Vereinbarkeit von Familie und Beruf

"Väter gehören zum glei­chen Teil in die Pflicht"

Interview von Dr. Anja HallLesedauer: 5 Minuten

Wie sieht der Alltag einer Anwältin aus, die nicht nur ihren Job hat, sondern auch Familie? Und wie reagiert sie, wenn der Mandant sich wundert, dass "der Anwalt" eine Frau ist? Eine Rechtsanwältin aus Süddeutschland erzählt es uns.

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LTO: Sie sind eine vielbeschäftigte Anwältin für Gesellschaftsrecht und Sportrecht - und Sie haben Familie. Wie müssen wir uns einen ganz normalen Tag bei Ihnen vorstellen?

Kurz vor 7 Uhr gibt es Frühstück, ab halb 8 gehen die Kinder in die Schule. Ich selbst starte um 8:30 Uhr mit meiner Arbeit, davor kaufe ich ein- bis zweimal pro Woche Lebensmittel ein. Zwischen 16 und 17 Uhr kommen die Kinder aus der Ganztagesbetreuung nach Hause. Bis 18 Uhr wird dann Hausaufgabenkontrolle gemacht, auf Klassenarbeiten gelernt oder wir – d.h. ich, mein Mann oder die Großeltern - bringen die Kinder zu Sportaktivitäten. 

Das klingt so, als würde die Kinderbetreuung im Wesentlichen an Ihnen hängen?

Ganz so ist es nicht. Ich kann jedoch meine Arbeitszeiten danach ausrichten, dass ich zuhause bin, wenn meine Kinder aus der Schule kommen und ich sie ab da betreuen kann. Die Kanzleiarbeit, die bis dahin noch nicht erledigt ist, muss ich dann eben in den Abendstunden oder zur Not am Wochenende machen. Wenn ich am Wochenende arbeite, dann frühmorgens, damit der Rest des Tages der Familie gehört. Hin und wieder habe ich Abendtermine wie Vorstandssitzungen oder Gesellschafterversammlungen. Ein gewisser Einsatz und Belastbarkeit gehören einfach dazu.

Werden Sie manchmal gefragt, warum Sie sich den ganzen Stress antun?

Ja, solche Fragen sind mir natürlich auch schon untergekommen. Dem kann man eigentlich nur mit Humor und Schlagfertigkeit - wenn diese gerade parat ist - entgegnen. Mir war von Anfang an klar, dass ich weiterarbeiten wollte, wenn Kinder da sind. Mein Mann wollte das auch und hat das unterstützt.

Vollzeitarbeit ist aber mit Kindern schwer vereinbar. Der Vater muss genauso in die Pflicht wie die Mutter. Es ist nicht damit getan, zwei- oder dreimal pro Woche die Kinder aus der Kita abzuholen. Das ist zwar nett, reicht aber nicht. Es geht zum Beispiel auch darum, wer beim Kind bleibt, wenn es krank ist, oder wer eine Betreuung in der Ferienzeit organisiert.

Hierfür fühlen sich immer noch überwiegend die Mütter verantwortlich, und die Väter werden geschont.

Warum halten Sie es für wichtig, dass die Väter nicht geschont werden?

Wenn die Familienverantwortlichkeit auf beide Partner gleichmäßig verteilt ist, dann trifft es nicht nur die Frauen, dass sie als unzuverlässig gelten, wenn sie einmal einen Termin verschieben müssen, weil das kranke Kind aus der Kita abgeholt werden muss. Dann trifft es auch die Väter.

Mütter werden, wenn es darum geht Führungspositionen zu besetzen, erst dann wirklich und ehrlich als gleichberechtigt wahrgenommen, wenn die Väter gleichermaßen in die Familienverantwortlichkeit einbezogen sind. Dann wird sich ein Vater aus einer Telefonkonferenz ausklinken, weil er sein Kind vom Kindergarten oder Fußball abholen muss. Und auch eine Mutter wird aus demselben Grund ein Meeting früher verlassen können - ohne schlechtes Gewissen und anderweitige Ausreden.

Ich sehe, dass Referendare und junge Anwälte, die zu uns in die Kanzlei kommen, in dieser Hinsicht eine andere Arbeitseinstellung haben. Sie machen klar, dass sie sich um ihre Familien kümmern und zum Beispiel Elternzeit nehmen wollen. Das mag für manche vielleicht ungewohnt sein, aber ich denke, dieser Wandel wird auch den Frauen zugutekommen. 

Glauben Sie, die Kinderfrage ist der einzige Grund, warum Frauen immer noch unterproportional in Führungspositionen aufrücken?

Es gibt natürlich viele Gründe. Einer ist aus meiner Erfahrung, dass das gar nicht immer aus Kalkül erfolgt, sondern weil den zu besetzenden Posten schon immer ein Mann innehatte und es die Vorstellungskraft sprengt, dass ab jetzt eine Frau diese Position ausfüllen soll. So banal läuft es tatsächlich oft ab. Ist einmal der Bann gebrochen und wurde die Führungsposition mit einer Frau besetzt, kommt es in der Folge, vielleicht mit Unterbrechungen, immer wieder zu einer Besetzung mit einer Frau.

Mütter, die Kinder weitestgehend allein betreuen, rücken aber noch seltener in Führungspositionen auf. Sie sehen sich mit Vorbehalten konfrontiert, ob sie es schaffen, Familie und Beruf zu vereinbaren. Ein solcher Einwand ist in den meisten Fällen aus meiner Sicht auch berechtigt, sofern die Firmen oder Kanzleien nicht zu mehr Organisationsflexibilität bereit sind und die Väter nicht mehr Familienverantwortung übernehmen.

Was könnten die Arbeitgeber denn konkret ändern?

Nun, sie könnten sicherlich ohne größere Reibungsverluste interne Regelungen einführen, etwa dass nur in Ausnahmefällen Meetings nach 16 Uhr anberaumt werden. Das wird in Skandinavien schon längst so praktiziert. Und sie sollten nicht nur zeitlich flexibleres, sondern auch zuweilen standortunabhängiges Arbeiten zulassen.

Haben Sie selbst schon Vorbehalte an ihren Fähigkeiten erlebt, weil Sie eine Frau sind?

Ich arbeite im Wirtschafts-/Gesellschafts- und Sportrecht, was zu den eher männerdominierten Branchen zählt. Um in diesen Bereichen bestehen zu können, muss man sich, meiner Meinung nach, eine nüchterne und analysierende Sichtweise aneignen, strategisch vorgehen und niemals weder für sich persönlich noch vor anderen Diskussionen darüber aufkommen lassen, ob man "als Frau" für ein bestimmtes Projekt geeignet ist.

Ist Ihnen das schon einmal passiert?

Als junge Anwältin bei einer größeren Transaktion ist mir etwas widerfahren, das sich mir eingebrannt hat. Wir hatten einen Termin mit der Gegenseite und führten ein – aus meiner Sicht – ganz normales und kooperatives Gespräch. Erst im Nachgang habe ich erfahren, dass einer der Herren sich darüber mokiert hat, dass eine Frau mit am Tisch gesessen habe. Davon sei im Vorfeld doch gar nicht die Rede gewesen, sagte er.

Wie haben Sie reagiert?

Mein Kollege und ich sind gar nicht darauf eingegangen, wir haben einfach weitergemacht. Auch heute kommt es noch vor, dass manche Männer überrascht sind, wenn "der Anwalt" eine Frau ist. Bei größeren Unternehmen ist das nie ein Problem, aber die Gegenseite thematisiert das manchmal ganz gerne. 

Auch bei Privatmandaten kommt es gelegentlich vor, dass die Klienten zunächst Vorbehalte haben. Das kann ich sogar ein Stück weit nachvollziehen, denn sie vertrauen uns ein für sie wichtiges Mandat an, zum Beispiel eine Nachfolgelösung, und haben in ihrem Leben meist wenig Kontakt zu Rechtsberatern gehabt. Dann haben sie ein gewisses Bild von "dem Anwalt" im Kopf. Und das ist nun einmal männlich. 

Was tun Sie in solchen Fällen?

Darauf muss man sensibel reagieren und sich fragen, ob es nur der erste Eindruck ist, der verstört, oder ob es menschlich nicht passt. Dann macht es wenig Sinn, das Mandatsverhältnis fortzuführen und es ist für alle besser, wenn ein Mann in der Kanzlei übernimmt. Oft aber entwickelt sich ein solches Mandat noch positiv. Grundsätzlich versuche ich, mich mit Gelassenheit durch so manche "Schlachten" zu manövrieren, was mal besser mal schlechter gelingt. 

Vielen Dank für das Gespräch!

Die Gesprächspartnerin, die anonym bleiben wollte, arbeitet als Rechtsanwältin in einer süddeutschen Großstadt. Ihr Name ist der Redaktion bekannt. 

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