DAV will Intervision bei Anwälten etablieren

"Oft hilft es, die Dinge in der Gruppe laut aus­zu­sp­re­chen"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

Die Intervision gibt es vornehmlich in den sozialen und psychologischen Berufen, der DAV möchte das ändern. Hauptgeschäftsführerin Sylvia Ruge erklärt, wie die virtuellen Sitzungen ablaufen sollen – und welche Vorteile die Intervision hat.

LTO: Der Deutsche Anwaltverein (DAV) möchte die Intervision in der Anwaltschaft etablieren und hat dazu Mitte März 2022 einen Workshop durchgeführt. Was ist Intervision eigentlich?

Dr. Sylvia Ruge: Intervision ist die kollegiale Beratung in moderierten Gruppen – wertschätzend und auf Augenhöhe. Dabei können sich die Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu schwierigen Fällen und anspruchsvollen Situationen im Berufsalltag austauschen. Ziel der Intervision ist es, die Perspektiven auf eine klärungsbedürftige Situation zu erweitern und damit die eigenen Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten zu erhöhen. Es geht gerade nicht darum, Recht zu haben oder besser zu wissen. 

Intervision wird bis jetzt eher in den sozialen und psychologischen Berufen durchgeführt. Wie kamen Sie darauf, die Intervision in der Anwaltschaft einzuführen?

Durch den Kontakt zu anderen Berufsgruppen hatte ich schon viele Berührungspunkte mit der Intervision. Ich bin Fachanwältin für Medizinrecht und berate überwiegend psychologische Psychotherapeutinnen und -therapeuten bzw. Ärzte und Ärztinnen. In diesen Berufsgruppen wird Intervision seit Jahren praktiziert und ist auch als Fortbildung anerkannt. Zudem bin ich Wirtschaftsmediatorin – Intervision gibt es auch in der Mediation. 

Dann habe ich mir die Frage gestellt, wieso das in der Anwaltschaft noch nicht so ist. Der Beruf der Rechtsanwältin bzw. des Rechtsanwalts ist mit den medizinischen und psychologischen Berufen vergleichbar: Der Beruf ist genauso herausfordernd und es ist auch ein besonderes Vertrauensverhältnis erforderlich. Einige Anwältinnen und Anwälte haben bereits mit der Intervision zutun, vor allem im familienrechtlichen und medizinrechtlichen Bereich. Das Konzept ist also in der Anwaltschaft bekannt – aber noch nicht in der Breite.

Der DAV hat eine virtuelle Plattform für Intervision etabliert. Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?

Die Plattform gibt es in dem geschützten Bereich auf der Homepage des DAV, der allen Mitgliedern offensteht. Per Eingabemaske kann man unkompliziert ein Intervisionstreffen anlegen. Dort müssen verschiedene Angaben gemacht werden, unter anderem muss man einen Namen der Gruppe wählen oder ein Schlagwort, beispielsweise ein Rechtsgebiet oder ein Thema wie Anwaltsethik oder Konfliktlösung oder auch allgemeine Intervision. Die anderen Mitglieder können sich dann für eine Gruppe anmelden – und so bilden sich die Intervisionsgruppen. Zu dem angegebenen Termin treffen sich die Teilnehmer dann virtuell.

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"Interversion ist für alle Anwältinnen und Anwälte gewinnbringend"

Für wen eignet sich die Intervision?

Aus meiner Sicht für alle Anwältinnen und Anwälte. Das Bedürfnis, sich auszutauschen, haben die meisten. Ich habe gemerkt, dass das insbesondere auf die jüngeren zutrifft – und zwar auf gleicher Ebene und nicht im "Lehrer-Schüler-Verhältnis". Ich merke aber, dass auch erfahrenere Anwältinnen und Anwälte interessiert sind.  

Für Inhaberinnen und Inhaber einer Einzelkanzlei ist die Intervision eine gute Gelegenheit zum Austausch. Andererseits haben sich auch Großkanzleien bei mir gemeldet, die überlegen, Intervision in der Kanzlei einzuführen. Auch für Boutiquen eignet sich die Intervision – deshalb kann man die Gruppen beispielsweise auch nach Rechtsgebieten aufteilen, etwa Medizinrecht oder Familienrecht. Eine andere Möglichkeit wären heterogene Gruppen, in denen man mit Anwältinnen und Anwälten aus einem anderen Bereich zusammenarbeitet.

Welche Themen können in den einzelnen Sitzungen besprochen werden?

Zum einen Themen mit Selbstbezug, also beispielsweise Probleme mit Mandantinnen und Mandanten oder mit gegnerischen Anwältinnen und Anwälten oder Richterinnen und Richtern. Möglich sind aber auch fremdbezogene Themen, etwa Konflikte zwischen Kollegen bzw. Kolleginnen in einer Kanzlei. Als Vorgesetzter oder Vorgesetzte ist man zwar nicht unmittelbar am Konflikt beteiligt, aber zumindest mittelbar tangiert. In diesem Bereich können etwa Themen wie Führungsaufgaben und Führungsverantwortung besprochen werden.

Außerdem kann man in den Intervisionsgruppen über schwierige Entscheidungssituationen sprechen, beispielsweise über ethische Fragen: Eigentlich habe ich ein persönliches Problem mit der Entscheidung, andererseits bin ich aber auch Dienstleister – wie gehe ich damit um?

Wenn alle Gruppenmitglieder einverstanden sind, kann man Fälle auch rechtlich besprechen – das sollte aber nicht Kern der Intervision sein.

"Die Rollen können bei jeder Sitzung rotieren"

Welche Rollen gibt es bei der Intervision?

Ein Moderator oder eine Moderatorin achtet auf den reibungslosen Ablauf der Sitzung. Außerdem gibt es diejenigen, die ein Anliegen vortragen, die Beraterinnen und Berater und daneben einen Prozessbeobachter oder eine Prozessbeobachterin. Der- oder diejenige verfolgt den Ablauf der Gespräche – und beobachtet, ob es in Bezug auf die Beratungskultur Verbesserungsbedarf gibt. Ein Protokollant oder eine Protokollantin schreibt die Lösungsideen, die die Gruppe entwickelt, auf und stellt sie den Vortragenden hinterher zur Verfügung. 

Insgesamt sollten es also mindestens fünf und maximal zwölf Teilnehmer sein. Die Rollen können bei jeder Sitzung rotieren, also der Moderator kann in der nächsten Sitzung dann auch ein Anliegen schildern. Eine Intervisionssitzung kann zwischen zwei und drei Stunden dauern. In der Zeit kann man zwei bis drei Anliegen bearbeiten. Die Gruppe kann die Dauer der Sitzung aber selbst festlegen.

Wie läuft eine Intervisionssitzung ab?

Dr. Sylvia Ruge

Zunächst schildert ein Teilnehmer oder eine Teilnehmerin ein Anliegen und die anderen Gruppenmitglieder sollen Fragen stellen. Im Anschluss stellt der- oder diejenige, der oder die ein Anliegen eingebracht hat, eine sogenannte Schlüsselfrage an die Gruppe: Was soll ich machen? Soll ich mich bei einer bestimmten Stelle beschweren? Dann lehnen der Fragesteller oder die Fragestellerin sich zurück und hört zunächst zu, während die Gruppenteilnehmer frei überlegen und Lösungsmöglichkeiten entwickeln.

Im Anschluss gibt der Fragesteller oder die Fragestellerin ein Feedback, welche Erkenntnisse er oder sie gewonnen hat, bevor in einem Gesamtfeedback ein Fazit über den Ablauf der Kommunikation in der Gruppe gezogen wird. 

Wie war die Gruppendynamik? Wie war die Beratungskultur? Es kann sein, dass einzelne, , die ihr Anliegen schildern, am Anfang noch gereizt auf Fragen der Gruppe reagieren und sich angegriffen fühlen. Das sollte angesprochen werden, damit bewusster kommuniziert und eine wertschätzende Ebene erreicht wird. Die Gruppen treffen sich im besten Falle sechs- bis zwölfmal im Jahr – ein regelmäßiger Austausch ist sehr wichtig.

"Intervision trägt dazu bei, Fehler zu vermeiden"

Welche Vorteile bietet die Intervision für Anwältinnen und Anwälte?

Aus meiner Sicht ist Intervision ein Instrument der Qualitätssicherung und Qualitätsverbesserung. Außerdem trägt sie dazu bei, Fehler zu vermeiden, da man das eigene Verhalten selbst und auch mit anderen reflektiert. Oft reicht es aus, die Dinge in der Gruppe laut auszusprechen – manchmal löst man den Fall dann selbst. 

Die Intervision birgt Konflikte mit dem anwaltlichen Berufsgeheimnis. Wie schafft man die Balance?

Am wichtigsten ist, dass alles nur anonymisiert erzählt werden darf. Die Gruppe muss zudem Vertraulichkeit vereinbaren. Die Intervision gibt es ja auch – trotz Schweigepflicht – bei den Ärztinnen und Ärzten und den Therapeutinnen und Therapeuten.

Auch Interessenkollision können vorkommen: Es kann sein, dass jemand einen Fall schildert und die gegnerische Anwältin mit in der Gruppe ist. Passiert das, muss jeder Gruppenteilnehmer bzw. jede Gruppenteilnehmerin sofort auf die Interessenkollision hinweisen und der konkrete Fall muss abgebrochen werden. 

"Intervision sollte als Fortbildung anerkannt werden"

Wie stellen Sie sich langfristig die Arbeit der Intervisionsgruppen vor?

Der Mitschnitt von der Schulungsveranstaltung ist im geschützten Mitgliederbereich auf der DAV-Homepage abrufbar – auch Personen, die beim Workshop nicht dabei waren, können und sollen Intervisionsgruppen anlegen. Dort befinden sich ebenfalls Checklisten, Ablaufpläne und sämtliche Informationen, die man braucht, um eine Intervisionsgruppe ins Leben zu rufen. Ich hoffe, dass sich Gruppen bilden, die sich auch verstetigen. Die ersten Gruppen gibt es bereits – bis jetzt beispielsweise im Internationalen Wirtschaftsrecht, Berufsrecht, zur Mediation, im Familien- und Erbrecht, Medizinrecht sowie auch allgemeine Intervisionsgruppen.

Welche Herausforderungen sehen Sie derzeit noch?

Eine Herausforderung ist es für mich derzeit noch, die Intervision unter Anwältinnen und Anwälten bekannter zu machen.

Zudem ist die Intervision noch nicht als Fortbildung anerkannt. Anwältinnen und Anwälte haben ja eine Fortbildungspflicht und es wäre wünschenswert, dass die Intervision eine Ergänzung zu Seminaren wird.

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