BVerfG lehnt Verfassungsbeschwerde übergangener OLG-Richterin ab

Frei­brief für die Bun­des­rich­ter­wahl

von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 6 Minuten
Für die Ernennung von Bundesrichtern gilt zwar das Prinzip der Bestenauslese. Das spezielle Verfahren schränke die Nachprüfbarkeit der Entscheidung jedoch stark ein, so das BVerfG. Konkurrentenklagen entzieht es damit weitgehend die Grundlage.


Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat eine Verfassungsbeschwerde gegen eine verwaltungsgerichtliche Eilentscheidung im Zusammenhang mit der Bundesrichterwahl 2015 in einer Grundsatzentscheidung zurückgewiesen. Das geht aus einem heute veröffentlichen Beschluss hervor (Beschl. v. 20.09.2016, Az. 2 BvR 2453/15). Bei der Bundesrichterwahl im März 2015 wurden sechs Richterinnen und Richter für den Bundesgerichtshof (BGH) gewählt. Eine ebenfalls zur Wahl vorgeschlagene Kandidatin konnte sich nicht durchsetzen. Sie war seit 1997 Richterin, seit 2006 am Oberlandesgericht (OLG) tätig, und hatte in ihren dienstlichen Beurteilungen die bestmöglichen Bewertungen ("vorzüglich geeignet") erhalten. In einem Eilantrag ließ sie die Ernennung von fünf der sechs gewählten Richter unbeanstandet, wandte sich jedoch gegen die Ernennung des sechsten. Dieser war seit 2003 Richter, seit 2013 am OLG, und zum Zeitpunkt seiner Ernennung als wissenschaftlicher Mitarbeiter ans Bundesverfassungsgericht (BVerfG) abgeordnet. Auch er hatte bestmögliche dienstliche Beurteilungen ("bestens geeignet") erhalten; der Präsidialrat des BGH hatte ihn in einer Stellungnahme 2015 hingegen lediglich als "geeignet" eingestuft und erklärt, er hielte es für besser, wenn der Richter zunächst noch einige Jahre Erfahrung am OLG sammeln könne. Dennoch wurde anschließend er und nicht die erfahrenere Kollegin vom Richterwahlausschuss gewählt und vom Bundesminister der Justiz bestätigt. Mit ihrem Eilantrag blieb die übergangene Richterin sowohl vor dem Verwaltungsgericht (VG) als auch vor dem Oberverwaltungsgericht (OVG) ohne Erfolg. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügte sie anschließend die Verletzung des Grundsatzes der Bestenauslese nach Art. 33 Abs. 2 Grundgesetz (GG). Außerdem sei sie auch das Gebot des effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG verletzt, da der Richterwahlausschuss und der Justizminister die Gründe ihre bei der Auswahl getroffenen Erwägungen nicht schriftlich niederlegten, was es erschwere, diese nachzuvollziehen bzw. in konkreten Punkten anzugreifen.

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Keine Befangenheit, obwohl erfolgreicher Kandidat vom BVerfG kam

Das BVerfG erläutert zunächst, dass der in dem Verfahren als Berichterstatter tätige Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle von dieser Rolle nicht etwa wegen Befangenheit ausgeschlossen sei. Der erfolgreiche Kandidat sei vor seiner Ernennung an den BGH zwar wissenschaftlicher Mitarbeiter am BVerfG gewesen, und die ihm dort erteilten (günstigen) dienstlichen Beurteilungen seien für seine Ernennung (neben anderen Faktoren) auch von Bedeutung gewesen. Ein Befangenheitsgrund nach § 18 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) sei jedoch nur dann gegeben, wenn ein Richter des BVerfG an "der Sache" beteiligt war oder ist. Dieser Begriff sei eng zu verstehen; erfüllt wäre er etwa dann, wenn ein Richter des BVerfG unmittelbar an der angegriffenen Auswahlentscheidung oder den sie stützenden Eilentscheidungen beteiligt gewesen wäre. Der bloß mittelbare Einfluss auf die Auswahlentscheidung infolge der dem erfolgreichen Kandidaten erteilten dienstlichen Beurteilungen genüge hingegen nicht, zumal die übergangene Kandidatin die Beurteilungen als solche nicht angreife und der Präsident des BVerfG seinerzeit auch keine eigene Beurteilung vorgenommen habe.

BVerfG-Beschluss: "Eigentlich… aber…"

Sodann macht sich BVerfG an die ausführliche Begründung seiner ablehnenden Entscheidung, die nach dem Prinzip "Eigentlich… aber…" aufgebaut ist. Eigentlich sei die Auswahl von Bundesrichtern nämlich schon am Prinzip der Bestenauslese auszurichten (Art. 33 Abs. 2 GG), und eigentlich müssten die so getroffenen Personalentscheidungen auch begründet werden, um den Rechtsschutz für übergangene Kandidaten nicht über Gebühr zu erschweren (Art. 19 Abs. 4 GG). Aber für beides müssten aufgrund des speziellen, für Bundesrichter geltenden Wahlverfahrens (Art. 95 Abs. 2 GG) gewisse Einschränkungen gelten. Dieses Wahlverfahren sieht vor, dass Kandidaten zunächst auf einer Vorschlagsliste landen müssen; das Vorschlagsrecht steht den Mitgliedern des Richterwahlausschusses sowie dem Bundesjustizminister zu. Anschließend wird im Richterwahlausschuss (bestehend aus den 16 Landesjustizministern sowie 16 Bundestagsabgeordneten) über die vorgeschlagenen Kandidaten abgestimmt, wobei der Ausschuss u.a. den Lebenslaufs der Kandidaten, ihre dienstlichen Beurteilungen und die Stellungnahme des Präsidialrats des zu besetzenden Bundesgerichts berücksichtigt. Die so ermittelten Kandidaten werden anschließend vom Bundesjustizminister bestätigt (oder ausnahmsweise abgelehnt). Das BVerfG widmet sich der Gesetzgebungsgeschichte der entsprechenden Vorschriften: Ihr Sinn soll darin (u.a.) in einer besonderen legitimatorischen Funktion der Besetzung von Bundesrichterstellen dienen. Einerseits soll hierbei eine mittelbare demokratische Mitsprache stattfinden (durch die Beteiligung von 16 Bundestagsabgeordneten am Richterwahlausschuss), andererseits soll deren fachliche Eignung gewährleistet sein (durch Beteiligung der 16 Landesjustizminister sowie endgültiger Entscheidung durch den Bundesjustizminister).

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2/2: Uneingeschränkte Bestenauslese würde Wahlverfahren sinnlos machen

An dieser Stelle kommt das BVerfG zu seinem ersten "Aber…". Wenn nämlich das Prinzip der Bestenauslese uneingeschränkt gelten würde, sei das ganze komplizierte Verfahren im Grunde sinnlos, da sich die Auswahlentscheidung letztlich doch auf einen (den besten) Kandidaten verengen würde. Zwar gälten die in §§ 9, 10 Deutsches Richtergesetz (DRiG) normierten Mindestvoraussetzungen, und auch darüber hinaus müssten die Mitglieder des Richterwahlausschuss bei ihrer Entscheidung durch den Grundsatz der Bestenauslese "leiten lassen". Isoliert gerichtlich nachprüfbar sei ihr Wahlergebnis aber nicht, da es lediglich eine Art Vorbereitungshandlung im gestuften Verfahren darstellt, welches erst durch die Endentscheidung des Bundesjustizministers abgeschlossen wird. Und da die Entscheidung des Wahlausschusses ohnehin nicht gerichtlich angreifbar ist – hier folgt das zweite "aber…" – gilt für sie auch bloß eine Dokumentations-, aber keine Begründungspflicht. Denn wenn ohnehin kein Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 19 Abs. 4 GG besteht, kann dieser durch eine fehlende Begründung natürlich auch nicht erschwert oder verletzt werden. Gerichtlich sehr wohl angreifbar sei hingegen die anschließende Entscheidung des Bundesjustizministers, mit der dieser die Auswahl des Richterwahlausschusses bestätigt (oder ablehnt). Hierbei sei er zwar in einem vergleichsweise strengeren, aber wegen der Besonderheiten des Wahlverfahrens ebenfalls nicht in einem absoluten Sinne an Art. 33 Abs. 2 GG gebunden. Er habe sich den Ausgang der Wahl vielmehr "grundsätzlich zu eigen zu machen, es sei denn, die formellen Ernennungsvoraussetzungen sind nicht gegeben, die verfahrensrechtlichen Vorgaben sind nicht eingehalten oder das Ergebnis erscheint nach Abwägung aller Umstände und insbesondere vor dem Hintergrund der Wertungen des Art. 33 Abs. 2 GG nicht mehr nachvollziehbar."

BVerfG erteilt weitgehenden Freibrief für Richterwahl

Diese harmlos daherkommende Einschränkung ist erheblich, denn schlechterdings "nicht mehr nachvollziehbar" dürfte eine Personalentscheidung nur in eklatanten, praktisch ohnehin kaum relevanten Fällen sein. Wann genau eine Entscheidung "nicht mehr nachvollziehbar" ist, sagt das BVerfG zwar nicht. Allerdings soll den Bundesjustizminister "insbesondere" in zwei Fallgruppen eine Begründungspflicht treffen: Nämlich dann, wenn er einen vorgeschlagenen Kandidaten ablehnt, oder dann, wenn er der Wahl eines nach seiner dienstlichen Beurteilung oder der Beurteilung des Präsidialrates nicht geeigneten Kandidaten zustimmt. In solchen Fällen ist die Entscheidung zwar nicht automatisch "nicht nachvollziehbar", aber jedenfalls latent problematisch und eine gegen sie gerichtete Klage naheliegend. Im Grundsatz soll hingegen auch den Bundesjustizminister keine Begründungspflicht treffen, da er sich im Grundsatz ja ohnehin der Entscheidung des Wahlausschusses anzuschließen habe – und dieser wiederum braucht nicht zu begründen, weil anschließend ja noch der Justizminister entscheidet. Das BVerfG verengt die Kategorie begründungsbedürftiger (und erst Recht erfolgreich angreifbarer) Entscheidungen somit auf krasse Extremfälle. Die bloße Tatsache, dass ein weniger geeigneter Kandidat ernannt wurde, dürfte für eine erfolgreiche Konkurrentenklage kaum noch ausreichen, solang auch der ernannte Kandidat nicht schlechthin ungeeignet ist. Entsprechend stehe es auch hier, so das BVerfG: Der Präsidialrat habe den erfolgreichen Richter schließlich noch als "geeignet" eingestuft und sich lediglich "gewünscht", dass dieser zuvor noch ein paar Jahre zusätzliche Erfahrung am OLG sammeln solle. Der Beschluss, welcher als Senatsentscheidung erging, dürfte künftigen Konkurrentenklagen weithin die Grundlage entziehen. Diese hatten insbesondere in den letzten Jahren zugenommen und zu Arbeitserschwerungen an den Bundesgerichten geführt. Nicht betroffen sind allerdings die ebenfalls virulenten Konkurrentenklagen um den Vorsitz innerhalb einzelner Senate der Bundesgerichte: Dieser wird nach einem anderen Verfahren vergeben, über das das BVerfG keine Aussage getroffen hat.

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