Später Berufswechsel - Associate wird Priester

Von der Kanzlei auf die Kanzel

von Christian LauensteinLesedauer: 6 Minuten
Hervorragende Examina, Doktortitel, LL.M., Auslandserfahrung: Oliver Rothe war ein Topjurist mit den besten Aussichten, eines Tages Partner in seiner Düsseldorfer Großkanzlei zu werden. Stattdessen kündigte er, und begann ein spätes Theologiestudium. Heute arbeitet er als Priester, und ist glücklich mit seinem neuen Leben. Doch auch in diesem Beruf hätte er gern mehr Mandantenkontakt.

Bevor sich Oliver Rothe endgültig entschloss, die Kanzlei an der Königsallee gegen den Kreuzgang zu tauschen, brauchte er einen klaren Kopf. Gott rief, aber sollte das wirklich sein Weg sein? Die Karriere aufgeben? Die Mandanten, das schmucke Büro, die millionenschweren Deals? Im Tausch mit halbleeren Kirchen, Beichtgesprächen und dem Zölibat? Schwierig. Das war im Dezember 2005. Damals arbeitete Rothe als Rechtsanwalt in einer Großkanzlei in Düsseldorf. 480 Anwälte weltweit, bis zu 100.000 Euro Einstiegsgehalt. Er schuftete 80 Stunden in der Woche, las über seine Fälle in der Zeitung, schlief in erstklassigen Hotels. Doch immer spürte er: "Das ist nicht das, was Gott mit mir vorhat." In der Unterstufe hatte er ins Poesiealbum eines Freundes als Berufswunsch "Priester" gekritzelt. Es war nicht mehr als ein frommer Kindergedanke. Erst kam ihm die Pubertät dazwischen, Religion wählte er als Schulfach ab. Und nach dem Abitur wollte er lieber etwas Handfestes studieren: Jura, Berufswunsch Diplomat. Rothe machte ein Praktikum in der Deutschen Botschaft in Moskau. Das gefiel ihm gut. Aber noch viel besser gefiel ihm jenes bei Baker & McKenzie in Frankfurt. Die Welt der Großkanzleien faszinierte ihn. Hier konnte er seine Sprachkenntnisse einbringen und auf höchstem Niveau juristisch arbeiten.

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"Ich konnte an nichts anderes denken. Das Gefühl war so wunderbar, so glücklich machend"

Seinen Glauben an Gott hatte er im Studium zwar weder verloren noch verleugnet. Er besuchte regelmäßig den Gottesdienst und lebte in einem katholischen Wohnheim. Aber mehr war da nicht. Oder doch? Ab und an spürte Rothe eine innere Unruhe, als würde Gott nach ihm rufen, sagt er. Mal währte diese Phase nur eine Stunde, mal eine ganze Woche. Warum er diesem Drängen lange Zeit nicht nachgegeben hat? Seine Antwort ist so kurz wie einleuchtend: "Es lief einfach zu gut." Rothe schrieb Spitzenexamina, promovierte im Markenrecht bei Prof. Dr. Großfeld in Münster und machte einen Master in Pennsylvania. Im Referendariat arbeitete er für Hengeler Mueller und (im September 2001!) im New Yorker Büro von Clifford Chance. Die Welt stand ihm offen. Er bewarb sich auf zwei Jobs und bekam zwei Zusagen: "Wer weiß, bei einem schlechten Examen hätte ich vielleicht eher die Reißleine gezogen. Aber was hätten die Menschen gedacht, wenn ich plötzlich auf Theologie umgestiegen wäre? Dass ich gescheitert bin?" Alles auf null zu setzen, dazu war er nicht bereit. Noch nicht. Rothe tauchte ab in die Welt der Großkanzleien, erst bei Freshfields, dann bei Noerr: Highend-Beratung in der Produkthaftung. Hochkomplex, international, lukrativ. Er schrieb in der NJW und vertrat große Unternehmen. Sein Ziel war klar: Partner werden.  Doch der Gedanke an Gott wurde immer präsenter, ließ ihn immer seltener los. Bei Rothe klingt es, als sei er frisch verliebt gewesen, mit Schmetterlingen im Bauch: "Teilweise konnte ich an nichts anderes denken. Ich konnte mich bei der Arbeit nicht richtig konzentrieren. Diese Gefühle waren so wunderbar, so glücklich machend."

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2/2: Als Of Counsel im Priesterseminar

Doch Rothe, ganz Jurist, wollte sich nicht von seinem Rausch verleiten lassen. Er wartete einige Wochen, beriet sich mit einem Priester, seinem besten Freund und seinen Eltern. Am Ende war das Ergebnis eindeutig: "Give it a try!" Er ging zu seinem Chef und kündigte mit den Worten: "Ich werde Priester." Der war überrascht, leistete aber keine Gegenwehr. Ein guter Anwalt weiß, wann er verloren hat. Rothe zog nach Münster ins Priesterseminar Borromaeum und begann, Theologie zu studieren. Die alten Anzüge trug er auf, die meisten Jurabücher warf er weg. Einmal wöchentlich arbeitete er noch für seine alte Kanzlei als Off-Counsel. Er richtete sich ein Home Office ein, bearbeitete Akten, verfasste Schriftsätze und Gutachten. Eine Win-win-Situation: Die Kanzlei konnte die hohen Stundensätze einstreichen, ohne Büro und Sekretärin in vollem Umfang stellen zu müssen. Die Mandanten waren froh, dass sich kein neuer Anwalt in ihre Fälle einarbeiten musste. Und Rothe kam finanziell gut durchs Studium. Im Borromaeum beäugte man die Mini-Kanzlei zunächst kritisch. Aber am Ende hatte sich selbst der Regens daran gewöhnt, dass da ein "Herr Doktor" in seiner kleinen Stube einmal pro Woche in eine andere Welt abtauchte. Keine zehn Jahre später trägt Rothe statt Maßanzug ein schwarzes Kollarhemd. Die schicken Kanzleiräume in Düsseldorf sind dem Xantener Dom am Niederrhein gewichen, sein Business Englisch hat er eingemottet. Aus dem Herrn Rechtsanwalt Dr. Rothe, LL.M. ist der Kaplan Rothe geworden. Und der predigt voller Überzeugung, auch zu brisanten Fragen. Er schüttelt nach dem Gottesdienst den Menschen die Hände, kennt die Messdiener beim Vornamen. In seiner Wohnung reihen sich theologische Wälzer aneinander, zwei Kerzen brennen neben dem Foto von Papst Franziskus. Das Primizbild an der Wand zeigt einen Ausschnitt aus Rembrandts "Heimkehr des verlorenen Sohnes". Zwischendurch klingelt eine Ordensschwester zum Plausch. Rothe verabschiedet sie mit "Gottes Segen". Rothe weiß, dass seine Entscheidung bei vielen Menschen Kopfschütteln hervorruft. Dass frühere Kollegen ihn vielleicht für einen Spinner halten. Er kann das alles nachvollziehen. "Doch die Entscheidung, die ich getroffen habe, lässt sich rational nicht begründen, sondern nur aus dem Glauben. Gott lässt mich glücklich sein. Darum geht es."

Das Zölibat: "Eine Wunde, die manchmal blutet"

Dass ein Priester der Star des Dorfes ist, diese Zeiten seien schon lange vorbei, sagt Rothe. Manchmal wird er mit Fragen gelöchert, die man ihm als Anwalt niemals gestellt hätte. Ende 2013 saß er in einer WDR-Talkrunde. Ebenfalls zu Gast: der mittlerweile verstorbene Schauspieler Maximilian Schell. Dieser hatte keine Scheu, Rothe vor laufender Kamera nach seinem Sexualleben auszufragen. Rothe parierte souverän, aber auch etwas verwundert. Ist man als Priester so etwas wie Freiwild? Bereit zum Abschuss für jedermann? An die Zölibat-Frage hat er sich gewöhnt, vor allem Schüler sind neugierig. "Die Ehelosigkeit ist kein Punkt, an dem ich mich aufreibe", sagt Rothe. Er hat keinen Partner zurücklassen müssen, worüber er sehr froh ist. Aber dennoch: "Es ist eine Wunde, die manchmal blutet. Man muss aufpassen, dass man nicht verblutet." Manche Fertigkeit aus seinem Anwaltsleben kann er auch heute noch gut gebrauchen. Das freie Reden, das strukturierte Denken. Auch wirtschaftliche Fragen sieht er gelassener. "Wenn die Gemeinde mal etwas mit 50.000 Euro kreditfinanzieren muss, habe ich keine Berührungsängste. Als Anwalt musste ich mit ganz anderen Summen umgehen." Auf seinen alten Beruf werde er häufig angesprochen, Rechtsrat erteile er aber nicht. "Schon allein deshalb, weil ich von Familienrecht keine Ahnung habe", sagt Rothe. Wie stellt er sich nun die Zukunft vor? Gern wäre er Priester in einer kleinen Einheit. "Gott will, dass ich bei den Menschen bin. Und nicht in der Verwaltung." Für realistisch hält er jedoch eher das managerhafte Wirken in einer riesigen Gemeinde: verwalten, vermitteln, verkleinern. Rothe kennt die Probleme der katholischen Kirche und gibt sich keinen Illusionen hin. Und seine Vergangenheit? Damit hat er abgeschlossen, endgültig. "Einzig, wenn ich manchmal in der 'FAZ' einen Artikel zum Thema Produkthaftung finde, dann lese ich das mit großem Interesse." Er dürfte damit als Priester ziemlich einmalig sein. Christian Lauenstein ist freier Journalist. Sein Beitrag erschien zuerst bei Spiegel Online.

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