Keine Lust auf Rente – Hinausschieben des Ruhestands

Mit 66 ist noch lange nicht Schluss

Gastbeitrag von Gerd KaindlLesedauer: 4 Minuten

Beschäftigte können ihren Renteneintritt verschieben. Hierzu bedarf es einer besonderen Vereinbarung. Der Teufel steckt jedoch im Detail. Worauf Arbeitgeber achten müssen, erklärt Gerd Kaindl.

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Ein häufiger Irrtum: Mit Erreichen des Rentenalters ist das Arbeitsverhältnis automatisch beendet. Damit das Arbeitsverhältnis aufgelöst wird, muss nämlich eine wirksame Befristung vorliegen. Eine solche Befristung kann z.B. in einem Arbeitsvertrag oder in einem Tarifvertrag festgelegt sein. 

In Zeiten des zunehmenden Fachkräftemangels beabsichtigen Arbeitgeber immer öfter, ihre Mitarbeiter über den Zeitpunkt des Eintritts in die Rente für wenige Jahre weiter zu beschäftigen. Dadurch können eine Einarbeitung bzw. das Finden eines Kollegen oder einer Kollegin als "Nachfolger" vereinfacht werden. Häufig haben auch die Mitarbeitenden ein Interesse daran, ihren Ruhestand zu verschieben. Dies kann daran liegen, dass sie ihre Rente aufbessern oder einen sanften Übergang vom Arbeitsleben in das Dasein als Rentner bzw. Rentnerin erreichen möchten. Dabei wünschen beide Seiten eine befristete Verschiebung des Renteneintritts, in der Regel für zwei bis drei Jahre.  

In der Praxis stellt sich die Frage, wie ein solcher Wunsch rechtlich umsetzbar ist. Denn für gewöhnlich ist der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin schon für viele Jahre beschäftigt. Folglich besteht eine Befristungssperre nach § 14 Abs. 2 Satz 2 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG), eine sachgrundlose Befristung ist damit ausgeschlossen. Es bleibt also eigentlich nur noch die Möglichkeit, eine Befristung mit Sachgrund vorzunehmen. In vielen Fällen ist ein Sachgrund jedoch nicht einschlägig. Um dieses Problem zu lösen, kann auf die sog. "Hinausschiebensvereinbarung" zurückgegriffen werden. Sie ist im Gesetz etwas versteckt in § 41 Satz 3 Sozialgesetzbuch (SGB) VI geregelt.   

Eine praxistaugliche Gestaltungsoption 

§ 41 Satz 3 SGB VI hat folgenden Inhalt: "Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben." 

Die Arbeitsvertragsparteien können also vereinbaren, dass der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin erst Jahre später als arbeitsvertraglich vorgesehen in den Ruhestand geht. Arbeitgeber können damit die Altersgrenzen flexibler gestalten. Voraussetzung ist, dass das Arbeitsverhältnis eine Regelaltersbefristung vorsieht. Es muss also eine Abrede darüber bestehen, dass das Arbeitsverhältnis mit Renteneintritt endet.  

Nach dem Wortlaut ist ein mehrfaches Hinausschieben erlaubt. Eine zeitliche Grenze sieht das Gesetz nicht vor. Allerdings sollten Arbeitgeber nicht zu oft und zu lange ein Hinausschieben vornehmen. Denn es ist nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsprechung insbesondere eine Rechtsmissbrauchskontrolle vornimmt. Ein Sachgrund muss nicht vorliegen. 

Wann ist die Vereinbarung zu treffen? 

Die Hinausschiebensvereinbarung muss vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund des Renteneintritts abgeschlossen sein. Wird sie erst danach getroffen, kann die Vereinbarung nicht auf § 41 Satz 3 SGB VI gestützt werden. Für die Arbeitgeber besteht also die Gefahr, dass ein unbefristetes Arbeitsverhältnis entsteht.  

Für Unternehmen kann es schwierig sein, den genauen Zeitpunkt des Renteneintritts zu bestimmen. Mit welchem Alter der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin in Rente gehen kann, muss anhand der Tabelle zur Regelaltersgrenze ermittelt werden. Arbeitgeber sollten sich die Unterlagen der Rentenversicherung vom Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiterin vorlegen lassen.  

Es ist auch auf die konkrete Formulierung der Klausel zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Rente zu achten: Beispielsweise kann dort festgelegt sein, dass das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats endet, in welchem ein Rentenanspruch besteht. Damit ist für den rechtzeitigen Abschluss der Hinausschiebensvereinbarung der Ablauf des Monats maßgeblich. Nicht entscheidend wäre das Datum, zu welchem der Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin die Regelaltersgrenze erreicht.   

Das Hinausschieben kann auch schon deutlich früher vor Ende des Arbeitsverhältnisses vereinbart werden. Es sollte jedoch nicht schon im ursprünglichen Arbeitsvertrag enthalten sein. Vielmehr ist ein Änderungsvertrag mit einer entsprechenden Hinausschiebensabrede erforderlich.  

Worauf ist bei der Vereinbarung zu achten? 

Es ist die Schriftform zu wahren. Damit die Schriftform eingehalten ist, müssen die Parteien vor Ende des Arbeitsverhältnisses die neue Vereinbarung eigenhändig unterzeichnen. In der Praxis verschickt in vielen Unternehmen die Personalabteilung zwei unterschriebene Fassungen des Änderungsvertrags. Dabei wird der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin gebeten, ein Exemplar unterschrieben zurückzuschicken. Das ist üblich, die Arbeitgeber müssen aber darauf achten, dass der Mitarbeiter bzw. die Mitarbeiterin schon vor Ende des Arbeitsverhältnisses den Änderungsvertrag unterschrieben hat.  

Das Ende der Befristung muss in der Hinausschiebensvereinbarung hinreichend bestimmt sein. Es empfiehlt sich daher, sich auf ein genaues Datum für das Befristungsende zu einigen. Bei Projektarbeiten stehen Arbeitgeber häufig vor dem Problem, dass sich dieser Zeitpunkt noch nicht genau vorhersagen lässt. Deshalb muss das Projektende sehr präzise beschrieben werden. 

Die Weiterbeschäftigung über die Rente muss sich unmittelbar an das Arbeitsverhältnis anschließen. Zeitliche Unterbrechungen dürfen nicht vorgesehen sein, sind sie auch noch so kurz.  

Änderung der Arbeitsbedingungen? 

In der Rechtsprechung und in der Jurisprudenz herrscht Streit darüber, ob nur die inhaltlich unveränderte Verlängerung zulässig oder auch eine Änderung der Arbeitsbedingungen in der Hinausschiebensvereinbarung möglich ist.  

Denkbar ist es, z.B. die Arbeitszeit zu reduzieren und das Gehalt anzupassen. Das Landesarbeitsgericht (LAG) Baden-Württemberg hat dies als zulässig erachtet (Urt. v. 30.04.2020, Az. 3 Sa 98/19). Der Rechtsstreit ist als Revision beim Bundesarbeitsgericht (BAG) anhängig. Hier hat der Arbeitgeber ein rechtliches Risiko, solange noch keine Entscheidung des BAG vorliegt. Mit Blick auf dieses Risiko ist zu empfehlen, die Hinausschiebensvereinbarung und eine Inhaltsänderung zeitlich getrennt vorzunehmen, bis Klarheit über die Rechtslage besteht.   

Hat der Betriebsrat ein Mitspracherecht? 

In der Rechtsprechung und in der Fachliteratur ist zudem umstritten, ob das Hinausschieben der Rente das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 99 Abs. 1 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) auslöst. Das LAG München hatte dies bejaht (Beschl. v. 29.05.2020, Az. 3 TaBV 127/19). Eine Entscheidung des BAG steht noch aus. Der Verwaltungsgerichtshof (VGH) Baden-Württemberg hatte ein Mitbestimmungsrecht kürzlich abgelehnt (Beschl. v. 03.03.2021, Az. PL 15 S 3539/20).  

Solange auch diese Frage vom BAG nicht geklärt ist, sollten Arbeitgeber zur Wahrung des Mitbestimmungsrechts den Betriebsrat vorher informieren und seine Zustimmung einholen. Wenn bestimmte Gründe vorliegen, kann der Betriebsrat seine Zustimmung verweigern. Der Arbeitgeber hat dann aber das Recht, die Zustimmung gerichtlich zu ersetzen. Unternehmen sollten auch im Blick haben, dass sie unter Umständen das Hinausschieben vorläufig durchführen können, wenn dies dringend erforderlich ist.   

Der Autor Gerd Kaindl ist Partner bei Beiten Burkhardt und dort als Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht in der Praxisgruppe Arbeitsrecht am Standort München tätig. 

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