Interview mit HR-Senior Managerin von Allen & Overy

"Bewerber:innen können aktuell alles for­dern"

Interview von Pauline Dietrich, LL.M.Lesedauer: 6 Minuten

Auf dem Arbeitnehmermarkt können Bewerber eine exzellente Vergütung und viele Benefits fordern. Bianca Städter erklärt, worauf Kanzleien im Recruiting achten sollten, wie sie Mitarbeiter halten und wie wichtig die HR-Abteilung ist.

LTO: Frau Städter, inwiefern hat sich die Rolle der Human Resources (HR)-Abteilung in einer Kanzlei in den vergangenen Jahren geändert?

Bianca Städter: Sie entwickelte sich mehr in Richtung Berater:in und Consultant in der Organisation – und weg von einer eher administrativen Funktion. Nicht nur in der Kanzleiwelt ist der proaktive Wunsch des Managements entstanden, dass HR auch strategisch mit am Tisch sitzt, wenn unternehmerische Entscheidungen getroffen werden. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass der Mensch das Hauptkapital von Unternehmen aus dem Dienstleistungsbereich ist.

Entstehen nicht häufig Reibungen zwischen dem, was der Mensch als Arbeitnehmer will und der Rolle, die ihm das Management als Teil der Unternehmensstrategie zuweisen will?

Man sollte erst einmal positiv denken und nicht überall gleich einen Zielkonflikt vermuten. Aber dennoch gibt es natürlich irgendwo immer ein Spannungsfeld zwischen den persönlichen, individuellen Bedürfnissen eines Menschen und dem, was das Unternehmen braucht. Was dann besonders wichtig ist, um einen Ausgleich zu finden: Zuhören.

Das Unternehmen muss sich einerseits erst einmal für die Bedürfnisse der Mitarbeitenden interessieren. Andererseits muss es die Mitarbeitenden für die Bedürfnisse des Unternehmens sensibilisieren, sie darüber aufklären. Nur mit Kommunikation und Austausch kann man gewisse Konflikte entspannen.

Das bedeutet am Ende aber nicht, dass immer jede Reibung gelöst und beide Seiten zu einhundert Prozent glücklich sind.

Anzeige

"Ein:e Bewerber:in will Flexibilität sehen"

Kann man Konflikten nicht bereits im Bewerbungsprozess vorbeugen – beispielsweise beim Erstellen einer Stellenanzeige?

Ja auf jeden Fall. Der empfehlenswerte Aufbau einer Stellenanzeige hat sich in den vergangenen Jahren auch nicht verändert: Die Anzeige soll erstens eine Stellenbeschreibung enthalten, zweitens die Erwartungen des Unternehmens und drittens das Angebot des Unternehmens an den oder die Bewerber:in. Dabei gilt es jeweils, die beiden Sichtweisen – die des potenziellen Arbeitnehmers und die des Arbeitgebers – abzubilden.

Was heutzutage wirklich schwierig ist, ist beim dritten Punkt den individuellen Nerv der jeweiligen Person zu treffen. So gibt es beispielsweise auch Studien, nach denen Frauen und Männer Stellenanzeigen jeweils anders lesen. Mein Team und ich versuchen daher schon bei der Stellenbeschreibung, die Bewerber:innen abzuholen und sie für die Tätigkeit an sich zu motivieren. Alles andere lässt sich auch im persönlichen Gespräch klären.

Gibt es denn Must-Haves, die eine Kanzlei im Jahr 2023 bieten und auch schon in der Stellenanzeige erwähnen sollte?

Auf jeden Fall erwarten alle zukünftigen Mitarbeitenden, dass das Unternehmen sich Gedanken zu den Themen Work-Life-Balance und Vereinbarkeit von Beruf und Familie macht. Ein:e Bewerber:in will Flexibilität sehen – was auch immer das im Endeffekt für die jeweilige Person bedeuten mag. Man möchte einfach erkennen können, dass das Unternehmen sich Gedanken dazu macht – es muss aber nicht jeden diesbezüglichen Wunsch erfüllen.

Das gilt generell in Bezug auf alle sogenannten Benefits, die Mitarbeitenden das Leben neben der Arbeit einfacher machen und damit auch die Arbeit erleichtern können. Dazu gehört eben für (zukünftige) Mitarbeitende mit einer Familie, dass es Unterstützung bei der Kinderbetreuung oder in Notsituationen gibt. Das betrifft natürlich auch die Homeoffice-Möglichkeit. Nicht alle Unternehmen bieten das – aber so wird es natürlich deutlich schwieriger, attraktiv zu sein.

"Haben aktuell in jedem Bereich einen Arbeitnehmermarkt"

Aus Arbeitgebersicht bedeutet das also, dass man im Prinzip alles anbieten sollte?

Genau, der potenzielle Mitarbeitende möchte erst einmal alles angeboten bekommen, wohlweislich, dass er oder sie aber nicht alles wahrnehmen wird. Daher empfiehlt es sich aus Arbeitgebersicht, immer so viele angebotene Benefits wie möglich in die Stellenanzeige aufzunehmen, weil man einfach nicht weiß, was den potenziellen Mitarbeitenden letztendlich interessiert. Es ist eine Art Buffet-Prinzip: Man bietet alles an und der potenzielle Mitarbeitende kann sich aussuchen, was davon er haben möchte.

Wie sieht es denn mit der Compensation, also Vergütung, aus – kommt es heutzutage vor, dass zukünftigen Mitarbeitenden gewisse Benefits sogar wichtiger sind?

Das ist tatsächlich sehr komplex. Zwar ist der Spruch "Geld ist nicht alles" aus HR-Sicht nicht unwahr – ohne Geld geht aber eben auch nichts. Hier stellt sich in der Theorie die Frage: Was sind wirkliche Motivatoren für Arbeitnehmende – und was sind hingegen nur Hygienefaktoren? Darunter fallen Faktoren am Arbeitsplatz, die zu Unzufriedenheit führen, wenn sie fehlen – aber andersherum die Mitarbeitenden nicht zufriedener machen, wenn sie vorhanden sind. Das in der Praxis zu beantworten, ist schwer. Was jedenfalls in der Realität nicht funktioniert, ist besonders viele Benefits anzubieten, aber im Gegenzug keine hohen Gehälter zu zahlen.

Das geht insbesondere deshalb nicht, weil wir aktuell in der Kanzleiwelt in jedem Bereich einen Arbeitnehmermarkt haben. Wir haben gerade nicht das Luxusproblem, dass es zu viele geeignete Kandidat:innen gibt und wir es uns leisten können, wenig zu tun.

So lange das so ist, können die Bewerber:innen aktuell alles fordern – sowohl exzellente Compensation als auch jedes Benefit. Hinzu kommt, dass wir in der Kanzleiwelt kein außergewöhnliches Produkt herstellen oder etwas machen, das nur wir können. Das, was die eine Kanzlei macht, machen Kanzleien mit vergleichbarer Größe, Internationalität, Umfeld, Mandaten und Arbeitsbelastung genauso. Deshalb muss man auch beim Gehalt vergleichbar bleiben.

Ein weiterer Punkt: Die Höhe des Gehalts ist für sehr viele Mitarbeitende ein Symbol der Wertschätzung oder Anerkennung für das, was sie leisten. Die Benefits treten daneben hinzu. Natürlich gibt es aber auch die Mitarbeitenden, die Benefits monetär umrechnen. Geld allein als Hygienefaktor zu sehen, geht jedenfalls nicht.

"Ganz klar sind ausgebildete Führungskräfte wichtig"

Wenn so viele Kanzleien vergleichbar sind – wie schafft man es dann, dass sich ein:e Bewerber:in für die eine entscheidet?

Wenn die harten Fakten zum Beispiel in der Welt der Großkanzleien alle vergleichbar sind, dann kommt es vor allem auf das Branding an. Welches Image hat die Kanzlei auf dem Kanzleimarkt? Welche Kanzlei hat auf dem Arbeitgebermarkt den Ruf, ein besonders guter, sich kümmernder Arbeitgeber zu sein? Mit gutem Personalmarketing schafft man es dann schon, sich abzuheben. Gehälter und Benefits zu erhöhen, gehört da zwar auch zu, aber noch bedeutender ist für Arbeitnehmende der menschliche Faktor der Kanzlei: Das Team.

Wenn man nun erfolgreich eine:n Bewerber:in gefunden und eingestellt hat – wie hält man sie oder ihn dann?

Auch das ist komplex. Ausschließlich mit einer Gehaltserhöhung jedenfalls nicht – aber wenn man diese nicht gewährt, dann verliert man den oder die Mitarbeiter:in. An dieser Stelle ist Gehalt also ein typischer Hygienefaktor. Generell muss man den individuellen Mitarbeitenden betrachten und gucken, was ihm oder ihr in der aktuellen Lebenssituation wichtig ist – was man anbieten kann. Es gilt wieder das Buffet-Prinzip.

Ganz klar sind ausgebildete Führungskräfte wichtig, die sich für die Mitarbeitenden interessieren, sie wertschätzen und mit ihnen über ihre Bedürfnisse sprechen. Nur so kann ich einen Mitarbeitenden so lang es geht halten. Das geht mit dem Rekrutierungs- und dem anschließenden Onboardingprozess schon los.

Die Führungskraft hat hierbei also eine wichtige Rolle. Ist es auch eine der Aufgaben von HR in Kanzleien, Jurist:innen Führungskompetenzen beizubringen?

Generell kann jede:r eine gute Führungskraft sein, das muss nicht angeboren sein. Man kann das trainieren – und das tun wir auch ausgiebig und frühzeitig, zum Beispiel schon bei den Senior Associates. In der Kanzleiwelt ist dieses Training tatsächlich relativ neu.

"Große Herausforderung: Diversität"

HR in einer Kanzlei klingt alles in allem nach viel Arbeit. Kann man diesen Job auch als Jurist:in machen?

Unser Team ist bunt gemischt, von Psycholog:innen über Wirtschaftswissenschaftler:innen und Pädagog:innen ist alles dabei. Auch als Jurist:in kann man grundsätzlich einsteigen, das ist nicht ungewöhnlich. Man braucht natürlich eine Neigung dafür sowie ein Interesse für die Branche, für die man arbeitet.

Ein Blick in die Zukunft: Was sind die größten Herausforderungen für die Personalentwicklung in Kanzleien in den nächsten Jahren?

Die Trends, die in den vergangenen fünf Jahren in der Kanzleiwelt groß geworden sind, werden sich manifestieren und auch nicht weggehen. Konkret: Flexible Arbeitsmodelle – damit meine ich sowohl räumliche auch als zeitliche Flexibilität der Mitarbeitenden. Damit muss sich jede:r Arbeitgebende beschäftigen, insbesondere in der Großkanzleiwelt, denn da herrschte lange keine Flexibilität. Für den Staatsdienst gilt das aber auch, schließlich sind die Berufe dort immer noch sehr papierlastig und damit ortsgebunden, was die Flexibilität deutlich einschränkt.

Eine große Herausforderung wird außerdem nach wie vor das Thema Diversität sein – insbesondere im Hinblick auf die höheren Karrierestufen. Dafür braucht man Antworten – und HR ist zum Glück bei all dem als Treiber in der Entwicklung mit dabei. 

Bianca Städter ist Diplom-Psychologin und aktuell Senior Manager für Recruiting, Employer Branding & Talent Development Germany bei der Kanzlei Allen & Overy LLP. Im IMR-Podcast von LTO-Karriere gibt sie Tipps für ein erfolgreiches Bewerbungsverfahren.

Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.

Thema:

Karriere

Verwandte Themen:
  • Karriere
  • Personalien
  • Kanzlei
  • Kanzlei-Strategie
  • Kanzleien
  • Human Ressources
  • Bewerbung
  • Arbeitsvertrag
  • Psychologie

Teilen

Ähnliche Artikel

Newsletter