Kanzleisterben 2.0

Anatomie eines Zerfalls: Das Ende von Dewey & LeBoeuf

von Robert PeresLesedauer: 4 Minuten
Die renommierte, weltweit tätige Kanzlei Dewey & LeBoeuf hat am Montag in New York Gläubigerschutz beantragt. Was bei vielen Unternehmen mit der Hoffnung auf Restrukturierung verbunden ist, bedeutet für eine von Partnern getragene LLP faktisch das Ende. Die Top-Partner haben die Kanzlei schon verlassen, gegen den Ex-Vorsitzenden der Geschäftsführung Steven Davis laufen Ermittlungen wegen finanziellen Fehlverhaltens.

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Noch Ende 2011 meldete die Kanzleiführung einen Rekordumsatz von 935 Millionen US-Dollar, die Kanzlei zählte dereinst beinahe 1.300 Anwälte an 26 globalen Standorten. Dewey & LeBoeuf war 2007 aus der  Fusion von Dewey Ballantine und LeBoeuf, Lamb, Greene & McRae hervorgegangen, zweier New Yorker "White Shoe Firms", die seit über einem Jahrhundert ein Who-is-Who von illustren Mandanten aus der Geschäfts- und Finanzwelt betreuten. Nach dem Zusammenschluss schlug die neue Megakanzlei einen verstärkten Wachstumskurs ein. Die Law Firm verpflichtete eine Reihe führender Partner konkurrierender Kanzleien, die sie mit aggressiven Garantie-Einkommen zum Wechsel überredete.

Erst Howrey, nun Dewey – was kommt noch?

Stephen J. Harper, ehemaliger Partner der Kanzlei Kirkland & Ellis und Adjunct Professor der Northwestern University, vergleicht den Zerfall Deweys mit dem Zusammenbruch der Kanzlei Finlay Kumble im Jahre 1987: zu schnelles Wachstum, verbunden mit hoher Verschuldung und überhöhter Bezahlung sogenannter Rainmaker. "Über eine der ganz großen Kanzleien, deren geschäftsführende Partner heute glauben, so etwas könnte ihnen nie passieren, werden wir im nächsten Jahr sprechen", sagt Harper voraus. Mit dieser Einschätzung ist er nicht allein. Paul Lippe von der populären Anwaltsplattform Legal OnRamp und Kritiker der Branche, schätzt, dass mindestens zehn der 250 größten US-Kanzleien bis Ende 2013 aufgeben müssen. Er schreibt vielen Kanzleien unsauberes Finanzgebaren ins Stammbuch und mahnt höhere Rückstellungen und restriktivere Gewinnausschüttungen an die Partner an. Deweys heute verbliebenen Vermögenswerten von 13 Millionen US-Dollar stehen laut Insolvenzantrag heftige 315 Millionen Verbindlichkeiten gegenüber. Ähnlichkeiten zur Insolvenz von Howrey drängen sich auf. Auch diese ehemals hoch profitable Kanzlei war 2010 über Cash-Flow Probleme gestolpert. Dort löste wegbrechender Umsatz einen Partnerexodus aus. "Die betroffenen Kanzleien sind nicht in der Lage, ihre hohen Fixkosten zu decken, insbesondere laufende Personalkosten und Mieten", sagte damals Prof. Dr. Silvia Hodges, Adjunct Associate Professor an der Fordham University School of Law in New York und Expertin für Kanzleimanagement.

"Der Kollaps ist systemimmanent"

Der Zusammenbruch von Dewey & LeBoeuf verdeutlicht die volatile Finanzverfassung vieler Big Law Kanzleien. Auf maximalen Partnerertrag ausgelegt, vernachlässigen die Kanzleien es, Liquiditätspolster anzulegen und für Umsatzdellen vorzusorgen. So wurde die neu fusionierte Kanzlei ein Jahr später gleich von der Post-Lehman-Krise beeinflusst und musste starke Honorareinbußen hinnehmen. Bei Dewey kam ein höchst bedenkliches Finanzgebaren hinzu. Beispiel: zwischen 2007 und 2012 war der Anteil der Partner mit Garantieeinkommen von 25 auf 100 angewachsen, immerhin ein Drittel der Gesamtpartnerschaft. Manchen von ihnen, wie beispielsweise dem umstrittenen ehemaligen Managing Partner von Dewey Ballantine, Morton Pierce, wurden pro Jahr sechs Millionen US-Dollar garantiert. Pierce hat kurz vor der Pleite die Kanzlei Richtung White & Case verlassen und damit vermeintlich eine "weiche Landung" vollzogen. Allerdings sollte sich Pierce auf Rückforderungsklagen zurückgelassener Partner einstellen, die ihren früheren Topverdienern unlautere Bereicherung vorwerfen. Im Bestreben, die aggressive Wachstumspolitik zu finanzieren, begab die Kanzlei im Jahr 2010 eine Privatanleihe in Höhe von 125 Million US-Dollar, eine in der Branche höchst ungewöhnliche Maßnahme. Angesichts der fortschreitenden desolaten Liquiditätslage beschloss die Führung, auch die Partnerausschüttung zu limitieren und nach hinten zu verschieben, was ein weiteres Loch von etwa 100 Million US-Dollar verursachte. Allerdings wurde diese Aufschiebung Berichten zufolge nur auf Partner ohne vertragliche Einkommensgarantien angewendet, was nach Meinung von Branchenbeobachtern eine Vielzahl von Prozessen nach sich ziehen wird. Weiterhin belasten Pensionspläne für 1.800 Angestellte in Höhe von ca. 80 Millionen US-Dollar die Bilanz. "Ich werde oft gefragt, ob der Dewey Kollaps a) ein Ausreißer aufgrund extrem schlechten Managements oder b) systemimmanent ist. Ich denke, die Antwort lautet b. Zwar wendete Dewey durchaus eine Anzahl unvorstellbarer Praktiken an, diese sind jedoch nicht fundamental anders als solche vergleichbarer Kanzleien. Das sagt mir, dass ein starkes Management und eine klar definierte und ausgeführte Strategie heute wichtiger sind denn je", erklärt dazu Kanzleimanagement-Guru Bruce MacEwen.

Headhunter und Blogs schuld am Untergang?

Stuart Saft, ehemaliger Vorsitzender der Immobilienpraxis bei Dewey, beschwerte sich bei Bloomberg TV über die Finanzpolitik der Kanzlei und beteuerte, keine Ahnung vom Ausmaß der Krise gehabt zu haben. "Ab einer bestimmten Größe leidet die Kommunikation innerhalb einer Kanzlei", bedauerte er im Fernsehinterview. Saft, seit kurzem bei Holland & Knight, beschuldigte Headhunter, die Situation bei Dewey beschleunigt zu haben, indem sie Berichte in Blogs über Finanzprobleme der Kanzlei an die Presse weitergegeben und durch aggressive Abwerbung eine Destabilisierung herbeigeführt hätten. Dieser naiven Sichtweise widerspricht Ellen Hayes, Geschäftsführerin der international tätigen Personalberatung Legalis: "Personalberater sind nie der Grund einer Schwächung oder des Zusammenbruchs einer Kanzlei, sondern das Symptom einer Fehlentwicklung. Im Falle Deweys haben Partner weltweit nach neuen Optionen gesucht, auch in Deutschland, und haben ihrerseits Headhunter kontaktiert." Die Anwälte des deutschen Dewey & LeBoeuf Büros haben sich in den vergangenen Wochen weitgehend umorientiert und sich anderen Kanzleien angeschlossen, zum Beispiel Simmons und DLA Piper. Inwieweit Rechtsstreitigkeiten um Anteile, Ausschüttungen oder Gehälter folgen, ist derzeit noch nicht abzusehen. "Wie im Unternehmensbereich nehmen leider Loyalität und Engagement für die eigene Kanzlei immer mehr ab. Das Partnerschaftsmodell wird beschädigt, wenn große Sozietäten Wettbewerbsangebote um Quereinsteiger abgeben und sich Topanwälte bis zu 20-mal höhere Gehälter genehmigen als ihre Partner. Hoffentlich dienen Dewey und Howrey als Weckruf für die Branche",wünscht sich Fred Rackmil, New Yorker Anwaltsberater der alten Schule. Der Autor Robert Peres ist Rechtsanwalt und Kanzleiberater. Er arbeitete viele Jahre für große US Sozietäten in Deutschland und den USA.

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