Von der Anwältin zur Unternehmerin

Im Haus der Heldin

von Tanja PodolskiLesedauer: 5 Minuten
Als Anwältin war sie auf Venture Capital spezialisiert. Nach rund drei Jahren in dem Beruf will sie nun ihrer Berufung folgen: Eva Juliane Jerratsch wird selbst Unternehmerin. Mit Taschen für Business Frauen  – wie ihre früheren Kolleginnen.

Geografisch betrachtet ist sie nicht weit gekommen: Eva-Juliane Jerratsch hat es aus Berlin nie für länger als zwei Jahre hinaus geschafft. Für ihre berufliche Entwicklung ist sie damit genau an der richtigen Stelle: Die 32-Jährige ist Teilhaberin eines Startups und Gründerin von Venture Ladies, einem Netzwerk für Frauen aus der Venture Capital (VC) und Startup-Szene. Mit dieser Aufstellung wäre sie sonst nur am Private-Equity- und Venture Capital-Standort München genauso gut aufgehoben. Der eingefleischten Berlinerin hört man ihre Herkunft an ihrem Ausdruck nicht mehr an – es sei denn, sie will es so. Das ist dann auch der Moment, in dem greifbar wird, dass auch sie mit ihrem ersten Gehalt angefangen hat, ihr BaFöG zurückzuzahlen.

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Beruf ohne Berufung

Sie hat Jura studiert, ihr Referendariat gemacht und im August 2013 ihr zweites Examen abgelegt. Sie war gut genug, um danach bei SJ Berwin anzufangen, obwohl sie Jura bis dahin nie als ihre wahre Berufung angesehen hatte. Doch das Milieu, das war es: "Ich fand das Umfeld total spannend", sagt Eva Jerratsch. Sie war im Team des VC-Anwalts Dr. Frank Vogel und damit umgeben von Investoren, Unternehmern, Gründern. Sie entwickelte Gesellschafterstrukturen und strukturierte Finanzierungsrunden. Es war genau ihr Ding. Es folgte noch 2013 der Zusammenschluss von SJ Berwin mit der australischen Sozietät Mallesons Stephens Jacques und der chinesischen Kanzlei King & Wood. Schon im darauffolgenden März hieß es: Das Berliner Büro der fusionierten Kanzlei, das ehemalige Domizil von Eva Jerratsch, wird geschlossen. Eva Jerratsch wechselte zum Mai 2014 zu Pöllath + Partner. Viel Berufserfahrung hatte sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht.

Netzwerk und selbst loslegen

Es war auch die Zeit, zu der Unternehmensgründer Anton Jurina die Beteiligung an seinem ersten Unternehmen verkaufen wollte. "Ich saß damals mit am Verhandlungstisch, die Transaktion lief einfach gut", sagt Jerratsch heute. Danach beriet sie Jurina bei diversen Beteiligungen, Investments, Anteils-Verkäufen. Parallel dazu kam ihr die Idee für die Venture Ladies. "Mir ging es darum, einen Austausch herzustellen für Frauen, die sich in der VC-Szene bewegen. Und auch darum, etwas aus dem Jura-Kosmos heraus zu kommen", erzählt Jerratsch. Sie rief fünf Bekannte an, fast jede brachte noch eine weitere Frau zum Treffen mit: Der Stammtisch stand. Zum nächsten Treffen kamen 40, heute hat das Netzwerk rund 1.000 Mitglieder und bietet Workshops und Netzwerktreffen rund um Venture Capital an. "Diese Gespräche haben das eigene Denken unglaublich erweitert", sagt die Anwältin. Immer mehr bewegte sie sich in der Gründer-Szene, hörte viele Startup-Geschichten anderer mit den Herausforderungen, Niederschlägen und Erfolgen. Dass Jerratsch dann auch selbst ein eigenes Modelabel gründen wollte, ist nicht mehr fernliegend. Um selbst zu gründen saß sie an der Quelle jeglicher fachlichen Kompetenz, dass sie sich im Segment Mode bewegen würde, war auch naheliegend: "Ich hatte immer schon ein Faible für schöne Dinge und Kunst", sagt die 32-Jährige. Sie hat früher selbst viel gemalt und Theater gespielt, "ich mag einfach Ästhetik", sagt sie. Jerratsch startete mit ihrem ersten eigenen Label, "Velvet Rhapsody", und kreierte dafür mit einer Partnerin Kummerbunde und Capes aus Samt für Frauen. Das sollte vor allem ein Hobby sein –und dabei blieb es mit diesem Label bis heute. Vor allem arbeitete sie weiter für die Kanzlei Pöllath - arbeitete und lernte viel dabei. Nach drei Jahren im Anwaltsjob machte sie eine Bestandsaufnahme. "Ich hatte mir immer vorgenommen, meine berufliche Situation nach etwa drei Jahren zu evaluieren", sagt sie. Sie mache Sachen gerne richtig, mit Vollgas. Und wollte sicherstellen, dass sie so auch noch ihren Job machte. Faktisch hatte sie zu diesem Zeitpunkt fast zwei Jahre das Büro in Berlin geleitet, es gab vor Ort niemanden mit mehr Erfahrung. Im November und Dezember 2016 wollte sie zwei Monate Urlaub nehmen und verreisen, so war es bereits mit Pöllath verabredet.

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2/2: Zufriedenheit reichte nicht mehr

Dann kam der Anruf von Anton Jurina, die Startkollektion von Maison Héroïne stand und Eva Jerratsch und ihr Netzwerk waren als Test-Kundinnen sofort begeistert. Schnell war sie in der Folge wesentlich stärker in die Business-Strategie als in die Rechtsberatung involviert. Das Fazit: Es gebe keine Taschen-Marke, die funktionale und schicke Business-Taschen für Frauen produziert. Wenn Eva Jerratsch von der Marktanalyse, den Brands, den Positionierungen der diversen Designer, oder der Funktionalität der Produkte erzählt, ist sie kaum zu bremsen. Es dauerte allerdings noch ein paar Monate, bis Jurina sie fragte, ob sie jemanden aus ihrem Netzwerk kenne, die mit einsteigen wolle. Sie nannte sich selbst. Bis dahin hatte sie bereits mehrfach Angebote von Mandanten bekommen, etwa als Geschäftsführerin in Startups einzusteigen. Sie hatte alle abgelehnt. Sie war zufrieden bei Pöllath, es sprach nichts gegen die Kanzlei - "wir haben dort sogar eigene Köche, die uns das Essen zubereiten". Pöllath sei für sie die Basis gewesen, sagt sie, die Kanzlei, von der sie – auch durch ihren Mentor Dr. Michael Inhester - maßgeblich unterstützt, gefördert und vorangebracht worden sei. Doch die Liste der Argumente für den Einstieg bei Anton Jurina wurde immer länger: "Da standen Aspekte wie ein Team aufzubauen, einen ordentlichen Umsatz zu erreichen, ein eigenes Produkt im Schaufenster eines Geschäfts zu sehen. Das waren so viele spannende und reizvolle Punkte, da hatte ich schon ein Gefühl, wohin die Reise für mich gehen könnte", sagt Jerratsch.

Die Idee: Stylisch und praktisch

Nun, zunächst einmal nach Neuseeland: Die 32-Jährige blieb bei ihrem Plan, zu verreisen. Nach nur vier Wochen dort war klar: Sie zieht das durch. Ihr soziales Gefüge erlaubte ein Risiko: Sie verfügte über finanzielle Rücklagen, konnte auf eine langfristigen Beziehung bauen und ihre Familie war in der Nähe. Diese Gewissheit brauchte sie auch. Etwa bei der Suche nach Produzenten in Italien, die sie "nach Mindeststückzahlen und Vorauskasse fragten", erzählt die Unternehmerin. Die Italiener sollten aber die Taschen für die Frauen produzieren, die bisher auf Geschäftsreisen zwei Taschen durch die Flughäfen tragen: Eine tendenziell nicht so schöne Laptoptasche und eine Handtasche, die für viele Frauen Spiegel ihrer Persönlichkeit ist. Das Produkt von "Maison Héroïne" ("Das Haus der Heldin") sollte beides miteinander vereinen. Doch die italienischen Hersteller taten sich schwer mit den geringen Stückzahlen, der aufwändigen Produktion. Dem Unternehmen halfen schließlich die richtige Portion Hartnäckigkeit und das notwendige Quäntchen Glück. "Die Mutter des Geschäftsführers fand die Tasche großartig", erzählt Jerratsch und habe damit die Produktion beschleunigt. Inzwischen sind die ersten 200 Taschen in Berlin angekommen, 50 Prozent sind im Pre-Sale schon verkauft. Für Jerratsch steht nun der Direktvertrieb an. Auch das hierfür notwendige Selbstbewusstsein hat sie am Verhandlungstisch mit Mandanten aus DAX-Unternehmen und Anwaltskollegen trainiert. Sie weiß heute, was sie kann und vertraut auf die eigenen Fähigkeiten, bleibt hart in der Sache und weich in der Kommunikation. "Wer weiß, ob wir in einem Jahr tatsächlich erfolgreich sind", sagt die Berlinerin. "Doch stellt Euch vor, es klappt. Wie geil wäre das denn."

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