verschiedenen Grundrechte gegeneinander abgewogen werden, also auf der einen Seite die Meinungsfreiheit aus Art. 5 Grundgesetz (GG), die Versammlungsfreiheit aus Art. 8 GG und – seit dem Klima-Beschluss des BVerfG – der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen aus Art. 20a GG. Auf der anderen Seite steht die allgemeine Fortbewegungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG der anderen Menschen, die nicht weiterfahren können. Bei der Abwägung kann man zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Und das passiert auch: Viele Richter:innen halten die Aktionen für strafbar, andere für von der Versammlungsfreiheit gedeckt.

Anfang März hat das AG Heilbronn zwei Klimaaktivisten erstmals zu (kurzen) Haftstrafen ohne Bewährung verurteilt. Wie bewerten Sie das?

Ich kenne die Aktenlage und vor allem die Vorstrafen der Verurteilten nicht, aber auf mich wirkt die Entscheidung verfassungswidrig. Gerade in so einem grundrechtssensiblen Bereich wie dem Versammlungsrecht muss man das Gebot schuldangemessenen Strafens aus § 46 Abs. 1 Strafgesetzbuch (StGB) noch stärker berücksichtigen. Wenn ein Gericht bei Menschen, die ihr Versammlungsrecht wahrnehmen und aus altruistischen Motiven handeln, bei Straftaten wie der Nötigung Freiheitsstrafen verhängt, entfernt man sich davon natürlich. Zudem muss man bei so kurzen Freiheitsstrafen noch § 47 StGB beachten, d.h. die Freiheitsstrafe muss unerlässlich sein, um auf die Angeklagten einzuwirken – das kann ich in dem Fall nicht nachvollziehen. Ich gehe aber davon aus, dass das Urteil in nächster Instanz aufgehoben werden wird.

"Es muss eine Lösung außerhalb des Strafrechts gefunden werden"

Erwarten Sie, dass Gerichte jetzt vermehrt Haftstrafen verhängen oder halten Sie das Urteil für einen Einzelfall?

Zunächst war das wohl ein Einzelfall. Aber ich kann mir vorstellen, dass sich die Lage ändert, wenn jemand schon mehrmals verurteilt worden ist. Zunächst gibt es Geldstrafen, dann Freiheitsstrafen mit Bewährung – und irgendwann keine Bewährung mehr. Das kann in der Zukunft passieren, allerdings haben wir eigentlich auch nicht mehr viel Zeit. Die Klimakipppunkte, d.h. die Grenzen, jenseits derer es zu unumkehrbaren Änderungen im Klimasystem kommt, sind nicht mehr weit entfernt. Es muss viel schneller eine Lösung außerhalb des Strafrechts gefunden werden.

Welche Lösung stellen Sie sich da vor?

Der von der Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenrat stellte eine Ambitions- wie eine Umsetzungslücke beim Klimaschutz fest. Das heißt, die von der Regierung gesetzten Ziele reichen nicht aus, um Paris zu erfüllen, und selbst diese werden nicht eingehalten. Beides ist fatal. Gerade im Verkehrsbereich steigen die Emissionen ja immer noch.

Viele Kommunen gehen ja jetzt auch auf die Gesprächsangebote der Klimaaktivist:innen ein; eine solche Aufgabe wie die komplette Umstellung der Gesellschaft hin zur Klimaneutralität braucht doch eine gemeinsame Bündelung aller Kräfte.

Neben den Strafverfahren der Klimaaktivist:innen gehen Sie zum Beispiel auch gegen das Verbot der kurdischen Arbeiterpartei PKK vor. Wie viel Gegenwind erhalten Sie?

Nicht viel. Es gibt ein Video von einem türkischen, nationalistischen Blog, in dem ich als Terror-Anwalt bezeichnet werde. Das ist aber ein Ausnahmefall. Teilweise bin ich auch Nebenklagevertreter in Fällen, in denen Nazis angeklagt sind. Da habe ich dann schon anonyme Mails mit Drohungen wie "Wir werden Dich vergasen" erhalten. Das kenne ich aber nur aus diesem Bereich.

"Eine Villa werde ich mir nie leisten können"

Wenn man auf die Fälle schaut, in denen Sie tätig sind, kann man nicht unbedingt davon ausgehen, dass Sie damit reich werden?

Nein. Wir als Kanzlei können natürlich schon von unserer Arbeit leben, aber eine Villa werde ich mir nie leisten können – darum geht es aber auch nicht. Wir haben jetzt zum Beispiel eine Vier-Tage-Woche für alle eingeführt – und die Zeit ist mir persönlich deutlich wichtiger als viel Geld verdienen wie in der Großkanzlei, in der man aber jeden Tag bis 22 Uhr arbeiten muss. 

Was mögen Sie denn an Ihrem Job am meisten?

Der Kontakt mit den Mandant:innen macht mir am meisten Spaß. Ich lerne viele spannende Menschen kennen, mit denen ich mich austausche und von denen ich viel erfahre. Ich bekomme so viele unterschiedliche Lebensrealitäten mit und das schätze ich sehr. Wenn ein Verfahren gut gelaufen ist, bekomme ich die Dankbarkeit zu spüren – und das motiviert.

"Bürokratie mag ich nicht"

Und was mögen Sie nicht?

Die Bürokratie. Das gehört bei uns Anwält:innen natürlich dazu, wir sind selbstständig und wir haben viel mit Vorgängen wie Rechnungen schreiben und kontrollieren, ob sie bezahlt wurden; Termine vereinbaren und Akten bearbeiten, zu tun. Das kann schon oft langweilig sein.

Zum Schluss fragen wir immer gerne nach Empfehlungen für Bücher, Filme oder Podcasts – haben Sie eine für uns?

Ich kann das Buch "Das Prinzip Verantwortung" von dem Philosophen Hans Jonas empfehlen, in dem es darum geht, wie man mit den neuen Herausforderungen umgeht, die die moderne Technologie für die Menschheit bedeutet. Außerdem höre ich den "Fokus Klima" im Deutschlandfunk mit vielen tollen Beiträgen. Vor kurzem habe ich zum Beispiel ein spannendes Interview mit dem Klimaforscher Mojib Latif gehört. 

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