Bewertungsportal für die Justiz

Die Rich­ters­kala

von Constantin Baron van LijndenLesedauer: 5 Minuten
Ärzte, Gastronomen oder Hoteliers sind längst daran gewöhnt, das Feedback ihrer Kundschaft im Netz nachlesen zu können. Die Seite Richterscore will nun zum Bewertungsportal für die Justiz aufsteigen – und stößt dort auf wenig Begeisterung.

Bewertungsportale haben sich längst zu einem der nützlichsten und meistgenutzten Angebote des Internets entwickelt. Wer das schönste Hotel, den freundlichsten Arzt oder die gemütlichste Hängematte sucht, baut immer öfter auf die Weisheit der Masse, die sich auf Seiten wie TripAdvisor, Jameda oder Amazon zusammenfindet. Dass die Justiz von diesem Feedbackprinzip bislang verschont geblieben ist, hat auf den ersten Blick naheliegende Gründe: Zum einen wären ihre "Kunden", die zumeist weder einen neutralen noch sachkundigen Blick auf die eigenen Verfahren haben, kaum in der Lage, faire und fundierte Bewertungen abzugeben; zum anderen könnten sie sich "ihren" Richter ohnehin nicht aussuchen, ganz gleich, wie dieser bewertet wäre.  

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Logische Fortsetzung von Flurfunk und Prüferprotokollen?

Heimlich, still und leise ist mit Richterscore  Anfang Mai 2016 gleichwohl ein Bewertungsportal für Richter an den Start gegangen. Dessen Qualität wollen die Betreiber gewährleisten, indem sie offenkundig unsachliche Einträge löschen – vor allem aber, indem sie Bewertungen von vorneherein nur von Anwälten zulassen. Wer sich registrieren will, muss daher zunächst seinen Namen, die E-Mail-Adresse und das Zulassungsjahr angeben; die Daten werden dann mit dem Rechtsanwaltsregister der Bundesrechtsanwaltskammer abgeglichen. Hundertprozentig verlässlich ist diese Methode nicht, den Großteil der Trolle oder verärgerten Prozessverlierer dürfte sie aber wohl abschrecken. Aus Sicht von Justus Perlwitz, einem der beiden Gründer des Betreiberunternehmens Advolytics, ist Richterscore die logische Fortsetzung eines Austauschs, der im Kleinen ohnehin längst geführt werde. "Bei Examenskandidaten ist es absolut üblich, dass Protokolle über die Eigenheiten der mündlichen Prüfer angelegt und ausgetauscht werden, und natürlich unterhalten sich auch Anwälte über die Erfahrungen, die sie mit verschiedenen Richtern gemacht haben." Oft gehe es dabei darum, den günstigsten unter mehreren möglichen Klageorten auszuwählen oder in Gerichtsstandsvereinbarungen festzulegen. "Gerade in Beratungsfeldern mit fliegendem Gerichtsstand spielt das eine wichtige Rolle, manche Kanzleien führen intern regelrechte Akten zu den auf ihrem Gebiet maßgeblichen Richtern", so Perlwitz. Aber auch, wenn es keinerlei Wahlmöglichkeit gibt, kann die Kenntnis des gesetzlichen zugewiesenen Richters dem Anwalt in der Beratung nutzen. Er kann die Erfolgsaussichten dann besser einschätzen und seine Taktik an Vorlieben oder Eigenheiten des Richters ausrichten.

Entscheidungstendenzen als Anschein der Parteilichkeit?

Ein besonders deutliches Beispiel von Rufbildung sind etwa die Richter der 24. Zivilkammer des Landgericht (LG) Hamburg. Die sog. Pressekammer ist (nicht zuletzt durch eine gewisse Dramatisierung in der Berichterstattung der dort oft unterlegenen Medien) weit über die Branche hinaus dafür bekannt, im Zweifel dem Persönlichkeitsrecht den Vorzug vor der Pressefreiheit zu geben. Ebenfalls in diese Kategorie fällt der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH), scherzhaft betitelt als "Olli-Kahn-Senat", weil er angeblich "alles hält". Die Beispiele zeigen zugleich die potentiell problematische Dimension einer Erfassung von Entscheidungstendenzen und der damit einhergehenden Personalisierung der Justiz: Gerade in der öffentlichen Wahrnehmung ist der Schritt von prominentenfreundlicher (arbeitgeberfreundlicher, urheberfreundlicher, etc…) Rechtsprechung zu Parteilichkeit nicht weit, auch wenn diese Verknüpfung oft unfair sein und es für die Entscheidungslinien gut vertretbare Gründe geben mag. Das Idealbild des vollkommen objektiven, frei von jeglichen persönlichen Präferenzen und Wertungen urteilenden Richters war zwar ohnehin zu allen Zeiten eine Illusion – eine Illusion allerdings, die sich sehr viel leichter aufrechterhalten lässt, solange stattgebende und abweisende Entscheidungen in der Anonymität "des Gerichts" untergehen, statt öffentlich (oder, im Fall von Richterscore, halböffentlich) einzelnen Richtern, Kammern oder Senaten zugeordnet zu werden.

DRB: Befürworten Transparenz, aber nicht Personalisierung

In diese Richtung weist auch die Kritik des Deutschen Richterbundes (DRB), der dem Projekt mit offener Ablehnung gegenübersteht. "Vor dem Hintergrund hitziger Debatten droht das Vertrauen in die Justiz abzunehmen", sagt Jens Gnisa, Direktor des AG Bielefeld und Vorsitzender des DRB. " "Angesichts dessen ist größere Transparenz zwar an sich kein schlechter Gedanke – aber nicht so, wie er hier umgesetzt werden soll." Zum einen seien die Kriterien von Richterscore (je 1bis 5 Sterne für Schnelligkeit, Vorbereitung, Hinweisbereitschaft, Objektivität und Rechtskenntnis sowie ein freies Kommentarfeld) zu grob und oberflächlich, um die Qualität richterlicher Arbeit akkurat erfassen zu können. Zum anderen fürchtet Gnisa, dass die Seite, auf der Bewertungen anonym abgegeben werden können, vor allem solche Anwälte anlocken werde, die ihrem Ärger über einzelne Richter Luft machen wollen.

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2/2: "Voreingenommenheit aufgrund von Faulheit nicht auszuschließen"

Die Zahlen stützten diese Bedenken allerdings nicht, betont Perlwitz von Advolytics: Die bisher abgegebenen Beurteilungen seien im Durchschnitt eher positiv, als Entscheidungstendenz sei meist "neutral" angegeben worden. Eine Durchsicht von 100 Bewertungen bestätigt das, allerdings mit einigen deutlichen Ausschlägen nach unten: "Voreingenommenheit aufgrund von Faulheit nicht auszuschließen" heißt es etwa über einen Berliner Richter, "Durchschnittliche Betreuungsrichterin ohne große Vorzüge. Dinge wie die Gewährung von Akteneinsichten werden schnell erledigt, Entscheidungen in der Sache zäh und ohne Rücksicht auf die Betroffenen" über eine Kollegin aus Hamburg. Bislang halten sich jedoch sowohl negative als auch positive Einschätzungen in Grenzen: Die Plattform verzeichnet erst rund 700 Kommentare bzw. Bewertungen. "Wie für jedes Bewertungsportal gilt auch für uns: Aller Anfang ist schwer", sagt Perlwitz. Wenn die Datenbank einmal auf eine entsprechende Größe anwachsen sollte, will er das Projekt teilweise kommerzialisieren: Bewertungen und Kommentare sollen für Anwälte zwar weiterhin frei abrufbar sein, Entscheidungstendenzen (die auch derzeit schon abgefragt, aber nicht veröffentlicht werden) sollen in Form eines umfassenden Dossiers über den jeweiligen Richter gegen eine Gebühr zur Verfügung gestellt werden. Dann sei auch eine Ausweitung auf weitere Gerichte denkbar – momentan umfasst die Datenbank von Richterscore lediglich Richter an Land- und Oberlandesgerichten.

Administrativ und juristisch schwieriges Unterfangen

Sollte es einmal dahin kommen, werden die Betreiber die Einnahmen wohl auch nötig haben. Die ständige Aktualisierung von wechselnden Gerichts- und Kammerzugehörigkeiten, Pensionierungen, Neueinstiegen usw. für insgesamt rund 20.000 deutsche Richter wäre eine administrative Mammutaufgabe. Diese und weitere Informationen sind zwar im "Handbuch der Justiz" zu finden, doch herausgeben wird das Nachschlagewerk vom DRB – und der will es dem Start-Up nicht zur Verfügung stellen. Der DRB erhält die Daten seinerseits von den Landesjustizministerien; eine Anfrage von Richterscore an das Berliner Ministerium wurde jedoch unter Verweis auf den Datenschutz abgelehnt. Bis auf Weiteres ist das Projekt somit auf die Geschäftsverteilungspläne der Gerichte angewiesen – eine mühsame und ineffiziente Methode, zumal die Pläne oft nicht online auffindbar sind. Hinzu kommt, dass das Konzept von Richterscore sich förmlich wie eine Anleitung zum Verklagtwerden ausnimmt. Bislang hat laut Perlwitz zwar noch niemand rechtliche Schritte eingeleitet, aber es dürfte wohl nur eine Frage der Zeit sein, bis sich der eine oder andere kritikempfindliche Richter von einer negativen Bewertung pikiert fühlt – die Hemmschwelle, ein Gerichtsverfahren einzuleiten, wird dann wohl um einiges niedriger liegen als für den durchschnittlichen Gastronom oder Hotelbetreiber. Interessant wäre das allemal – dann nämlich würde sich auch zeigen, ob die Justiz bei Bewertungen, die sie selbst betreffen, ebenso großzügige Maßstäbe anlegt wie bislang in den Spickmich- und Jameda-Entscheidungen. Dort ging es um Lehrer und Ärzte.

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