Von der Großkanzlei nach Usbekistan

Als Jurist bei einer Nichtregierungsorganisation

von Sascha HörmannLesedauer: 6 Minuten
Seit über 30 Jahren beobachten die Mitarbeiter von Human Rights Watch (HRW) weltweit die Lage der Menschenrechte. Jeder hat den Namen schon einmal gehört. Was sich dahinter verbirgt und wie sich der Arbeitsalltag gestaltet, darüber sprach unser Autor Sascha Hörmann mit HRW-Mitarbeiter Steve Swerdlow.

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Die Organisation mit Hauptsitz in New York gehört neben Amnesty International zu den bekanntesten Nichtregierungsorganisationen (NRO) im Bereich der Menschenrechte. Groß ist sie allerdings nicht und verfügt nur über etwa 320 feste Mitarbeiter, unterstützt durch Praktikanten und Ehrenamtliche. Nicht viel, wenn man bedenkt, dass HRW weltweit, in 80 Staaten die Menschenrechtslage beobachtet. Im Berliner Büro der Organisation arbeitet der US-amerikanische Jurist Steve Swerdlow neben seinen neun Kollegen als einer von zwei Researchern zu Zentralasien. Sein Spezialgebiet sind die ehemaligen Teilstaaten der Sowjetunion, insbesondere Tadschikistan und Usbekistan. Das bietet sich an, schließlich spricht er neben Russisch auch Ukrainisch, Georgisch und Usbekisch, Sprachkenntnisse, die der heute 34-Jährige während seiner Studienzeit erwarb. Deutsch allerdings gehört nicht dazu. Noch nicht.

Ein Weg über mehrere Stationen

Swerdlows Weg begann am College mit den Fächern Geschichte und russische Literatur. Bereits während des Studiums verbrachte er lange Zeit in Russland. Seitdem lässt ihn diese Region nicht mehr los. Direkt nach dem Abschluss zog es ihn wieder dorthin, diesmal in die zentralasiatischen ehemaligen Teilstaaten der Sowjetunion, um dort für verschiedene NROs zu den Themen Demokratieförderung und Zivilgesellschaft zu arbeiten. Im Nordkaukasus fungierte er zum ersten Mal als Menschenrechtsbeobachter. Swerdlow untersuchte die Lage einer ethnischen Minderheit, die Stalin in die Region deportieren ließ und der seitdem jegliche Bürgerrechte verwehrt blieben. In einem kleinen Dorf erlebte er 2001 einen Aktivisten, der die russische Verfassung aus der Tasche zog, daraus zitierte und die Einhaltung seiner Rechte einforderte. Für den jungen Swerdlow eine prägende Erfahrung: "Zu sehen, wie er das Gesetz glaubte, werde ich nie vergessen. Es hat mich berührt." Der Zufall war es also nicht, der ihn den Schwerpunkt seines Masterstudiums in International Relations an der Columbia University auf den Bereich "Human Rights" legen ließ. Das war Swerdlow aber nicht genug. "Ich wollte mehr vom internationalen Recht begreifen und vor allem in der Lage sein, Menschen vor Gericht vertreten zu können, wirkliche Menschenrechtsarbeit zu leisten." Was er darunter versteht? "Rechtsnormen mit Leben füllen, indem man Opfern beisteht und ihre Rechte durchsetzt", macht Swerdlow deutlich. Dafür brauchte er die Anwaltszulassung, konsequent führte die nächste Station also zum Jurastudium an die Law School der University of California in Berkeley. Den ersten Einblick in die juristische Praxis erlangte Swerdlow als Richterassistent am Bezirksgericht seiner Heimatstadt Los Angeles. Um zunächst mehr Erfahrung im amerikanischen Recht zu sammeln, folgte der Wechsel zu einer Kanzlei, die sich vor allem mit der Wahrnehmung von Bürger- und Verbraucherrechten befasste. "Eine rein juristische Tätigkeit, die nur wenig mit internationalen Menschenrechten und nichts mit Russland zu tun hatte", sagt Swerdlow heute. Trotzdem versuchte er, mit seinen eigentlichen Themen - Menschenrechte und Osteuropa - in Verbindung zu bleiben, indem er Aufsätze verfasste. Eine nicht ganz einfache Zweigleisigkeit, denn die Arbeit in der Zivilrechtskanzlei erlaubte eigentlich keine Ablenkung. Irgendwann sei der Punkt gekommen, an dem er vermisst habe, vor Ort mit Opfern von Menschenrechtsverstößen zu arbeiten.

Von der Großkanzlei nach Usbekistan

Die Jobsituation ist im Bereich der Menschenrechtsarbeit schwierig, die Stellen sehr rar. Das ist auch bei HRW nicht anders. Swerdlows Bewerbungsverfahren dauerte ein halbes Jahr bis er an die Stelle kam. Er gab seinen Anwaltsjob in San Francisco auf und machte sich 2010 auf dem Weg nach Tashkent, Usbekistan. Swerdlow sollte dort als neuer Direktor die Repräsentanz wieder aufbauen, nachdem das Büro 2008 geschlossen werden musste. Seit 1996 war HRW bereits dort, um die Entwicklungen in den Bereichen Frauenrechte, Folter und Religionsfreiheit zu beobachten. Im Mai 2005 kam es im Verlauf mehrtägiger Unruhen in der Stadt Andijan zur Erschießung hunderter Menschen durch usbekische Militär- und Polizeikräfte. Mitarbeiter von HRW dokumentierten und untersuchten das Geschehen. Damit machte man sich nicht sonderlich beliebt. Nachdem es immer schwieriger wurde, in das Land einzureisen und sich dort zu bewegen, kam es 2008 schließlich zur Ausweisung der ausländischen HRW-Mitarbeiter. Der direkte Draht in die Region war gekappt.

Informationen beschaffen

HRW legt besonderen Wert darauf, Informationen aus erster Hand, unabhängig von Dritten zu bekommen und auf dieser Grundlage Berichte und Einschätzungen zu erarbeiten. Zu den Aufgaben der Mitarbeiter vor Ort zählen dementsprechend: Gespräche führen, fotografieren, dokumentieren und Aussagen von Opfern und Zeugen von Menschenrechtsverletzungen festhalten. Das war der Job von Steve Swerdlow. Er sollte Informationen beschaffen. So auch in Tashkent. Treffen mit Aktivisten, Rechtsanwälten, Vertretern kleinerer NROs vor Ort und eben auch potentiellen Folteropfern wurden für Swerdlow zur Routine. In einem Staat, dessen Regierung er als eine der repressivsten und autoritärsten überhaupt beschreibt, haben solche Treffen Konsequenzen: Tag und Nacht sei er beschattet, das Telefon abgehört worden. Dabei verhielten sich die Beamten nicht einmal bedeckt. Einmal, so Swerdlow, habe sich einer seiner "Schatten" während eines Informantengespräches in einem Café direkt neben sie gesetzt und das Diktiergerät auf den Tisch gestellt. Trotzdem beschreibt er  seine Arbeit in Usbekistan angesichts des Mutes der Menschen mit denen er vor Ort sprach, Opfern von Menschenrechtsverletzungen, Aktivisten, Anwälte und Journalisten als "anstrengende aber auch inspirierende Zeit". Jeder von ihnen habe seine Sicherheit schon allein deshalb aufs Spiel gesetzt, weil sie mit ihm Kontakt hatten. Viele seien nach Gesprächen mit ihm von den Sicherheitsbehörden vorgeladen worden. Für ihn selbst als offiziellen und zudem ausländischen Mitarbeiter, so glaubt Swerdlow, habe der Name "Human Rights Watch" eine "schützende Wirkung" gehabt. Zwar sei ihm seitens der Behörden klar zu verstehen gegeben worden, dass er nicht erwünscht sei, körperliche Übergriffe aber gab es nicht, berichtet der junge Familienvater.

Arbeit aus dem Exil

Schließlich führte Swerdlow zu viele Gespräche und fotografierte zu viel: Nach nur drei Monaten wurde auch er aufgefordert das Land zu verlassen. Innerhalb von 24 Stunden. Damit war der Versuch gescheitert, eine neue dauerhafte Einrichtung zu etablieren. Für ihn eine belastende Situation. "Du kannst gehen, deine Kollegen und all jene mit denen du zusammengearbeitet hast, vor allem die Opfer des Regimes, aber nicht. Man fühlt sich schuldig", erklärt Swerdlow. Einige Zeit habe es gedauert, mit der neuen Situation zurechtzukommen. Für HRW arbeitete er fortan von Berlin aus, die Schuldgefühle nahm er mit. "Das Erlebte bleibt ein Teil von dir. Es ändert dich", resümiert er mit ernstem Blick. Nun stehe er von Berlin aus mit Informanten vor Ort in Kontakt. Noch immer gebe es Netzwerke und Kanäle, über die man an die notwendigen Informationen komme. "Nur etwas langsamer", meint Swerdlow. Zu jeder Tages- und Nachtzeit riefen bei ihm Menschen an, weil es wieder Verhaftungen gegeben habe. Was mit den gesammelten Informationen geschieht? Man bereite diese in Form von Berichten und Empfehlungen auf. Jedes Jahr würden etwa 100 davon veröffentlicht. Den Report zu Usbekistan präsentierte Swerdlow vergangenen Dezember. So versuche man Menschenrechtsverstöße öffentlich zu machen und gezielt Einfluss zu nehmen. Das ist der andere Teil der Arbeit: Kontakte mit Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft pflegen. Zu diesem Zweck gebe es regelmäßig Veranstaltungen und Hintergrundgespräche mit Abgeordneten, um bei dem einen oder anderen eine kleine Stellschraube zu bewegen, die sich dann im Land der Menschenrechtsverletzung bemerkbar macht.

Nicht nur für Juristen

Ein vielseitiger Job. Da wundert es nicht, dass viele HRW-Mitarbeiter nicht mehr nur einen juristischen Hintergrund haben, sondern etwa zuvor als Journalisten tätig waren. "Ich denke, es geht weg vom Juristen. Menschenrechtsarbeit war lange durch Anwälte dominiert. Mittlerweile gibt es aber immer mehr Nichtjuristen in dem Bereich. Themen wie soziale Gerechtigkeit benötigen aber nicht zwingend einen juristischen Background", erklärt Swerdlow. Trotzdem glaubt er, dass ihm sein juristischer Hintergrund sehr nützt. Das Völkerrecht sei "alles, was wir haben", meint Swerdlow. Das Recht bilde den Rahmen der Arbeit von HRW, es sei schließlich die Grundlage sämtlicher juristischen Bewertungen der Beobachtungen vor Ort. Und die müssten jeder Kritik standhalten können. Hinzu käme auch das Wissen um das System der Vereinten Nationen oder auch nationaler Rechtsordnungen, alles Instrumente der Menschenrechtsarbeit und Teil seines Jobs. Was ihn genau an Arbeit erwarte, könne er zu Beginn eines Monats nichts sagen. Die Arbeitsbelastung ist hoch, Telefonkonferenzen mit dem Hauptquartier, Gespräche mit Informanten, Lobbyarbeit. Das sei anders, wenn er wieder in Usbekistan wäre. Nach einem Jahr der Reflexion und der Arbeit aus der Ferne sei er wieder bereit für die Arbeit draußen. "Ich will Menschen treffen, herausfinden was geschah." Wieder Gespräche mit Opfern und Zeugen führen, fotografieren, dokumentieren. Menschenrechtsarbeit leisten.

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