Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug: Jetzt werden den Psychiatern die Hände gebunden

Das BVerfG hat die Grenzen der psychiatrisch-medikamentösen Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug abgesteckt: Sie ist zwar nicht grundsätzlich verboten, unterliegt aber strengen inhaltlichen und formellen Vorgaben. Auch Gesellschaft und Rechtsstaat können damit gut leben, meint Helmut Pollähne. Die Landesgesetze für die forensische Psychiatrie aber müssen geändert werden.

Nach geltender Rechtslage dürfen Patienten im Maßregelvollzug grundsätzlich nicht gegen ihren Willen medikamentös behandelt werden.  Aus Anlass der Verfassungsbeschwerde eines in Rheinland-Pfalz Untergebrachten hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am Freitag in einer lang erwarteten Grundsatzentscheidung erstmals die Grenzen einer solchen Zwangsbehandlung abgesteckt. Die Verfassungsrichter arbeiten detailliert heraus, welche Anforderungen die Landesgesetze zum Maßregelvollzug erfüllen müssen, um die Grundrechte der untergebrachten Patienten zu wahren.

Die Rechtsgrundlage im rheinland-pfälzischen Maßregelvollzugsgesetz (MVollzG) wurde für unvereinbar mit dem Grundgesetz (GG) und deshalb für nichtig erklärt. Für vergleichbare Vorschriften in anderen Landesgesetzen gilt letztlich dasselbe.

Der Beschwerdeführer vor dem BVerfG befindet sich inzwischen seit mehr als 11 Jahren im Maßregelvollzug, weil er im Zustand der Schuldunfähigkeit aufgrund einer wahnhaften Störung versucht hatte, Frau und Tochter zu erschlagen. Die anfängliche Behandlung mit einem Neuroleptikum brach er wegen der Nebenwirkungen nach wenigen Monaten ab.

Offene Fragen in Rheinland-Pfalz

Jahr für Jahr bestätigte das Gericht die Fortdauer der Freiheitsentziehung, weil dem Patienten gutachterlich bestätigt wurde, dass er weiterhin unter einer anhaltenden paranoiden Psychose leide. Ärzte und Gutachter waren sich darüber einig, dass nur die Fortsetzung der medikamentösen Behandlung den psychischen Zustand des Patienten verbessern und ihm einen Weg in die Freiheit weisen könne. Bis heute vertreten die Sachverständigen einhellig diese Auffassung.

Im September 2006 kündigte die Klinik dem Straftäter an, man wolle von der im MVollzG des Landes eingeräumten Möglichkeit Gebrauch machen und ihn auch ohne seine Einwilligung medikamentös behandeln. Das nach ärztlicher Auffassung geeignete Neuroleptikum solle wenn nötig gegen seinen Willen intramuskulär gespritzt werden.

Hiergegen wandte sich der Patient mit Beschwerden durch alle Instanzen. Aber das zuständige Landgericht in Landau wie auch das Oberlandesgericht in Zweibrücken erklärten die angekündigte Zwangsbehandlung unter Verweis auf das Landesrecht für zulässig. Die Instanzrichter teilten die vorgetragenen verfassungs- und menschenrechtlichen Bedenken nicht. Zulässigkeit und Grenzen der psychiatrischen Zwangsbehandlung im Allgemeinen und der medikamentösen Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug im Besonderen sind in Rechtsprechung und juristischer Fachliteratur lebhaft umstritten.

Antworten aus Karlsruhe: Zwangsbehandlung nur ausnahmsweise zulässig

Erst in Karlsruhe ist der Patient zu seinem Recht gekommen. Mit der am Freitag veröffentlichten Grundsatzentscheidung hat der 2. Senat die Gerichtsbeschlüsse zur Rechtfertigung der Zwangsbehandlung wegen Verletzung von dessen Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) aufgehoben (BVerfG, Beschl. v. 23.03.2011, Az. 2 BvR 882/09). Die den Beschlüssen zugrunde liegende Vorschrift im Rheinland-Pfälzischen MVollzG (§ 6 Abs. 1 Satz 2) wurde wegen Unvereinbarkeit mit dem GG für nichtig erklärt.

Das BVerfG hält die Zwangsbehandlung zur Erreichung des Vollzugsziels in der forensischen Psychiatrie nicht grundsätzlich für unzulässig. Die Richter formulieren aber strenge Regeln, die in den Landesgesetzen erst noch verankert werden müssten. Dies sei geboten, weil die medikamentöse Zwangsbehandlung ein sehr schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit sei.

Zunächst einmal wäre eine solche Zwangsbehandlung überhaupt nur zulässig, wenn der Untergebrachte "krankheitsbedingt zur Einsicht in die Behandlungsbedürftigkeit oder zum Handeln gemäß dieser Einsicht nicht fähig" sei (Leitsatz 2). Ob dies so ist, dürften letztlich aber nicht die Psychiater entscheiden, die ihn gegen seinen Willen behandeln wollen.

Hausaufgaben für die Länder - und wie es weiter geht

Vielmehr bedürfe es einerseits einer unabhängigen Kontrolle, deren Ausgestaltung aber den Landesgesetzgebern überlassen sei. Andererseits sei es auch erforderlich, eine Zwangsbehandlung, anzukündigen, damit der Patient effektiven Rechtsschutz vor Gericht suchen kann.

Außerdem müssten die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit – Geeignetheit, Erforderlichkeit und Angemessenheit – streng beachtet werden, und es bedürfe verfahrensrechtlicher Vorkehrungen, um die Rechte des Patienten zu schützen.

Das BVerfG hat den Bundesländern also Hausaufgaben aufgegeben. Bis die Länder diese gemacht haben, bleiben Zwangsbehandlungen im Maßregelvollzug unzulässig. Damit können die Gesellschaft und der Rechtsstaat gut leben – und die Patienten allemal.

In welchem Umfang dem Staat das Recht zukommen soll, uneinsichtigen Patienten gegen ihren Willen, aber in ihrem wohlverstandenen Interesse medikamentös zur Freiheit zu verhelfen, dürfte Gegenstand lebhafter Diskussionen bleiben. Die Grundsatzentscheidung aus Karlsruhe hat dafür jedenfalls einen begrüßenswerten Beitrag geliefert.

Der Autor Dr. iur. habil. Helmut Pollähne ist Privatdozent am Institut für Kriminalpolitik und Rechtsanwalt in Bremen. Er ist Verfasser zahlreicher Veröffentlichungen auf dem Gebiet des Maßregelvollzugsrechts und verantwortlicher Redakteur der Fachzeitschrift "Recht & Psychiatrie".

Zitiervorschlag

Helmut Pollähne, Zwangsbehandlung im Maßregelvollzug: . In: Legal Tribune Online, 15.04.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3058 (abgerufen am: 09.10.2024 )

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