Wie ein Anwalt gegen Hass im Netz kämpft

"Vieles hört sich juris­tisch an, ist aber Quatsch"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Anwalt Chan-jo Jun setzt sich gegen Hasskriminalität im Internet ein – und wurde dafür schon mehrfach ausgezeichnet. Im Interview erzählt er, wie es dazu kam, was "QuatschJura" ist und wieso in seiner Kanzlei meist um 17 Uhr Feierabend ist. 

LTO: Herr Jun, vor kurzem sind Sie für Ihre "anwaltliche Zivilcourage und Ihre stete Aufklärung über Quatschjura" mit dem "Facts Heroes Award" der Berliner Initiative "Der Goldene Aluhut" ausgezeichnet worden, schon in den vorherigen Jahren haben Sie Preise für Ihr Engagement erhalten. Was bedeuten die Auszeichnungen für Sie? 

Chan-jo Jun: Der Facts Heroes Award hat mich sehr gefreut, weil ihm ein riesiges Publikumsvoting mit über 10.000 Stimmen zu Grunde lag. Jeder Preis hat seine Eigenheit. Der Max-Dortu-Preis für Zivilcourage und gelebte Demokratie, den ich im September erhalten habe, wird zum Beispiel von der Stadt Potsdam verliehen. Frühere Preisträger waren Hans-Christian Ströbele und die Seenotrettungs-Initiative Iuventa. Ich habe mich allein schon geehrt gefühlt, in dieser Aufzählung dabei zu sein.  

Außerdem sind die Preise natürlich eine Bestätigung der Arbeit und Referenz für künftige Einschätzungen. Genauso glücklich bin ich aber, wenn mich jemand auf der Straße anspricht und ich das Gefühl habe, dass meine Argumente ihm in einer Diskussion oder in seinen eigenen Entscheidungen geholfen haben. 

Wie kamen Sie denn eigentlich auf "QuatschJura" und was ist das? 

Der Begriff ist entstanden, als ich eine Abmahnung vom Querdenken-Gründer Michael Ballweg gegen den Goldenen Aluhut, einer Initiative, die sich gegen Verschwörungstheorien einsetzt, gelesen habe. Ballweg verlangte die Verleihung des Goldenen Aluhuts, der jährlich in fünf Kategorien vergeben wird, an sich.  

Seine Argumentation war zwar schwer vertretbar, sah aber juristisch aus, er zitierte zahlreiche Paragrafen – und für einen Nicht-Juristen war nicht erkennbar, dass im Grunde absurde Rechtssätze willkürlich aneinandergereiht wurden. In der Pandemie wurden vermehrt Zusammenhänge aufgestellt wie "Maske tragen ist Körperverletzung". Dies hört sich zwar juristisch an, ist aber Quatsch – und daher kommt "QuatschJura". Man sollte den Begriff aber nicht für jede ungeliebte Rechtsmeinung verwenden, das wäre zu weit. 

Das klingt, als würden Sie sich Sorgen machen, ob der Begriff richtig verstanden wird. Fühlen Sie sich manchmal missverstanden?  

Die Benutzung wird schnell inflationär. Man sollte nicht jede vertretbare Gegenmeinung gleich als Quatsch abqualifizieren, sondern nur solche, bei denen die juristische Argumentation erkennbar zur Täuschung für eine andere Fragestellung vorgeschoben wurde.  

Neben der Aufklärung über QuatschJura geben Sie auf Ihrem YouTube-Kanal "Anwalt Jun" Tipps, wie man sich zum Beispiel als Zeuge verhält und erklären rechtliche Problem verständlich auch für Nicht-Juristen. Warum? 

Ich habe schon im Studium gemerkt, dass es hilft, Probleme zu erklären, um sie selbst zu verstehen.  

Das laiengerechte Erklären hilft auch in der Berufspraxis. Natürlich verstehen Richterinnen und Richter auch kompliziert formulierte Schriftsätze – aber ich halte die Erfolgschancen bei klar und verständlich formulierten Schriftsätzen für größer. Es ist ein Luxus, dass man als Jurist unverständlich schreiben "darf", aber darauf sollte man sich nicht ausruhen. 

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"Das Thema Hass im Internet erregt zu Recht viel Aufmerksamkeit"

In Ihrer Kanzlei für IT-Recht arbeiten Sie u.a. am Einsatz von künstlicher Intelligenz zur Unterstützung von Rechtsabteilungen. Wie sind Sie dazu gekommen, sich außerdem gegen Hasskriminalität im Internet einzusetzen? 

Das war im Sommerurlaub 2015 im Zusammenhang mit der Flüchtlingsbewegung. Der aus Syrien Geflüchtete Anas Modamani hatte das Selfie mit Angela Merkel gepostet, von dem im Nachgang zahlreiche Fotomontagen angefertigt wurden. Er wurde fälschlicherweise als Terrorist und Attentäter dargestellt und so zum Opfer von Hass und Hetze im Netz. Ich habe mich gefragt, wieso Facebook solche Kommentare und Beiträge nicht löscht. 

Damals dachte ich noch, dass das Problem einfach zu lösen sei, wenn ich nachweise, dass Facebook bösgläubig ist, also Kenntnis von den rechtswidrigen Posts hat. Ich habe dann beispielhaft Screenshots von 15 solcher Posts per E-Mail an Facebook geschickt und bin davon ausgegangen, dass diese Posts zeitnah gelöscht werden. 

So einfach war es dann aber nicht?  

Nein, Mark Zuckerberg hatte kurz vorher auch betont, dass er alles tun würde, um die Einwirkung nationaler Gesetze zu verhindern. 

Die rechtswidrigen Posts waren also immer noch im Netz – und deshalb habe ich Strafanzeige gegen mehrere Facebook-Manager um Zuckerberg erstattet. Ermittlungen wurden letztlich nicht aufgenommen und auch unser zivilrechtlicher Eilantrag wurde abgelehnt, dennoch waren wir nicht ganz erfolglos: Gerade das Verfahren war mitursächlich dafür, dass ein so strenger Entwurf des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) beschlossen wurde. 

Und Sie haben weitere Gerichtsverfahren angestrengt, u.a. auch Renate Künast in einem zivilrechtlichen Verfahren gegen Facebook vertreten. Was treibt Sie dabei an? 

Ich hatte anfangs bemerkt, dass man mit einer öffentlichkeitswirksamen Strafanzeige viel Aufmerksamkeit auf sich ziehen kann. Seriös ist das aber nur, wenn man dann auch am Problem dranbleibt, die wirklichen Lücken im System aufspürt, verfolgt und Verbesserungsvorschläge einfordert. Ich wollte mich nie damit abfinden, dass ein Gericht oder eine Staatsanwaltschaft die Opfer im Regen stehen ließ und so hat es mir viel bedeutet, die Rechtsfragen aus dem ersten verlorenen Facebook-Prozess von 2016 jetzt im Hauptsacheverfahren um die Falschzitate von Renate Künast neu aufzurollen. 

Erstinstanzlich hatte das Landgericht Frankfurt am Main entschieden, dass Facebook nicht nur den gemeldeten Post selbst, sondern auch inhaltsgleiche Varianten des Posts ohne erneuten Hinweis löschen muss. Wenn sich diese Auffassung durchsetzt, wäre das ein großer Erfolg für die Betroffenen. Plattformbetreiber wie Facebook verfügen über die nötigen technischen Mittel, um diesen Schutz zu gewährleisten. 

"Es reicht nicht aus, nur der eigenen Bubble Argumentationen zu liefern" 

Auch Sie persönlich haben Hass und Hetze im Internet erlebt – und sich im August 2022 zunächst von Twitter zurückgezogen. Wieso haben Sie sich zu diesem Schritt entschieden? 

Das war eine spontane Entscheidung an einem Wochenende, nachdem die österreichische Ärztin Dr. Lisa-Maria Kellermayr gestorben war. Über Monate hinweg war sie aus dem Umfeld von Corona-Leugnern und Impfgegnern bedroht worden, bis sie sich schließlich Ende Juli das Leben nahm. 

Schon im Vorfeld war die Stimmung bei Twitter aufgeladen und ich habe festgestellt, dass ich dabei keinen konstruktiven Beitrag leisten konnte. Meine juristischen Postings – auch wenn sie sachlich gemeint waren – trugen nicht zur Beruhigung der Diskussion bei. Gerade in der Aufarbeitung der Corona-Pandemie prallen Welten aufeinander, die unversöhnlich und voller Hass waren.  

Einige Wochen später sind Sie dann auch zurückgekehrt. Wie kam es dazu?  

Während meiner Auszeit habe ich mich sortiert und überlegt, unter welchen Bedingungen man an diesem Diskurs teilnehmen sollte. Ich habe mir eigene Regeln gesetzt: Ich verkneife mir häufiger Tweets und Kommentare, wenn sie in meinen Augen der Diskussion nicht weiterhelfen. Es reicht nicht aus, allein der eigenen Bubble juristisches Argumentationsmaterial zu liefern. Jura kann im Diskurs sehr hilfreich sein, weil man dadurch Diskutanten an den rechtsstaatlichen Konsens erinnern kann. Teilnehmer wissen manchmal auch die nüchterne Differenziertheit des juristischen Denkens zu schätzen. Wenn Jura aber nicht die Lösung ist, kann ich das Feld auch anderen überlassen und muss nicht dazu beitragen, die Stimmung anzuheizen. 

Außerdem haben Sie vor einigen Jahren mit dem Laufen angefangen und sind mehrmals einen Marathon gelaufen. Wie kam es dazu und wie schaffen Sie das alles? 

Bis vor vier Jahren war ich sehr unsportlich, dann hat mich mein Team zum Firmenlauf angemeldet. Das Team hatte schon häufiger daran teilgenommen, aber ich war immer nur dabei, um Fotos zu machen, bis sie mich angemeldet hatten. Ich habe trainiert, um die rund sieben Kilometer zu schaffen – und den Spaß am Laufen entdeckt. 

Mittlerweile laufe ich viel, eigentlich jeden Tag. Im Augenblick "nur" 40 Kilometer (Km) in der Woche, früher waren das vor allem in der Marathonvorbereitung zwischen 70 und 100 Km. Im Jahr 2019 bin ich den Berlin-Marathon in 3:15 Stunden gelaufen. Natürlich bedeutete das, dass ich auch mal erst mittags ins Büro kam – aber das funktioniert, wenn man mehr Mitarbeitende hat, die Verantwortung übernehmen.  

"Man muss nicht acht Stunden am Tag abrechnen, um sein Gehalt zu verdienen" 

Im Moment übernehmen 16 weitere Anwältinnen und Anwälte diese Verantwortung in Ihrer Kanzlei. Ein Teil ihrer Arbeitszeit ist aber für unbezahltes gesellschaftliches Engagement reserviert. Wie sind Sie auf die Idee gekommen? 

Nach meinem ersten Staatsexamen habe ich für die Unternehmensberatung McKinsey gearbeitet. Das hohe fachliche Niveau fand ich faszinierend, die Arbeitsbelastung eher weniger. Für gesellschaftliches Engagement blieb daneben keine Zeit. Schon damals, im Jahr 2002, habe ich mich gefragt, ob das nicht auch anders geht – und habe mich deshalb selbstständig gemacht.  

Ich wollte eine exzellente Rechtsberatung anbieten, aber mit begrenztem Zeiteinsatz. Das geht nur durch viele Mitarbeitende. Normalerweise machen alle zwischen 17 und 18 Uhr Feierabend, aber natürlich arbeiten sie im Notfall länger. 

Die Open Source Compliance Aufgaben, die wir viel bearbeiten sind wichtig, aber gesellschaftspolitisch nicht sonderlich kontrovers. In meinen Augen haben Juristinnen und Juristen verschiedene Bedürfnisse: Sie wollen etwas bewirken, Spezialisten für ein Thema sein, aber natürlich auch Spaß an der Arbeit haben. Nicht mit jedem Fall kann man alle Bedürfnisse befriedigen – deshalb finde ich es wichtig, dass man unterschiedliche Bereiche schafft: Forschungsprojekte, interne Kanzleiaufgaben oder Pro-Bono-Arbeit. 

Wie sieht das in der Praxis aus? 

In meiner Kanzlei muss man nicht acht Stunden pro Tag abrechnen, um sein Gehalt zu verdienen. Die Arbeitszeit ist ohnehin von vorneherein begrenzbar, zum Beispiel durch eine Vier-Tage-Woche. Und niemand muss mehr als die Hälfte seiner Arbeitszeit mit abrechenbarer Arbeitszeit verbringen. Jede Anwältin und jeder Anwalt entscheidet selbst, welche weiteren Aufgaben er oder sie übernehmen möchte, etwa den Fall einer Person bearbeiten, die sich niemals die Stundensätze leisten könnte.  

Welche sind Ihre nächsten beruflichen Ziele? 

Ich persönlich möchte, dass wir als Gesellschaft das Thema Hass im Netz mehr in den Griff kriegen – das ist kein Ziel, an das man jemals einen Haken setzen kann. Das ist aber nicht schlimm, da muss man einfach dranbleiben. 

Für die Kanzlei wünsche ich mir, dass wir das Team so erweitern, dass wir wieder neue Mandate annehmen können. Auch wir müssen einen Großteil der Mandate ablehnen. Das ist aber auch ein Teil des Konzeptes der Kanzlei: Man muss auch mal "Nein" sagen und konsequent nicht alle Fälle annehmen. Das kostet Überwindung, aber ist die einzige Möglichkeit, um eine Überlastung zu verhindern. Ich würde diese jungen, talentierten Anwälte und Anwältinnen nicht halten können, wenn sie jede Woche viele Überstunden machen müssten. 

Vielen Dank für das Gespräch! 

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