Das Ergebnis der Datenentschlüsselung und die Vernehmung des Vermieters stehen im Fokus des zwölften Verhandlungstages im Candylove-Prozess. Am Ende überrascht die Kammer mit einer Aussage zum weiteren Verfahrensablauf.
Im Prozess um den Drogen-Onlineshop "Candylove" (Az. 8 KLs 105 Js 34746/19) vor dem Landgericht (LG) Leipzig beginnt der zwölfte Verhandlungstag wie gewohnt mit leichter Verspätung und endet mit einer überraschenden Ankündigung der Kammer. Angeklagt sind fünf Männer, die über den Onlineshop 20 Kilogramm Drogen verschickt haben sollen.
Um Maximilian Schmidt, besser bekannt als "Kinderzimmer-Dealer" aus der Netflix-Dokumentation "Shiny_Flakes: The Teenage Drug Lord", bleibt es heute ruhig. Im Fokus stehen die Auswertung der externen Sachverständigen zur Daten-Entschlüsselung und die Vernehmung des Vermieters einer der Bunkerwohnungen, in denen die Angeklagten die Drogen verpackt haben sollen.
Sachverständige konnten Datensätze nicht knacken
Die Kammer hatte zu einem früheren Zeitpunkt externe Sachverständige beauftragt, um Datenträger des Angeklagten Schmidt zu entschlüsseln. Diese waren bei einer Wohnungsdurchsuchung sichergestellt worden. Ein Ergebnis der Entschlüsselung war für Ende April angekündigt – und daran hielten sich die Sachverständigen.
Die Datenträger-Entschlüsselung hätte für neuen Wind im Prozess sorgen können. Stattdessen verkündete der Vorsitzende Richter Harr: "Das Ergebnis ist so, wie es sich Herr Schmidt gedacht und erhofft hat." Die Sachverständigen konnten die Datensätze nicht knacken. Augenscheinlich eine gute Nachricht für die erste Reihe der Anklagebank, die überwiegend mit einem Lächeln auf dem Gesicht reagierte. "Was hat’s denn gekostet, Herr Vorsitzender?" fragt Schmidts Verteidiger Engels leicht amüsiert. Die Frage bleibt unbeantwortet, eine Rechnung hätte das Gericht noch nicht gesehen.
Ungeklärt bleibt allerdings, ob eine Kopie der Datenträger an die Beteiligten herauszugeben ist. Das forderte Schmidts Verteidiger Engel erneut. Eine Entscheidung darüber lässt die Kammer zunächst offen, darüber müsse man nochmal beraten.
Vom Vermieter zum Zeugen: "Meine Tochter nahm Visitenkarte entgegen"
Wie im letzten Termin bereits angekündigt, war der Vermieter einer der Bunkerwohnungen, der K., als Zeuge geladen. Nach dem Vorsitzenden Harr sei es bisher unklar, wie K. überhaupt zum Zeuge im Verfahren werden konnte und was ihm in der Vernehmung vorgehalten wurde. Der Antrag der Staatsanwaltschaft zur Vernehmung des Vermieters kam erst relativ spät im Verfahren. Die bisherigen Erkenntnisse darüber passen laut Harr wohl nicht zwingend mit den Aussagen der Polizeibeamten zusammen.
K. schilderte, dass er nicht wisse, wie die Beamten auf ihn als Zeugen gekommen seien. Eine Ladung zur Vernehmung im eigentlichen Sinne habe er nicht erhalten. Zwei Beamte hätten an seiner Haustür geklingelt, er sei aber nicht da gewesen. Stattdessen hätten sie seiner Tochter eine Visitenkarte mit dem Hinweis in die Hand gedrückt, dass er sich doch bitte mit ihnen in Verbindung setzen solle.
Auf Nachfrage des Vorsitzenden gab K. an, dass er sich am nächsten Tag bei ihnen gemeldet habe und wenig später zur Vernehmung im Polizeirevier gesessen hätte. Worum es konkret ging, habe er zunächst nur mutmaßen können. Die Beamten hätten nur eine Wohnung erwähnt, die ihm gehört. In der 30 bis 45-minütigen Vernehmung hätten sie ihm dann Fragen zur Wohnung gestellt. An einführende Worte der Vernehmenden, dass es um Ermittlungsmaßnahmen gegen den angeklagten Anwalt R. ginge, könne er sich nicht erinnern.
Nach energischen Nachfragen von Engel zur abweichenden Adresse des K., die im Protokoll von den Vernehmungspersonen notiert wurde, reagierte schließlich auch der Vermieter K. irritiert: "Muss ich wirklich darauf antworten?". Das Hickhack zwischen Engel und K. sorgte für leichtes Gelächter und genervte Blicke im Gerichtssaal. Die gewünschten Erkenntnisse brachte die Befragung des Zeugen allerdings nicht. Konkreter wurde es an dieser Stelle dank eines Einwands der Verteidigung dann auch nicht mehr.
Fragen-Eiertanz geht in die nächste Runde
Nach Ansicht des Verteidigers Klein ist die Zeugenvernehmung nämlich an genau dieser Stelle zu Ende. Obwohl die Kammer nicht von einer generellen Unvernehmbarkeit des Zeugen ausging, blieb weiterhin unklar, worüber er konkret noch befragt werden darf. Die Vernehmung versprach neue Erkenntnisse über die Rolle des angeklagten Anwalts R., durch die der in Aussicht gestellte Freispruch ins Wanken geraten könnte. Hintergrund ist abermals die zentrale Frage über eventuell bestehende Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote der Telekommunikationsüberwachung zwischen dem angeklagten Anwalt R. und dem Angeklagten G, weshalb es bereits in der Vergangenheit zu Aussagebeschränkungen von Zeugen kam.
Die Staatsanwaltschaft machte deutlich, dass sie gerne weitere Fragen an den Zeugen stellen würde und erkundigte sich beim Vorsitzenden: "Lassen Sie die Fragen jetzt zu?". Der Staatsanwalt äußerte dann zwar noch, was ihn interessieren würde: "Können Sie etwas dazu sagen, wie es zur Anmietung der Wohnung kam?". Verteidiger Klein erhob aber direkt seine Stimme und legte dar, dass aus seiner Sicht ein Beweiserhebungsverbot bestehe. Aufgrund des zeitlichen Ablaufs sei klar, dass man erst durch die abgehörten Telefongespräche auf den Zeugen gekommen sei. Weitere Fragen an K. zur Rolle des R. seien daher unzulässig.
Statt eine Antwort von K. und weitere Fragen der Staatsanwaltschaft zuzulassen, beschränkte das Gericht die Aussage zunächst auf die Umstände, die nicht im Zusammenhang mit der Telekommunikationsüberwachung zwischen R. und G. stehen. Harr gehe momentan davon aus, dass Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote vorliegen dürften und die Kammer gegebenenfalls bis zum nächsten Termin eine Entscheidung darüber treffe.
Für R., der den anderen Angeklagten für rechtliche Fragen zur Seite gestanden und die Organisation einer "Bunkerwohnung" übernommen haben soll, dürfte das zunächst nur Gutes bedeuten. Für ihn steht bei einer Verurteilung von über einem Jahr der Verlust seiner Anwaltszulassung und damit seine berufliche Existenz im Raum. Das Problem um die Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbote bleibt aber als Kernfrage im Prozess weiterhin offen. Zur Sache kann K. am Ende also nicht viel beitragen.
Kammer: Beweisaufnahme ist abgeschlossen
Die Kammer behielt sich aber vor, den Zeugen K. erneut zu laden und machte am Ende eine Ankündigung: Aus ihrer Sicht sei die Beweisaufnahme abgeschlossen.
Das ist angesichts der noch offen gebliebenen Fragen überraschend, zumal die erneute Befragung von Zeugen, insbesondere zur Beteiligung des R., noch aussteht. Das lässt vermuten, dass die Kammer der Auffassung des Verteidigers Klein folgt und ein Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot bezüglich der Erkenntnisse aus der Telekommunikationsüberwachung zwischen R. und G. sieht. Eine erneute Befragung der Zeugen wäre dann nicht mehr nötig und R. hat Aussicht auf den erhofften Freispruch – so wie es die Kammer bereits andeutete.
Vier angesetzte Verhandlungstermine stehen theoretisch noch aus. Der Vorsitzende kündigte jedoch an, dass sich die Verteidiger:innen auf die Schlussvorträge vorbereiten sollen. Möglicherweise findet das Verfahren also doch schneller ein Ende, als es die letzten Termine vermuten ließen.
Anne Baldauf ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Strafrecht, Rechtsphilosophie und Rechtstheorie und Doktorandin an der Martin-Luther-Universität Halle Wittenberg. Sie hat außerdem einen Masterabschluss im Studiengang Medizin-Ethik-Recht (M.mel.).
Zwölfter Verhandlungstag im Candylove-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 04.05.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51695 (abgerufen am: 04.12.2024 )
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