Interview zum Arbeitsschutz bei Pandemien

Wie viel Maske muss sein?

von Tanja Podolski und Tanja PodolskiLesedauer: 8 Minuten

Muss der Arbeitgeber Masken zur Verfügung stellen? Darf er anweisen, eine auf dem Weg zur Arbeit zu tragen? Robert v. Steinau-Steinrück erklärt im Interview praktische Fragen zum Arbeitsschutz in der Pandemie.

LTO: Herr von Steinrück, lassen Sie uns den SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard (Standard) aus dem Bundesarbeitsministerium (BMAS) auf ganz praktische Fragen herunter brechen. Dürfen Unternehmen noch Bewerber zu persönlichen Gesprächen in den Betrieb einladen? 

Die Antwort lautet ja. Der BMAS-Standard besagt in Ziffer 6, dass "nach Möglichkeit" Arbeiten im Homeoffice ausgeführt werden sollen. Aber bei Bewerbungsgesprächen besteht diese Möglichkeit in vielen Fällen nicht, denn einerseits müssten die technischen Voraussetzungen auch beim Bewerber vorhanden sein, andererseits ist es natürlich wichtig, sich bei einer möglichen Einstellung Aug in Aug gegenüber zu sitzen.  Insofern gehe ich davon aus, dass das möglich ist – aber es müssen natürlich die erforderlichen Schutzmaßnahmen getroffen werden. 

LTO: Welche Schutzmaßnahmen müssen das sein und kann ein Bewerber Informationen über die Einhaltung durch den potenziellen Arbeitgeber verlangen? 

Das lässt sich gut aus dem BMAS-Standard entnehmen, hier gilt das, was auch für den Kontakt mit Mandanten oder Kunden entscheidend ist: Ab der Empfangssituation müssen der Abstand von 1,5 Meter eingehalten werden. Die Besucher sollen sich die Hände desinfizieren und der Arbeitgeber muss sicherstellen, dass Türklinken, Tische und sonstige Oberflächen, die berührt werden könnten, regelmäßig desinfiziert werden. Das gilt auch für Besprechungsräume, die nach Gesprächen zudem gelüftet werden müssen. Alle Besucher müssen erfasst und die getroffenen Schutzmaßnahmen im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung protokolliert werden. Das steht übrigens auch in§ 6 Abs.1 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG).  

Für Bewerber und selbstverständlich auch für Mandanten ist es legitim, sich zu erkundigen, welche Maßnahmen im Betrieb vorgenommen werden. Das gilt übrigens so lange, wie sich das Virus weiterverbreitet, also kein Impfschutz vorhanden ist. Der Standard ist zeitlich nicht befristet, sondern gilt für die Dauer der festgestellten Pandemie.  

LTO: Zur Schutzpflicht gehört auch, den Umgang mit Verdachtsfällen zu regeln. Muss der Betriebsrat an diesen Regelungen beteiligt werden? 

Nach § 87 I Nr. 7 Betriebsverfassungsgesetz hat der Betriebsrat ein Mitbestimmungsrecht zu Fragen des Gesundheitsschutzes. Das umfasst dann auch die Mitbestimmungsrechte zum Umgang mit Verdachtsfällen. Der Arbeitgeber muss etwa festlegen, wie mit Mitarbeitern mit Fieber oder Erkältungen umzugehen ist. Dazu gibt es Empfehlungen des Robert-Koch-Instituts, die sich der Arbeitgeber zu Hilfe nehmen kann. Zusätzlich enthält der BMAS-Standard in Ziffer 13 eigene Vorgaben 

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Arbeitgeber kann ins Büro zurück ordern 

LTO: Bisher hieß es, Möglichkeiten zum Homeoffice sollen soweit wie möglich genutzt werden. Nun gibt es viele Lockerungen, müssen jetzt alle Beschäftigten zurück ins Büro?  

Laut BMAS-Standard heißt es in Ziffer 6 nach wie vor: Büroarbeiten sind nach Möglichkeit im Homeoffice auszuführen und zwar insbesondere, wenn Büroräume von mehreren Personen mit zu geringen Schutzabständen genutzt werden müssten. Das hat sich aber meines Erachtens etwas relativiert, weil inzwischen die Maskenpflicht im öffentlichen Nahverkehr besteht und damit die Infektionsgefahr reduziert ist. Hinzu kommen die Gefährdungsbeurteilungen für die Betriebe.  

Es geht ja immer darum, die Gefährdungen auf dem Weg ins Büro und im Büro zu reduzieren. Wenn beides gelingt, kann das Unternehmen seine Mitarbeiter verstärkt auffordern, wieder ins Büro zurückzukehren. 

LTO: Wie ist die Rechtslage, wenn die Mitarbeiter nicht zurück ins Büro möchten, weil zumindest weiterhin ein Infektionsrisiko weiterhin besteht? 

Das Weisungsrecht des Arbeitgebers aus § 106 Gewerbeordnung (GewO) besteht grundsätzlich weiterhin, die Frage ist nur, ob es eingeschränkt ist. Die Schutzpflicht des Arbeitgebers aus § 618 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) spielt da eine Rolle: Kommt der Arbeitgeber dieser Pflicht nicht nach, steht dem Arbeitnehmer nach § 273 BGB ein Zurückbehaltungsrecht zu, er muss seine Arbeit dann also nicht erbringen.  

Kommt der Arbeitgeber aber den Schutzpflichten nach, sehe ich nicht, wie sich ein Arbeitnehmer gegen die Weisung zur Rückkehr wehren könnte. Kommt er dann nicht ins Büro, drohen die bekannten arbeitsrechtlichen Sanktionen der Abmahnung und Kündigung. Außerdem verliert der Arbeitnehmer, der z.B. aus genereller Sorge um die allgemeine Gefahr nicht ins Büro kommt, seinen Anspruch auf den Lohn. 

Nur in Ausnahmefällen, etwa bei Risikogruppen, bliebe diesen Beschäftigten der Anspruch auf Lohnfortzahlung nach § 615 BGB. Denn in solchen Ausnahmefällen kann der Arbeitnehmer von der Erbringung der Arbeit befreit sein kann. 

Weisungsrecht zum Tragen der Maske? 

LTO: Lässt sich daraus ein Rückschluss auf die Rechtslage ziehen, wenn Mitarbeiter unbedingt zurück ins Büro möchten? Gibt es ein Recht auf Rückkehr? 

Ein solcher Wunsch freut vermutlich die meisten Arbeitgeber und ist in ihrem Interesse. Wenn also die Schutzvorschriften umgesetzt sind, stellt sich dann kein Problem.  

Etwas anderes gilt dann, wenn der Arbeitgeber aus welchen Gründen auch immer die Schutzvorschriften nicht umsetzen kann oder befürchtet, dass sie in seinem Betrieb nicht ausreichen. Dann kann der Arbeitgeber weiter die Arbeit im Homeoffice anordnen und die Mitarbeiter dürfen nicht ins Büro zurückkehren. Eine solche Entscheidung liegt nun einmal beim Arbeitgeber. Er muss nur eventuell vorhandene Betriebsräte einbeziehen. Die haben zum Homeoffice in der Regel ein Mitbestimmungsrecht. Das Thema dürften die Unternehmen aber inzwischen geklärt haben.  

Zu den Schutzpflichten gehört aus meiner Sicht übrigens ausnahmsweise auch eine außerdienstliche Hinweispflicht des Arbeitgebers, dass Mitarbeiter im öffentlichen Nahverkehr, auf dem Weg zur Arbeit und beim Einkaufen etc. eine Maske tragen, also überall dort, wo Abstände von 1,5 Metern nicht eingehalten werden können. Denn die Arbeitgeber müssen ja sicherstellen, dass die Kollegen nicht gefährdet werden. 

LTO: Wenn Arbeitgeber sich nun auch bei Schutzmaßnahmen außerhalb der Arbeit einmischen, greifen sie in das Privatleben der Beschäftigten eingreifen? Das wird erheblichen Diskussionsstoff bieten mit Mitarbeitern, die jegliche Maßnahmen kritisch sehen und das Virus nicht ernst nehmen. 

Ja, das wird ein Problem werden: Wie geht man mit Mitarbeitern um, die sich erkennbar nicht an Schutzvorgaben halten? Nach erfolglosen Aufforderungen, etwa die Maske zu tragen oder sich die Hände zu desinfizieren, darf der Arbeitgeber diesen Mitarbeiter nicht arbeiten lassen, denn immerhin hat er auch Schutzpflichten gegenüber allen anderen Beschäftigten. In jedem Fall kann der Arbeitnehmer abgemahnt und notfalls auch außerordentlich gekündigt werden. Die Arbeitnehmer sind zur Mitwirkung beim Arbeitsschutz schon über § 15 ArbSchG verpflichtet.  

Wenn ein Mitarbeiter sich beharrlich weigert, eine Maske zu tragen und damit sich und andere gefährdet, dürfte das sogar Auswirkungen auf den Lohn haben. Meiner Ansicht nach kann dem Arbeitnehmer in diesem Fall der Zutritt zum Betriebsgelände untersagt werden. Dass er die Arbeitsleistung nicht erbringen kann, verschuldet er dann selbst. Bei Unvermögen behält der Arbeitnehmer seinen Lohnanspruch aber nur, wenn der Arbeitgeber für die Unmöglichkeit der Arbeitsleistung allein oder weit überwiegend verantwortlich ist. Das ist hier nicht der Fall. Daher muss das Gehalt in solchen Fällen auch nicht weitergezahlt werden.  

Masken vom Arbeitgeber? 

LTO: Arbeitgeber tragen die Verantwortung für Infektionsschutzmaßnahmen im Unternehmen. Gehört dazu auch die Pflicht, den Beschäftigen Masken zur Verfügung zu stellen? 

In Ziffer 15 des BMAS-Standards heißt es, bei unvermeidbarem Kontakt zu anderen sollen Schutzmasken zur Verfügung gestellt und getragen werden. Lassen sich Kontakte vermeiden – wie z.B. in Einzelbüros - müssen also keine Masken getragen und nicht bereitgestellt werden. Wenn Kontakt zu anderen allerdings nicht umgangen bzw. die Schutzabstände nicht eingehalten werden können, muss der Arbeitgeber wohl Masken besorgen und ausgeben. Er darf die Kosten für die erforderlichen Arbeitsschutzmaßnahmen nicht auf die Arbeitnehmer abwälzen. Darüber hinaus sollten Arbeitgeber für besonders gefährdete Mitarbeiter im Zweifel auch besonders sichere Masken zur Verfügung stellen.  

Wessen Risiko sind Vorerkrankungen? 

LTO: Fast jedes Unternehmen wird Mitarbeiter haben, die bei einer Infektion besonders gefährdet sind. Was müssen Arbeitgeber im Umgang mit diesen Beschäftigten beachten? 

Nach Ziffer. 17 des BMAS-Standards und § 4 Nr. 6 Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) muss der Arbeitgeber seine Mitarbeiter aus Risikogruppen besonders schützen. Wer betroffen ist, lässt sich auf der Website des RKI nachlesen, dort gibt es eine Liste mit Vorerkrankungen und Gefährdungen. Die Mitarbeiter können sich dazu vom Betriebsarzt beraten lassen und diesen einbeziehen, um passende Schutzmaßnahmen aufsetzen zu können.  

Vielen solcher Betroffenen dürfte es tatsächlich derzeit unzumutbar iSd § 275 Abs. 3 BGB sein, zu arbeiten. Der Arbeitgeber hat dann natürlich kein Recht zu Abmahnung oder Kündigung.  

Hoch problematisch ist in der Praxis, ob der Lohn weitergezahlt werden muss. Die Frage ist dann, in wessen Risikosphäre es fällt, dass der Arbeitnehmer nicht arbeiten kann. Liegt es daran, dass der Arbeitgeber überhaupt keine Schutzmaßnahmen trifft, so liegt es in dessen Sphäre, ansonsten dürften Vorerkrankungen der Beschäftigten aus meiner Sicht aber kein Betriebsrisiko darstellen – das ist doch ein vornehmlich privater Bereich.  

Gerade weil die Situation aber noch über viele Monate andauern wird, ist das für beide Parteien eine schwierige Situation, bei der man sich trefflich streiten wird. 

Gefahr für Angehörige 

LTO: Beschäftigte sind womöglich nicht selbst gefährdet, leben aber mit Angehörigen von Risikogruppen zusammen. Müssen diese Mitarbeiter zur Arbeit kommen? 

Nein, in diesem Fall ist es unzumutbar, zur Arbeit zu kommen iSd §275 Abs. 3 BGB. Keiner kann verlangen, dass diese Mitarbeiter ihre Angehörigen in Gefahr bringen. Aber sie werden ihren Lohnanspruch verlieren, denn der Hausstand gehört nun wirklich nicht mehr zur Risikosphäre des Arbeitgebers.  

Gleichwohl wird auch diese Frage sicherlich die Gerichte beschäftigen, denn natürlich kann man in einer Pandemie auch Solidarität mit solchen Risikolagen fordern.  

LTO: Wenn Beschäftigte trotz persönlicher Befürchtungen zur Arbeit kommen und sich dort infizieren, besteht eine Haftung des Arbeitgebers? 

Zurzeit ist in aller Munde, dass Arbeitgeber viel für den Arbeitsschutz tun müssen. Dabei darf aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht völlig aus dem Blick geraten. Er hat auch im Arbeitsschutzrecht große Bedeutung. In § 618 BGB steht eindeutig, dass die Schutzpflichten so weit gehen, wie es die Natur der Dienstleistung es gestattet. Es steht darin auch, dass Gefährdungen "so wie möglich" zu vermeiden sind. Vorausgesetzt also, der Arbeitgeber hat die Gefährdungsbeurteilungen vorgenommen, den Arbeitsschutz umgesetzt und auf Beschäftigte eingewirkt, die sich nicht an die Vorgaben halten und sich unangemessen verhalten, dann haftet er auch nicht für Infektionen. Einen absoluten Schutz gibt es nicht und den erwartet das Gesetz auch nicht. Ohnehin ist davon auszugehen, dass eine Haftung des Arbeitgebers wegen der Beschränkung des § 104 I SGB VII ausscheidet. Bei der Infektion mit Corona wird es sich entweder um einen Arbeitsunfall oder eine Berufskrankheit handeln. Somit liegt ein Versicherungsfall vor und die gesetzliche Unfallversicherung ist zuständig. Auch hier sind ganz bestimmt rechtliche Auseinandersetzungen zu erwarten.   

Die Pandemie und ihr Umgang damit ist generell ein großes Polarisierungsthema: Wie in Schulen und in Supermärkten werden sich auch die Kollegen teilweise feindlich gegenüberstehen.  

Prof. Dr. Robert von Steinau-Steinrück ist Partner bei Luther Rechtsanwälte in Berlin und auf das Arbeitsrecht spezialisiert.  

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