Zwei Monate nach dem vorläufigen Stopp

Neues vom ganz beson­deren elek­tro­ni­schen Anwalts­post­fach

von Pia LorenzLesedauer: 8 Minuten
Vor dem AGH Berlin geht es am Mittwoch um die ersten Klagen gegen das beA. Auch sonst hat die BRAK nicht nur technische Probleme, die BNotK stoppt die Produktion der beA-Karten und das BMJV prescht erst vor und rudert dann zurück.

Darf die Bundesrechtsanwaltskammer (BRAK) für die mittlerweile vier Rechtsanwälte, die im Eilverfahren gegen sie vorgehen, ein empfangsbereites besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) einrichten, auch wenn die Anwälte sich noch gar nicht im System registriert und das Identifizierungsverfahren noch nicht durchgeführt haben? Darüber verhandelt am Mittwochmorgen zum ersten Mal der Anwaltsgerichtshof (AGH) in Berlin, eine Entscheidung noch am selben Tag ist in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren möglich.  Die BRAK hat bereits erklärt, dass sie das beA (auch) der Antragsteller nicht vor Abschluss des Sofortrechtsschutzverfahrens freischalten wird, um dem Antrag das Eilrechtschutzbedürfnis zu nehmen. Was das Gericht dazu sagen wird? Beide Parteien gehen vor der mündlichen Verhandlung von einem Sieg aus. Die klagenden Anwälte der Kölner Kanzlei Werner RI vertreten seit Monaten öffentlichkeitswirksam die Auffassung, dass die BRAK die Postfächer nicht scharf schalten darf, wenn der Anwalt  noch keine Erstregistrierung durchgeführt hat. Sie sehen ohne eine solche Registrierung keine Pflicht der Rechtsanwälte, Eingänge im elektronischen Postfach gegen sich gelten zu lassen. 

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Der Streitpunkt: Gibt es eine passive Nutzungspflicht?

Allein sind sie mit dieser Auffassung nicht. Erst Mitte des Monats bekamen sie ungewohnt deutliche Unterstützung vom Ausschuss Elektronischer Rechtsverkehr des Deutschen Anwaltvereins (DAV), dem auch der namensgebende Partner der bei den Klagen gegen beA federführenden Kölner Kanzlei, Dr. Marcus Werner, angehört. Auch der DAV sieht keine Verpflichtung zur Kontrolle des Posteingangs im beA. Für die Begründung einer solchen von ihm so genannten passiven Nutzungspflicht bräuchte es eine gesetzliche Regelung, die es derzeit nicht gebe, so der Anwaltverein in seiner Stellungnahme.  Die BRAK dagegen hält "aufgrund der eindeutigen Gesetzeslage" keinen der vier derzeit anhängigen Anträge für aussichtsreich. Sie stützt sich weiterhin auf § 31a Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO). Eine nutzerabhängige Postfacheinrichtung im Sinne einer Freischaltung sähen weder § 31a BRAO i.d.F. des Gesetzes zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten noch die durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte beschlossenen Änderungen vor. Der Dachverband der regionalen Anwaltskammern beruft sich nicht zuletzt darauf, dass der Gesetzgeber mit dem im vergangenen Dezember verabschiedeten Gesetz zur Neuregelung des Rechts der Syndikusanwälte schließlich weitere Änderungen bezüglich des beA hätte vornehmen können. Das habe er aber, obgleich er auch Nachbesserungen an Regelungen vorgenommen habe, die das beA betreffen, bewusst nicht getan, sondern nur hinsichtlich der Postfächer für Syndikusrechtsanwälte eine Übergangsregelung für nötig gehalten, argumentiert die BRAK.

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2/3: Ein akademischer Streit?

Noch im Januar hätte man den Streit um die Verpflichtung der Anwälte, das beA registrierungsunabhängig jedenfalls auf Eingänge zu kontrollieren, noch als einen akademischen bezeichnen können.  Schließlich geht es gar nicht um Zustellungen per Empfangsbekenntnis. Auch förmliche Zustellungen über das beA bedürfen nach Ansicht der BRAK erst einmal weiterhin der Kenntnisnahme,  nur Schriftsätze und sonstige Erklärungen der Parteien im Sinne des § 270 Zivilprozessordnung sowie Ladungen und Gerichtskostenvorschussanforderungen etc. sollen formlos über das beA übermittelt werden. Zudem stellte sich das Problem gar nicht mehr, wurde doch der Start von beA von der BRAK wenige Wochen vor dem geplanten Startschuss auf unbestimmte Zeit verschoben. Und schließlich schien sich gar eine Lösung des Streits um die fehlende Rechtsgrundlage abzuzeichnen: Laut einem Brief, den der Berliner Anwalt Dr. Martin Delhey online verfügbar machte, wollte das BMJV ebendiese Rechtsgrundlage nämlich einfach schaffen: "Um insofern Klarheit zu schaffen, strebt das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz eine ausdrückliche gesetzliche Verankerung einer berufsrechtlichen Pflicht zur Nutzung des besonderen elektronischen Anwaltspostfachs ab dem 1. Januar 2018 an", heißt es in dem Schreiben. Denn "soweit keine Verpflichtung zur Einrichtung eines besonderen elektronischen Anwaltspostfachs besteht, kann mithin nur an freiwillig eingerichtete besondere elektronische Anwaltspostfächer förmlich zugestellt werden, da nur in diesen Fällen von einem Annahmewillen des Rechtsanwalts auszugehen ist. Entsprechendes dürfte für den wirksamen Zugang nicht zustellungsbedürftiger Nachrichten über das elektronische Anwaltspostfach gelten". Es hätte alles so schön sein können. Berücksichtigt man das üblicherweise fixe Gesetzgebungstempo aus dem Hause Maas einerseits und die im Rahmen von IT-Projekten der Größenordnung des beA erwartbaren und üblichen Verzögerungen andererseits, hätte man davon ausgehen können, dass die gesetzliche Nutzungsplicht existieren wird, wenn beA kommt und ein eher akademisches Problem sich in Wohlgefallen auflöst.

Vorgeprescht und zurück gerudert: das unentschiedene BMJV

Hätte man können - wenn nicht das Justizministerium wieder zurückgerudert wäre und das ins Netz gestellte Schreiben mittlerweile nicht mehr bestätigen wollte. Zwar werden der Versand des Schreibens und dessen Inhalt auch nicht dementiert, doch es heißt, man wolle Schriftverkehr mit Dritten nicht kommentieren. Sehr wohl kommentieren, nämlich korrigieren, möchte Dr. Stephanie Krüger, Pressesprecherin des BMJV, aber die Position, die das BMJV nun einnimmt: Das Ministerium prüfe, "ob es notwendig ist, eine ausdrückliche Nutzungspflicht für das beA durch die Anwaltschaft gesetzlich zu verankern." Dabei werde auch geprüft, ob ein solches in berufsrechtlichen Vorschriften geregelt werden soll. Im Hause Maas will man sich nun also anscheinend nicht mehr gegen die BRAK stellen. Die äußert sich auf Anfrage von LTO verschnupft: Eine offizielle Stellungnahme des Ministeriums liege der BRAK nicht vor, der Vorstoß sei ohne Abstimmung mit ihr erfolgt und entspreche nicht der derzeitigen Gesetzeslage. Die Tatsache, dass mögliche Änderungen nicht im Rahmen  des Gesetzes zur Neuordnung des Rechts der Syndikusanwälte vorgenommen worden seien, erklärt BMJV-Sprecherin Krüger damit, dass es im Dezember habe schnell gehen sollen,  während die Fragen zu beA noch "in Prüfung" gewesen seien. Außerdem sei "nicht noch mehr Regelung" im Gesetz über die Syndikusanwälte  gewünscht gewesen. Den plötzlichen Rückzug des BMJV muss man aber auch vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung des Anwaltspostfachs sehen. Schließlich gab es von Beginn an die Forderung, dass die Gerichte nicht vom ersten Tag der Freischaltung des beA an die neuen Postfächer nutzen können sollten, sondern erst dann, wenn der zu adressierende Anwalt diesen Kanal selbst schon einmal genutzt hat. Verfechterin dieser Lösung war noch im vergangenen Sommer: die BRAK. Nach eigenen Angaben wollte sie einen sanfteren Einstieg für Rechtsanwälte in den elektronischen Rechtsverkehr erreichen, konnte sich aber mit ihrem Anliegen nicht durchsetzen.

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3/3: Wer soll das bezahlen, wer hat so viel Geld?

Und nun? Die BRAK hüllt sich weiter in Schweigen, auch gut informierte Kreise wissen nichts von einem neuen Starttermin für beA. Die Bundesnotarkammer (BNotK), welche mit der Herstellung und Ausgabe der für die Nutzung des Postfachs nötigen BeA-Karte beauftragt ist, versichert, in ständigem Kontakt zur BRAK zu stehen und daher rechtzeitig über einen neuen Starttermin informiert zu werden. Bis dahin allerdings nimmt der Dachverband der Notare zwar noch Bestellungen für die Karten entgegen und sagt zu, diese pünktlich zum Start von beA auszuliefern. Die vorzeitige Auslieferung der Karten stellt die BNotK aber zunächst zurück. Über den Zeitpunkt der Wiederaufnahme der Kartenauslieferung will man entscheiden, sobald ein neuer Starttermin für beA vorliegt.  Kostengründe habe das nicht, teilte Sprecher Dominik Hüren auf Nachfrage der LTO mit. Die BNotK wolle nur zunächst Klarheit haben über den neuen Starttermin des beA. Auswirkungen auf die Notarkammern und damit mittelbar auf die Notare werde der vorläufige beA-Stopp nicht haben: "Eine spürbare Lücke im Etat der Bundesnotarkammer gibt es durch die Verschiebung nicht", so Hüren. Außerdem sei die Zertifizierungsstelle der Bundesnotarkammer als Betrieb gewerblicher Art strikt vom Bereich der Selbstverwaltung getrennt. Bei den Anwälten selbst fallen die Kosten weiter an, auch wenn das beA nicht kommt.  2016 müssen die Anwaltskammern für jedes ihrer Mitglieder zusätzlich 67 Euro an die BRAK abführen, insgesamt also etwas über 11 Millionen Euro.  Mit dem Vorjahresbeitrag in Höhe von 63 Euro sind die Kammern sehr unterschiedlich umgegangen: Einige haben diese Gelder in den Mitgliedsbeitrag eingerechnet und zum Teil auch aus dem eigenen Vermögen finanziert, andere haben eine Umlageordnung erlassen. Das ist in Ordnung, entschied mit Urteil vom 11. Januar der Anwaltssenat des Bundesgerichtshofs: Es gebe keine rechtlichen Bedenken dagegen, dass die regionalen Kammern die Kosten auf ihre Mitglieder umlegen.

Dritte, Marken und anderes Ungemach

Auch die Anbieter von Kanzlei-Software, mit der das beA verbunden werden muss, wissen bislang nichts von einem neuen Starttermin und haben noch keinen Zugang zum Testsystem. "Wir warten auf Informationen", bestätigt Ole Bertram, Vorsitzender  des Vorstands des Software Industrieverbands Elektronischer Rechtsverkehr (SIV-ERV). Dabei werden die Hersteller einige Zeit brauchen, um nach Bekanntgabe der Schnittstellenbeschreibung durch die BRAK das beA auch über Kanzlei-Software ansteuerbar zu machen. Es liegt auf der Hand, dass von der Neu-Terminierung nicht nur das beA betroffen ist: Eigentlich ist geplant,  den Vorgänger im elektronischen Rechtsverkehr, den EGVP-Client, zum 30. September abzuschalten, der Support soll schon zum 1. April eingestellt werden. Bislang ist von einer Verschiebung dieser geplanten Meilensteine auf dem Weg zum elektronischen Rechtsverkehr nichts zu hören. Dafür steht im Raum, über das System, welches eigentlich die Justiz und die Anwälte miteinander verbinden und mittelfristig einen funktionierenden elektronischen Rechtsverkehr ermöglichen soll, auch Dritten die Kontaktaufnahme zu ermöglichen, die im Safe-System registriert sind. Eine Idee, die nicht nur beim Anwaltverein auf scharfe Kritik stößt, welche nicht nur die Zuständigkeit der BRAK für eine solche Erweiterung des Systems betrifft. Für den Dachverband selbst hingegen ist die Idee nur eine Fortschreibung ihres gesetzgeberischen Auftrags aus § 177 BRAO und vermeide Medienbrüche. Schließlich bleibt nur zu hoffen, dass nicht noch von einer gänzlich anderen Seite Ungemach droht, wenn denn beA einmal gestartet ist und alle Signatur-Karten versandt wurden. Überall findet sich das Logo von beA. Dabei hat die Oracle International Corporation bereits im Jahre 2000 ihre BEA-EU-Marke eintragen lassen, als sie ein Unternehmen namens bea Systems Inc. zukaufte. Die Wort-Bild-Marke ist u.a. geschützt für Software und spezielle Software für Online-Nachrichtenübermittlung. Sie kommt der Wort- und Wort-Bild-Marke der BRAK bis auf einige Kleinigkeiten verblüffend nahe (vgl. Titelbild des Beitrags). Die BRAK sowie sämtliche regionalen Kammern wurden darüber, wiederum von einem Anwalt der Kanzlei Werner RI aus Köln, spätestens im November vergangenen Jahres informiert. Eine Antwort gab es nicht. Auf Nachfrage von LTO, ob Oracle von diesen Ähnlichkeiten weiß und es ggf. eine Nutzungsvereinbarung gibt, teilte die Anwaltskammer mit: "Nach Auffassung der BRAK stehen der eingetragenen und registrierten Wort-Bild-Marke beA keine Rechte entgegen."

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