Im BMJ diskutierten hochrangige Politiker, Staatsanwälte und Vertreter von NGOs über die strafrechtliche Aufarbeitung des Ukraine-Krieges – auf nationaler und internationaler Ebene. Marco Buschmann richtete deutliche Worte nach Russland.
Vor genau zwei Jahren begann der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine. Ein Ende ist nicht in Sicht, der Krieg hat sich mittlerweile zu einem Abnutzungskrieg entwickelt. Mit Blick auf den Gaza-Krieg scheint die Situation in der Ukraine in der öffentlichen Wahrnehmung in den Hintergrund zu geraten. Dass das keinesfalls so ist, zeigt die internationale Konferenz "Völkerrechtsverbrechen sühnen – Kriegsverbrecher zur Verantwortung ziehen", die das Bundesministerium der Justiz (BMJ) am Freitag anlässlich des Jahrestages ausrichtete. "Die Ukraine ist nicht vergessen worden", betonte auch Angelika Schlunck, Staatssekretärin im BMJ.
Unter anderem Marco Buschmann, dessen polnischer Amtskollege Adam Bodnar, der ukrainische Generalstaatsanwalt Andriy Kostin und Lars Otte, Ständiger Vertreter des Generalbundesanwalts beim Bundesgerichtshof, diskutierten im BMJ über Ermittlungen zu Völkerrechtsverbrechen während des Ukrainekrieges. Wie kann man Kriegsverbrecher wie Wladimir Putin strafrechtlich verfolgen – durch nationale, aber auch internationale Gerichte?
Mehr als 120.000 Anzeigen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine
Ukrainischen Angaben zufolge sind bereits mehr als 120.000 Anzeigen zu möglichen Kriegsverbrechen registriert worden. Die strafrechtliche Verfolgung solcher Verbrechen ist aus Sicht von Generalstaatsanwalt Kostin ein wichtiger Faktor der Abschreckung. In Georgien, Syrien und früher in der Ukraine habe die russische Führung erlebt, dass sie trotz teilweise gut dokumentierter Verstöße gegen das Völkerstrafrecht straflos geblieben sei, so Kostin. Es gebe ein Momentum, die Täter zu bestrafen: "Unsere Aufgabe ist der Kampf in den Gerichtssälen, die der Soldaten der Kampf auf dem Schlachtfeld", stellte er klar.
Deutschland nimmt bei der Verfolgung von völkerstrafrechtlichen Verbrechen eine Vorreiterrolle ein. Wegen des sogenannten Weltrechtsprinzips kann die Bundesanwaltschaft auch Völkerstrafrechtstaten zu verfolgen, die im Ausland begangen wurden und gar keinen Bezug zu Deutschland aufweisen. So fand etwa das weltweit erste Strafverfahren gegen Mitglieder des Assad-Regimes vor dem Oberlandesgericht (OLG) Koblenz statt. Es verurteilte den Ex-Offizier Anwar R. zu lebenslanger Haft. Auch zahlreiche Mitglieder des Islamischen Staats wurden bereits in Deutschland verurteilt, einige Verfahren laufen noch.
Im Zusammenhang mit Kriegsverbrechen in der Ukraine hat Deutschland laut Buschmann bislang mehr als 500 Hinweise gesammelt und mehr als 160 Zeugen vernommen. Otte betonte, eine besondere Herausforderung sei das Sammeln von Beweismaterial, während die Kriegshandlungen noch laufen. Man müsse die Informationen aus verschiedenen Quellen – Zeugen, Nachrichtendienste, Zusammenarbeit mit lokalen NGOs – "wie ein Mosaik zusammensetzen". Wichtig sei auch, mit anderen Staaten zusammenzuarbeiten, um die notwendigen Informationen zusammenzutragen. Bis es tatsächlich zu Strafverfahren kommt, kann es aufgrund der umfangreichen Ermittlungen aber noch dauern. Das erste Strafverfahren gegen einen syrischen Offiziellen etwa sei zehn Jahre nach Kriegsbeginn eröffnet worden. "Wir sprechen nicht über einen Sprint, sondern über einen Marathon", sagte Otte.
Unterstützung für Opfer von Kriegsverbrechen
Bei der Konferenz betonte Justizminister Bodnar im Namen Polens die Unterstützung der Ukraine – sowohl politisch als auch militärisch. Die Ukraine kämpfe nicht nur für ihre eigene Freiheit, sondern für die Freiheit Europas. "Wir müssen einig sein", mahnte er. Auf nationaler Ebene in Polen sei eine Reform des einschlägigen Rechts nötig, insbesondere um die Opfer von Kriegsverbrechen besser zu unterstützen.
Genau dies ist auch das Ziel der geplanten Reform des Völkerstrafrechts. Neben der Schließung von Strafbarkeitslücken sollen Opfer von Kriegsverbrechen eine aktive Rolle im Strafverfahren erhalten, so Minister Buschmann. Der Regierungsentwurf sieht unter anderem vor, die Nebenklagebefugnis nach § 395 Strafprozessordnung (StPO) auf Opfer von Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) zu erweitern. Ende November 2023 hat der Bundestag ihn in erster Lesung beraten, jetzt liegt der Entwurf beim federführenden Rechtsausschuss.
Sondertribunal für das Verbrechen der Aggression
Neben Bemühungen auf nationaler Ebene ging es auch um die Strafverfolgung durch den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH). Das grundsätzliche Problem: Weder die Ukraine noch Russland haben das Römische Statut des IStGH ratifiziert. Die Ukraine hat allerdings im Zusammenhang mit der Besetzung der Krim in zwei Erklärungen aus den Jahren 2014 und 2015 die Gerichtsbarkeit des IStGH nach Art. 12 Abs. 3 des Römischen Statuts anerkannt. Diese Erklärungen gelten für mögliche Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die seit dem 21. November 2013 auf ihrem Hoheitsgebiet verübt wurden – und somit auch für den aktuellen Ukraine-Krieg.
Der IStGH hat daher schon zu Beginn des Krieges Ermittlungen eingeleitet und im vergangenen Jahr einen Haftbefehl u.a. gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin erlassen. Aber schon aus tatsächlichen Gründen sind Verurteilungen hier erst einmal nicht zu erwarten: der IStGH kann die Haftbefehle nicht selbst vollstrecken, Russland wird niemanden ausliefern.
Auf der Konferenz kam daher die seit längerem diskutierte Möglichkeit eines Sondertribunals für das Verbrechen der Aggression zur Sprache. Auch die Ukraine fordert ein solches Tribunal. Oleksandra Matviichuk, Leiterin der ukrainischen NGO Center for Civil Liberties (CCL) und Friedensnobelpreisträgerin des Jahres 2022, richtete einen Appell an die Staaten: "Wenn wir solche Verbrechen wie die von Putin in Zukunft verhindern wollen, müssen wir die Staaten und ihre Verantwortlichen bestrafen. Aber dafür brauchen wir internationale Unterstützung", so Matviichuk. Auch die Bundesregierung unterstützt diesen Vorschlag.
Für die Einrichtung eines solchen Sondergerichts bestehen verschiedene Möglichkeiten. Eine Möglichkeit wäre eine Anbindung an die UN, aber – wegen des russischen Vetorechts im Sicherheitsrat – durch eine Initiative der UN-Generalversammlung. Eine andere Möglichkeit wäre eine ähnliche Konstruktion mit der EU oder dem Europarat. Auch in diesem Fall müsste ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen der Ukraine und der EU bzw. dem Europarat geschlossen werden.
Einigung auf Sondertribunal noch in diesem Jahr?
Generalstaatsanwalt Kostin geht davon aus, dass der organisatorische Rahmen für dieses Sondertribunal noch in diesem Jahr festgelegt wird: "Ich hoffe, dass wir uns in diesem Jahr auf die Struktur und die Aufgaben des Gerichtshofs einigen können", hatte Kostin im Vorfeld gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland gesagt. Dann werde es möglich sein, "die vorbereitenden Arbeiten für ein Gerichtsverfahren zu konkretisieren", so Kostin.
Es sei wichtig, dass russische Offizielle – insbesondere Präsident Putin – für die Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen werden. "Es gibt kein einziges Kriegsverbrechen, das die Russen in der Ukraine nicht begangen hätten: Die Rede ist von Mord an Zivilisten, Vergewaltigung, Folter, illegaler Inhaftierung, Misshandlung, Plünderung, Entführung von Kindern, Zerstörung der Umwelt", äußerte sich Kostin deutlich.
Ebenso deutlich wurde Justizminister Buschmann: Von der Konferenz gehe ein klares Signal aus, "dass wir fest an der Seite der Ukraine stehen" – sowohl was den militärischen Konflikt angehe als auch die strafrechtliche Verfolgung. "Kein Kriegsverbrecher kann sich sicher fühlen", so Buschmann.
Mit Materialien der dpa
Zweiter Jahrestag der russischen Invasion: . In: Legal Tribune Online, 24.02.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53961 (abgerufen am: 14.12.2024 )
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