Small Talk mit Anti-Diskriminierungs-Anwältin Friederike Boll

"Die Leute wollen kein Geld – sie wollen in Frieden arbeiten können"

von Pauline Dietrich, LL.M.Lesedauer: 6 Minuten

In unserem Small Talk fragen wir Jurist:innen, was sie so machen. Heute: Friederike Boll über Fälle aus der queeren Community, Ungleichbehandlungen am Arbeitsplatz und wie es das Leben verändern kann, wenn man nur auf die richtige Anwält:in stößt.

LTO: Friederike Boll, was machen Sie beruflich?

Friederike Boll: Ich bin Anwältin in einer eigenen Kanzlei und seit letztem Jahr Fachanwältin für Arbeitsrecht. Mein Schwerpunkt ist zudem das Anti-Diskriminierungsrecht. Mein Job macht mir sehr viel Spaß, aber ich wollte gefühlt auch schon immer Anwältin werden.

Woher kam der Wunsch?

Friederike Boll…

Ist Anwältin für Anti-Diskriminierungsrecht

Ist auf einer Halloween-Party mal als Geist der ersten Juristin gegangen

Hat viele Mandant:innen aus der queeren Gemeinschaft

Findet, dass sie keine gute Richterin wäre

Würde im Nachhinein mehr Praktika machen

In meiner Familie gibt es keine Jurist:innen, Vorbilder hatte ich in der Hinsicht also keine. Ich habe allerdings schon immer gerne US-Spielfilme geschaut, wo ja gerne sozusagen die Unterdrückten mit wenigen Mitteln, aber den richtigen Anwält:innen zu mehr Gerechtigkeit in dieser Welt beitragen können – das hat mich scheinbar inspiriert (lacht).

Haben Sie denn nun das Gefühl, dass Sie als Anwältin tagtäglich zu einer besseren und gerechteren Welt beitragen?

Inzwischen sehe ich natürlich auch die Grenzen des Rechts, aber im Großen und Ganzen fühlt es sich für mich schon so an, als würde ich Menschen in relevanten Lebenssituationen beistehen und ihr Leben zum Besseren verändern.

Schön finde ich übrigens auch, dass man als Anwält:in in seinem Job immer noch als eigene Persönlichkeit auftreten kann – man kann gerne auch mal ein bisschen spleenig, also sonderbar, sein. Es ist verlockend, sich nicht verbiegen zu müssen und es gibt unter meinen Kolleg:innen sehr interessante und ganz unterschiedliche Menschen.

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"Zuerst kam die Entscheidung, ins Zivilrecht zu gehen"

Warum haben Sie sich denn für die Schwerpunkte Arbeitsrecht und Anti-Diskriminierungsrecht entschieden?

Zuerst kam bei mir die Entscheidung, beruflich ins Zivilrecht zu gehen – einfach, weil ich es eingängig finde und es mir auch auf der Argumentationsebene leichter fiel als andere Rechtsgebiete. Außerdem war ich viele Jahre lang in der Schüler:innenvertretung aktiv. Bereits dort arbeitet man parteiisch für eine Gruppe in einem Umfeld, in dem es Machtungleichheiten gibt – da war später das Arbeitsrecht naheliegend.

Da lässt sich auch einfach sagen, auf welcher Seite man steht – das ist in anderen Rechtsgebieten nicht so. Außerdem wollte ich schon immer Jura und Geschlechterfragen verbinden, das habe ich im Studium auch schon gemacht. In dem Fall ist das Anti-Diskriminierungsrecht das naheliegendste Rechtsgebiet – erst recht in Verbindung mit dem Arbeitsrecht.

Was versteht man eigentlich unter dem Anti-Diskriminierungsrecht?

Das Anti-Diskriminierungsrecht kommt aus der EU und hat mit dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) ein eigenes Gesetz. Es soll verhindern, dass Personen sich davon leiten lassen, mit anderen Personen wegen einer – vermeintlichen – Zugehörigkeit zu einer Gruppe Verträge zu schließen oder eben nicht, zum Beispiel Arbeits- oder Mietverträge.

Da kommen unter anderem die geschlechtsspezifische Diskriminierung, die Diskriminierung wegen einer Behinderung oder des Alters oder aus rassistischen Gründen in Betracht. Ist man zum Beispiel ein Mann mit Migrationshintergrund, der als einziger an der Clubtür nicht hereingelassen wird oder der Einzige, der immer wieder vom Ladendetektiv angesprochen wird, dann liegen rassistische Gründe nahe.

In meiner Kanzlei mache ich das Anti-Diskriminierungsrecht aber schwerpunktmäßig im Bereich Arbeitsrecht. Ein klassisches Beispiel: Eine Frau bekommt eine Beförderung schon zugesagt, offenbart dann aber ihre Schwangerschaft – und das war es dann mit der Beförderung. Oder der oder die Chef:in sagt einer Frau im Bewerbungsgespräch, dass man sie gerne einstellen möchte – aber nur unter der Bedingung, dass sie das Kopftuch abnimmt. Das ist dann schon eine Diskriminierung aus zwei Gründen, nämlich Religionszugehörigkeit und Geschlecht.

Im laufenden Arbeitsverhältnis kommt zudem häufig sexuelle Belästigung in verschiedenen Nuancen und Schweregeraden vor, aber ebenso rassistische Sprüche am Arbeitsplatz. Es gibt  auch verdeckte Formen der Diskriminierung, zum Beispiel in Form der Entgeltungleichheit.

All diese Formen der Ungleichbehandlung können mit dem Anti-Diskriminierungsrecht aufgedeckt werden und die Betroffenen haben einen Anspruch auf Gleichstellung und Schmerzensgeld.

"Die Menschen wollen einfach in Ruhe arbeiten"

Das sind sehr lebensnahe und zugleich sehr krasse Fälle, die das Leben der Betroffenen stark verändern können. Wie gehen Sie damit um – können Sie nach der Arbeit gut abschalten?

Zum Teil geht mir das schon sehr nah. Als Anwält:in ist man in der Regel allein verantwortlich für einen Fall und das kann schwer auf den Schultern lasten. Zusätzlich kommt im Anti-Diskriminierungsrecht hinzu, dass die Menschen von Ungerechtigkeitserfahrungen berichten, die rechtswidrig sind. Häufig stelle ich fest, dass sich die Gerichte mit den Diskriminierungsstrukturen nicht auskennen und die Beweishürden zu hoch hängen. Oder Verfahren ziehen sich unendlich in die Länge und man muss den Sachverhalt immer wieder und ganz von vorne betrachten. Dadurch leidet die Mandantschaft zusätzlich psychisch.

Außerdem kennt das Recht wie gesagt seine Grenzen – so guckt es ja meistens erst hinterher, was schiefgelaufen ist. Die meisten Leute wollen aber gar kein Geld – sie wollen in Frieden arbeiten können oder eine Entschuldigung. Das ist mit den Mitteln des Rechts aber nicht zu erzwingen. 

Würden Sie denn gerne mal in die Rolle von Richter:innen schlüpfen, um das zu ändern?

Nein, Richterin wäre ich nicht gerne, dafür bin ich viel zu parteiisch – ich wäre eine sehr schlechte Richterin. Verlockender fände ich es, an Gesetzesänderungen mitzuwirken – einfach, um mit meinem Wissen aus der Praxis helfen zu können. Tatsächlich würde ich gerne mal die Arbeitgeberperspektive einnehmen – denn die sind nach dem AGG eigentlich verpflichtet, Diskriminierungen präventiv zu begegnen. In der Praxis klappt das nicht besonders gut und ich sehe darin viel verschenktes Potenzial.

"Queer geprägte Mandantschaft"

Sie sind selbst Teil der queeren Gemeinschaft. Wie hat sich das auf Ihre Berufswahl und Ihren jetzigen Beruf ausgewirkt?

Auf die Berufswahl hat es sich gar nicht ausgewirkt – denn damals war mir noch gar nicht klar, dass es eine queere Gemeinschaft und Verfahren mit queeren Inhalten gibt. In meinem Beruf jetzt wirkt es sich allerdings schon aus: Meine Mandantschaft ist queer geprägt und in manchen Punkten kommt man dann schneller auf einen Nenner, weil man sich besser versteht. Außerdem bekomme ich durch das Netzwerken in der Gemeinschaft viele verschiedene Blickwinkel mit – ich kann mich also in solchen Themen gut austauschen und bin aktuell informiert. Das Ganze läuft dann einfach schneller (lacht).

Gibt es denn einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?

Einmal ist eine nicht-binäre Person zu mir gekommen, nachdem sie es schon bei vielen Kanzleien und Beratungsstellen probiert hat. Sie war wirklich verzweifelt. Sie hat nämlich seit der entsprechenden Änderung des Personenstandrechts keine Geschlechtsangabe mehr in ihren Ausweisdokumenten – in der Praxis kam das aber nicht an. Die Unternehmen haben bei Rechtsgeschäften weiterhin diskriminiert und ihr nur die Auswahl zwischen "männlich" und "weiblich" gelassen. Die Person kam gegen diese psychische Belastung nicht an und hat sich anwaltliche Hilfe gesucht – und ist nach vielen Verweisen und Irrungen bei mir gelandet.

Zusammen haben wir es geschafft, dass viele Unternehmen ihre Auswahlmöglichkeiten bei der Anrede ändern – und damit haben wir ja nicht nur der einzelnen Person geholfen, sondern einem großen Personenkreis. Das hat also gezeigt, wie viel es bedeutet, wenn man bei dem oder der richtigen Anwält:in landet. Bei solchen Fällen merke ich auch immer wieder, dass es ein Traumjob ist, Anwältin zu sein.

Wie immer in unseren Small Talks: Haben Sie einen Buch- oder Filmtipp für uns?

Zurzeit lese ich ein Buch der Anwältin Jutta Bahr-Jendges, es heißt "Von Grenzgängen einer feministischen Anwältin". Sie hat darin sehr spannend und kurzweilig ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben. Das Buch beschreibt anschaulich, wie es war, Anwältin zu werden in einer Zeit, zu der fast nur Männer diesen Job ausgeübt haben. Ich kann das Buch sehr empfehlen!

Herzlichen Dank für das Gespräch.

Friederike Boll ist Rechtsanwältin bei geRechtsanwältinnen in Frankfurt am Main, einer Kanzlei für Arbeitsrecht und Anti-Diskriminierungsrecht. Sie vertrat unter anderem erfolgreich eine nicht-binäre Person im Rechtsstreit um die Anredemöglichkeiten bei der Deutschen Bahn AG.

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