Anwaltliche Vertretung in Scheidungssachen

Wenn zwei sich streiten…

von Christian DeckenbrockLesedauer: 6 Minuten
Eine Scheidung ist teuer genug, weshalb die künftigen Ex-Eheleute oft einen gemeinsamen Anwalt aufsuchen. Diese Praxis hat sich etabliert – trotz des Spannungsverhältnisses zum anwaltlichen Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen. Eine erste höchstrichterliche Stellungnahme liefert ein am Dienstag veröffentlichtes Urteil des BGH. Dennoch bleiben einige Fragen offen, meint Christian Deckenbrock.

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Dem Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) liegt der folgende, in ähnlicher Form wohl häufig anzutreffende Sachverhalt zu Grunde: Ende 2008 suchte der beklagte Ehemann erstmals die klagende Rechtsanwältin auf und bat um eine familienrechtliche Beratung nebst überschlägiger Unterhaltsberechnung, weil er sich von seiner Ehefrau trennen wolle. Nachdem er im Januar 2009 der Anwältin mitgeteilt hatte, dass die Angelegenheit ruhen solle, wurde ihm eine Beratungsgebühr in Rechnung gestellt, die er auch beglich. Im März 2011 nahm der Ehemann erneut Kontakt zu der Anwältin auf; es kam wiederum zu einem Beratungsgespräch, dieses Mal allerdings gemeinsam mit seiner Ehefrau. Bereits zu Beginn des Gesprächs stellte sich heraus, dass die Eheleute unterschiedliche Vorstellungen über die Modalitäten der Trennung und der Scheidung hatten. Wunschgemäß versandte die Anwältin das Protokoll des Beratungsgesprächs an beide Eheleute. Während die Ehefrau daraufhin sogleich andere Anwälte mandatierte, nahm der Ehemann zunächst weiter die Dienste der Anwältin in Anspruch. Ende April 2011 kam es dann aber doch zur Kündigung des Mandats durch den Ehemann. Dieser weigerte sich, die von der Anwältin ausgestellte Honorarnote über knapp 2.000 EUR zu begleichen, weil eine unzulässige Vertretung widerstreitender Interessen vorgelegen habe und ihm nun durch die Beauftragung einer anderen Kanzlei dieselben Kosten noch einmal entstanden seien.

Keine gemeinsame Vertretung bei Interessenskollision

Der Rechtsanwalt ist – so regelt es § 3 Abs. 1 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO) – der berufene unabhängige Berater und Vertreter in allen Rechtsangelegenheiten. Als einseitiger Interessenvertreter ist er grundsätzlich allein seinem Mandanten verpflichtet. Zum Schutz dieser Kernpflicht untersagt das anwaltliche Berufsrecht in § 43a Abs. 4 BRAO und § 3 Abs. 1 der Berufsordnung für Rechtsanwälte (BORA) dem Anwalt jegliche Tätigkeit, wenn er zuvor bereits in derselben Rechtssache im widerstreitenden Interesse beraten oder vertreten hat. Dieses Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen hat der Gesetzgeber darüber hinaus sogar strafrechtlich abgesichert. Wer Parteiverrat begeht, dem droht nach § 356 Strafgesetzbuch (StGB) eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren. Der BGH musste sich nun aber nicht mit straf- oder berufsrechtlichen Vorwürfen gegen die Anwältin befassen, sondern war zur Entscheidung über den Honoraranspruch berufen. Von den Instanzgerichten und der Literatur wird fast einhellig die Auffassung vertreten, dass eine Vertretung widerstreitender Interessen gemäß § 134 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) verschuldensunabhängig die Nichtigkeit des anwaltlichen Beratungsvertrags nach sich zieht und daher grundsätzlich auch den Vergütungsanspruch entfallen lässt. In diesem Sinne hatten auch schon die beiden Vorinstanzen geurteilt, die jeweils festgehalten hatten, dass die Anwältin den Ehemann nach dem Erstkontakt im Jahre 2008 nur noch allein, nicht aber gemeinsam mit seiner Ehefrau hätte beraten dürfen. Daran habe auch ein Einverständnis beider Eheleute nichts ändern können.

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2/2: BGH fordert umfassende Aufklärung über (Kosten)risiken

Der BGH wollte diesen Weg jedoch nicht gehen und hat einen weitaus komplizierteren Begründungsansatz gewählt. Er hat nicht nur die Frage offengelassen, ob der Anwaltsvertrag bei einem Verstoß gegen das Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen tatsächlich nichtig werde, sondern er hat sich auch nicht abschließend zur Zulässigkeit eines gemeinsamen Beratungsgesprächs geäußert. Auf beide Streitfragen komme es nicht an, weil die Anwältin jedenfalls die scheidungswilligen Eheleute nicht hinreichend über die aus einer gemeinsamen Beratung folgenden Risiken aufgeklärt habe. Bestandteil einer solchen Aufklärung sei der Hinweis, dass (1) ein Anwalt im Grundsatz nur eine Partei vertreten könne, dass er (2) bei einer gemeinsamen Beratung nicht mehr die Interessen einer Partei einseitig vertreten dürfe, sondern er die Eheleute nur unter Ausgleich der gegenseitigen Interessen beraten könne, und dass er (3) dann, wenn die gemeinsame Beratung nicht zu einer Scheidungsfolgenvereinbarung führe und widerstreitende Interessen der Eheleute unüberwindbar erscheinen, das Mandat gegenüber beiden Eheleuten niederlegen müsse. Erst diese Hinweise würden den Eheleuten deutlich machen, dass bei einem Scheitern der gemeinsamen Beratung nicht nur die Kosten eines weiteren, sondern womöglich gleich zweier weiterer und damit insgesamt von drei Anwälten anfallen könnten. Weil aber im Streitfall eine derartige Aufklärung unterblieben sei, habe sich die Anwältin schadensersatzpflichtig gemacht und müsse für die Kosten einstehen, die durch die Beauftragung des neuen Anwalts des Ehemanns entstanden seien. Insoweit sei davon auszugehen, dass der Ehemann sich bei Erteilung eines Hinweises nicht gemeinsam mit seiner Ehefrau, sondern allein hätte beraten lassen. Da der Ehemann nun aber seinem neuen Anwalt eine entsprechende Vergütung schulde, sei es der klagenden Anwältin gemäß § 242 BGB verwehrt, ihren Vergütungsanspruch gegen den Ehemann durchzusetzen (Urt. v. 19.09.2013, Az. IX ZR 322/12).

BGH billigt gemeinsame Beratung wohl im Grundsatz

Zutreffend ist, dass nur ein hinreichend aufgeklärter Mandant eine sachgerechte Entscheidung hinsichtlich der Beauftragung eines Anwalts treffen kann. Insoweit zeigt sich, dass die vertraglichen Pflichten des Anwalts weit über die berufs- oder strafrechtlichen Vorgaben hinausgehen. Selbst dann, wenn dem Anwalt ein Tätigwerden für mehrere Parteien berufsrechtlich grundsätzlich erlaubt ist, muss er sicherstellen, dass die Mandanten über alle mit der Doppelvertretung verbundenen Risiken und die Gefahr, dass ein berufsrechtliches Tätigkeitsverbot womöglich zu einem späteren Zeitpunkt entstehen könnte, ausreichend informiert werden. Entscheiden sich aber beide Eheleute in bewusster Kenntnis der Risiken für die Mandatierung eines gemeinsamen Anwalts, so spricht nichts dagegen, wenn ein Anwalt sie beide unter Ausgleich ihrer gegenseitigen Interessen berät. Es ist bedauerlich, dass der BGH in seinem Urteil sich nicht zu einem ausdrücklichen Bekenntnis zur grundsätzlichen Zulässigkeit einer solchen Beratung durchringen konnte. Allerdings ergeben die Ausführungen der Karlsruher Richter eigentlich nur dann Sinn, wenn man sie als grundsätzliche Billigung von gemeinsamen Beratungsgesprächen versteht – denn andernfalls leuchtet nicht ein, warum der BGH einen solch komplizierten Begründungsansatz gewählt hat und nicht einfach der Auffassung der Vorinstanzen gefolgt ist. Offenbar geht der IX. Zivilsenat deshalb auch davon aus, dass die 2008 erfolgte frühere Beratung des Ehemannes kein Hindernis für das 2011 vereinbarte gemeinsame Beratungsgespräch war.

Vertretung beider Eheleute für den Anwalt riskant

Ebenfalls unklar bleibt, ob ein Anwalt, der zunächst (zulässigerweise) den Abschluss einer Scheidungsfolgenvereinbarung im Interesse beider Eheleute begleitet hat, im gerichtlichen Scheidungsverfahren für einen der Eheleute den notwendigen Scheidungsantrag stellen kann oder ob hierfür ein weiterer Anwalt vonnöten ist. Richtigerweise sollte die zuvor vereinbarte einvernehmliche Ehescheidung nicht durch neue Hürden bei der verfahrensrechtlichen Abwicklung torpediert werden. Denn allein die Antragstellung begründet – trotz des Umstands, dass beide Eheleute im Gerichtsverfahren auf unterschiedlicher Seite Partei sind – keinen neuen Interessenkonflikt, der die Mandatierung eines weiteren Anwalts erfordert. So oder so zeigt das Urteil der Karlsruher Richter aber, dass sich ein Anwalt mit einer gemeinsamen Beratung eines scheidungswilligen Ehepaars auf sehr dünnem Eis bewegt. Auch weil letztlich jeweils eine Einzelfallbeurteilung erfolgen muss, lassen sich die berufs-, straf- und vergütungsrechtlichen Folgen für den betroffenen Anwalt nur schwer prognostizieren. Dies gilt umso mehr, als plötzliche Interessenänderungen eines Ehegatten die Lage jederzeit verändern können. Wer auf Nummer sicher gehen möchte, sollte sich daher von vornherein auf die Vertretung eines Ehegatten beschränken. Der Autor Dr. Christian Deckenbrock ist Akademischer Rat am Institut für Arbeits- und Wirtschaftsrecht der Universität zu Köln. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist das anwaltliche Berufsrecht; seine 2009 erschienene Dissertation trägt den Titel "Strafrechtlicher Parteiverrat und berufsrechtliches Verbot der Vertretung widerstreitender Interessen".

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