Was macht ein Legal-Tech-Anwalt?

"Wir sind oft für Not­fal­lein­sätze da"

von Dr. Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

Immer mehr Unternehmen setzen auf Legal Tech. Jura-Absolventen mit technischen Kenntnissen können zwischen Anwalt und IT-Abteilung "übersetzen" – und haben deshalb beste Karrierechancen, erklärt Legal-Tech-Anwalt Philipp Glock.

LTO: Herr Glock, den Begriff "Legal Tech" hört man mittlerweile sehr häufig. Was verstehen Sie darunter?

Philipp Glock: Legal Tech umfasst jegliche Technologie, die rechtlich relevante Prozesse unterstützt. Zum Beispiel kann man mithilfe von Legal Tech die Erstellung von Verträgen automatisieren, große rechtliche Projekte End-to-End steuern oder Informationen auslesen.

Wie kann man sich Ihre Arbeit als Legal-Tech-Anwalt vorstellen?

Unsere tägliche Arbeit besteht darin, neue technologiebasierte Services für unsere Mandantinnen und Mandanten zu bauen. Sie sprechen dafür zunächst mit einem Fachpartner, zum Beispiel einem Datenschutzrechtler oder Kartellrechtler, um die entscheidenden juristischen Fragen zu klären.

Dann ist mein Team "Legal Operations und Technology Services" an der Reihe. Wir gehen mit unseren Fachpartnern zunächst durch einen fragebasierten Innovationsprozess. Dabei müssen wir herausfinden, welches Produkt sie wirklich für ihren Service benötigen – und ob dieses auch für andere als nur einen Mandanten sinnvoll ist. Ziel sind skalierbare Services. Denn wenn nur ein Mandant den Service oder das Tool braucht, müssen wir den Preis entsprechend hoch ansetzen – und der Mandant entscheidet, ob er das zahlen will.

Bestimmte Tools können wir innerhalb unseres Teams selbst unmittelbar bauen, zum Beispiel Vertragsautomatisierungen. Bei komplexeren Dingen arbeiten wir mit weiteren KPMG-Experten zusammen, die die technologische Seite abbilden.

Ihr Team besteht nicht nur aus Juristinnen und Juristen – aus welchen Fachbereichen kommen die Teammitglieder?

Wir sind ein interdisziplinäres Team aus Juristen und Juristinnen, Projektmanagern, und Technologen wie Business Analysten und Informatiker. Alle Juristen innerhalb des Teams haben ein gewisses technologisches Verständnis, aber diejenigen, die die Technologie-Themen steuern, sind keine Juristen.

Wie sind Sie im Legal-Tech-Bereich gelandet?

Ich habe mich schon immer für Technik interessiert. Bei KPMG Law spielte Legal Tech früh eine Rolle, daher bin ich in den Bereich reingerutscht. Ich sollte mir das Thema anschauen, dann war mein Interesse geweckt und ich habe mich intensiver mit der Materie beschäftigt.

Foto: Philipp Glock

Natürlich habe ich auch gemerkt, dass ich nicht alle technischen Kompetenzen in mir vereinen kann und ich ein interdisziplinäres Team um mich herum benötige – so ist der Bereich nach und nach gewachsen.

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"Wir unterstützen Mandanten dabei, ihre Arbeitsprozesse zu digitalisieren"

Wer wendet sich an Sie und warum brauchen Ihre Mandantinnen und Mandanten Legal-Tech-Lösungen?

Ein Beispiel sind "Notfalleinsätze": Es geht darum, dass die Mandanten und Mandantinnen ein hohes Arbeitsaufkommen haben, etwa eine Rechtsabteilung, die öffentliche Hand oder eine Bank, die ein Projekt nicht selbst bearbeiten kann, weil es schnell gehen muss und entweder Arbeitskräfte oder die Technologie fehlen. Das kommt etwa vor, wenn große Fördermittelprogramme aufgelegt werden und unsere Kanzlei hilft, die Anträge zu bearbeiten. Es kann auch vorkommen, dass unsere Mandantin mit einer großen Zahl an Klagen konfrontiert ist, oder etwa mit Forderungen im Rahmen einer Insolvenz. Bei Klagen z.B. setzen wir häufig Robotics-Lösungen ein, um Dokumente automatisiert in die richtige Fallakte abzuspeichern oder andere Arbeitsabläufe zu automatisieren.

Aber Sie haben nicht nur solche Notfalleinsätze?

Nein, bei langfristigen Tätigkeiten geht es zum Beispiel darum, für Rechtsabteilungen komplexere, standardisierte Verträge zu erstellen und zu verhandeln.

Ein weiterer Anwendungsfall sind Auskunftsansprüche aus dem Datenschutzrecht, die an das Unternehmen gestellt werden. Diese Anfragen müssen die Unternehmen beantworten – und erstmal herausfinden, welche personenbezogenen Daten wo gespeichert sind. Dort kommt auch Technologie zum Einsatz.

"Bewerber und Mandanten erwarten, dass wir neue Technologien nutzen"

Wieso sollten Anwältinnen und Anwälte Legal Tech nutzen?

Zum einen, um die eigene Arbeit effizienter zu gestalten. Zu Beginn meiner Anwaltstätigkeit hatten wir unsere Formularhandbücher und haben die wichtigen Aspekte rausgeschrieben. Irgendwann gab es dann CD-ROMs – und wenn ich jetzt die Gelegenheit habe, mir durch fünf Klicks einen nahezu perfekten Gesellschafter-Beschluss oder Standardvertrag zu bauen und so 80 Prozent meiner Arbeit erledigen kann, macht mich das deutlich effizienter. So kann ich auch preislich günstiger anbieten, denn ich produziere schneller, als wenn ich Klauseln aus 50 verschiedenen Quellen zusammensammeln muss und dafür deutlich mehr Zeit brauche. Wenn ich die Arbeit mittels Automatisierungen in wenigen Minuten erledige, bin ich kompetitiver.

Auch aus HR-Sicht ist Legal Tech sinnvoll: Bewerber und Bewerberinnen erwarten eine moderne Kanzlei und keine, in der Verträge noch immer ausgedruckt, korrigiert, im Sekretariat überarbeitet und wieder eingescannt werden.

Wie hat sich der Markt in den vergangenen Jahren verändert?

Es gibt immer neue Technologien und der Markt verändert sich sehr schnell. Anwältinnen und Anwälte sollten offen für Legal Tech sein. Zum Beispiel wird es irgendwann die Möglichkeit geben, mittels Künstlicher Intelligenz (KI) eine Software auf den Markt zu bringen, die Verträge viel besser auslesen kann als dies heute der Fall ist.

Die Mandantinnen und Mandanten erwarten auch, dass wir neue Technologien nutzen – und suchen sich die Kanzleien danach aus. Es gibt keinen großen Pitch einer Rechtsabteilung, die nicht danach fragt, inwiefern die Kanzlei Legal Tech einsetzt, um ihr Angebot besser und günstiger zu machen.

Welche Kompetenzen müssen Anwältinnen und Anwälte mitbringen, die im Legal-Tech-Bereich arbeiten wollen?

Wichtig ist ein Grundverständnis, wie man Technologie baut. Natürlich müssen Juristinnen und Juristen nicht selbst programmieren können, aber sie sollten verstehen, welche Informationen der Programmierer von ihnen braucht. Der Programmierer ist kein Jurist und muss sich daher auch nicht in den Untiefen z.B. der ZPO auskennen, deshalb braucht er Unterstützung, wenn er zum Beispiel eine Klage-Plattform baut.

Ich als Jurist muss ihm deshalb sagen können, welche Funktionen das neue Tool haben soll. Juristinnen und Juristen im Legal-Tech-Bereich sollten daher verstehen, warum der Programmierer bestimmte Fragen stellt.

Und sie sollten offen sein, die neuen Technologien, die zum Standard werden, auch tatsächlich anzuwenden. Bei der neuen Generation bin ich aber optimistisch, dass das funktioniert. Und, da spreche ich aus Erfahrung, am Anfang muss man sich vielleicht zwingen, die Software zu verstehen und zu nutzen, aber es lohnt sich.

"Ich glaube nicht, dass es mal ein Wahlfach 'Legal Tech' geben wird"

Legal Tech spielt in der juristischen Ausbildung kaum eine Rolle. Wie könnte man das ändern?

Die juristische Ausbildung beruht immer noch auf der Richterausbildung – und in der Justiz spielt Legal Tech noch keine große Rolle. Etwas anders sieht das bei den wirtschaftsjuristischen Studiengängen aus, weil dort das Curriculum etwas freier ist. Es gibt allerdings auch Universitäten mit guten Zusatzprogrammen. An den meisten Unis gibt es noch etwas Luft nach oben.

Ich denke nicht, dass es irgendwann ein Wahlfach "Legal Tech" geben wird, die Studierenden werden schon erstmal noch viel Subsumtion lernen – das ist aber ja in der Grundausbildung auch sinnvoll.

Wie können sich Absolventinnen und Absolventen selbst im Bereich Legal Tech weiterbilden?

Entweder durch Kurse an der Universität selbst oder durch eine Zusatzausbildung. Das muss kein Zweitstudium sein – vielleicht bietet sich die Möglichkeit, ein paar Jahre in einem Technologie-Unternehmen zu arbeiten und ein Tiefenverständnis aufzubauen.

Und welche Karrieremöglichkeiten haben sie dann?

Absolventinnen und Absolventen, die das Erste Staatsexamen haben und gleichzeitig eine technologische Zusatzausbildung haben, haben sehr gute Karrierechancen. Sie brauchen auch nicht zwingend das Referendariat, Prozessrecht ist in diesem Fall nicht so wichtig. Sie können die Schnittstelle zwischen dem Anwalt und der IT-Abteilung bedienen und als "Übersetzer" fungieren. Aus meiner Sicht gibt es wenige Juristinnen und Juristen, die das können, der Bedarf ist aber da.

Philipp Glock, LL.M. ist Partner bei KPMG Law, u.a. Head of Innovation & IT und Co-Head des Bereichs "Legal Process & Technology".

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