Zum Tode von Gerhart Baum: Ein großer Mensch und Demo­krat

von Volker Beck

16.02.2025

FDP-Legende Gerhart Baum ist im Alter von 92 Jahren verstorben. Volker Beck schaut auf das politische Leben des letzten großen Liberalen zurück. Ein Verteidiger der Bürgerrechte, der niemandem nach dem Mund redete.

Gerhart Baum hat uns verlassen. Er starb in der Nacht zum Samstag, den 15. Februar 2025, in Köln. Für die ganze Republik und für den Liberalismus, weit über seine Partei hinaus, ist sein Tod, das Verstummen seiner Stimme, ein großer Verlust. Köln verliert einen seiner Größten.


Gerhart Baum begann seine politische Karriere in der Kölner FDP, bei den Jungdemokraten und im Rat der Stadt Köln. Geprägt hatte ihn die Erfahrung des Krieges und des Nationalsozialismus, ganz entscheidend auch das Fortwirken der Nazis in der frühen Bundesrepublik: Als er 1954 in die nordrhein-westfälische FDP eintrat, traf er dort auf braune Netzwerke und alte Nazis. Gegen diesen Einfluss hatte er sich politisch engagiert, hier hat er an der politischen Veränderung seiner eigenen Partei erfolgreich mitgewirkt. Für ihn ein Beispiel wie demokratisches Engagement Veränderung bewirken kann.

Gerhart Baum auf dem FDP-Parteitag in Mannheim im Jahre 1987, picture-alliance / Sven Simon

1972 wurde er einer ihrer Bundestagsabgeordneten und sogleich auch Staatssekretär im Bundesinnenministerium. 1978 wurde er von Bundeskanzler Helmut Schmidt zum Bundesminister des Innern ernannt. Im Innenministerium war er auch verantwortlich für Daten- und Umweltschutz. Dieses Amt übte er bis zum Ende der sozialliberalen Koalition aus. 

Mann der Sicherheit und Freiheit 

Seine Zeit im Bundesinnenministerium ist die Zeit des Deutschen Herbstes. Seine Aufgabe ist der Kampf gegen den Terror der RAF, die Repression. Aber dabei bleibt er nicht stehen. Er wollte die Beweggründe verstehen, betreibt Ursachenforschung und sucht den Dialog mit dem Umfeld der Attentäter. Baum folgte der Erkenntnis: Gewalt wird gedacht, bevor sie real wird. Berühmt ist sein Gespräch mit dem RAF-Mitglied Horst Mahler in den Redaktionsräumen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel. 

Dies entsprang seiner Überzeugung: Es braucht Repression, aber da darf man nicht stehen bleiben. Man muss Extremismus auch an seinen Wurzeln bekämpfen. In den 80er-Jahren stellte er sich der Diskussion mit der Dialoginitiative von Antje Vollmer und Christa Nickels: Er hatte die Größe, die eigene Politik und ihre Grundannahmen der Terrorismusbekämpfung der 70er-Jahre im Rückblick in Frage zu stellen.


Baum war also durchaus ein Mann der Sicherheit. Aber er wollte als gelernter Jungdemokrat nicht, dass die Freiheit für die Sicherheit stirbt. Für ihn war klar: "Die Täter zu verfolgen ist nicht das Problem, sondern Unbeteiligte ihrer Bürgerrechte zu berauben." 

Dauergast in Karlsruhe

Wenn er Sicherheitsmaßnahmen verfassungsrechtlich nach seiner Zeit im Bundestag immer wieder mit Klagen vor dem Bundesverfassungsgericht herausforderte, dann entsprang dies seiner tiefen Überzeugung von der Richtigkeit der rechtlichen Ordnung des Grundgesetzes: Die Grundrechte sind Abwehrrechte gegen den Staat. Er sagte: "Wenn wir die Freiheit einschränken, müssen wir sie ernst nehmen und müssen uns fragen: Ist das wirklich notwendig? Ist das effizient? Und welche anderen Grundrechte verletzen wir?"

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Burkhard Hirsch und Gerhart Baum bei der BVerfG-Verhandlung gegen den "großen Lauschangriff" 2003 picture-alliance / dpa | Uli Deck

Meine erste Begegnung mit Gerhart Baum datiert zurück ins Jahr 1990. Ich, damals ein politisches Greenhorn, traf auf den Podien in unserem Wahlkreis auf ihn - einen erfahrenen Staatsmann und versierten Politiker. Zunächst also Konkurrenten im selben Wahlkreis, aber dann doch vereint im Kampf für Freiheit und Bürgerrechte. Rückblickend erkannte ich erst, welch großes Maß an Nachsicht, Geduld und Respekt Gerhart Baum meiner damaligen jugendlichen Leichtfüßigkeit entgegenbrachte.

In vielfältigen Funktionen setzte er sich auf internationaler Ebene für Menschenrechte ein. Gerhart Baum engagierte sich auch für die Opfer des Nationalsozialismus, für Israel und gegen Antisemitismus. Als Otto Graf Lambsdorff und auch ich in Zeiten von Rot-Grün mit der deutschen Wirtschaft, der Bundesregierung und der amerikanischen Regierung um eine Entschädigung der Sklaven- und Zwangsarbeiter des Dritten Reiches rangen, war er einer der engagiertesten Opferanwälte. 2022 kurz vor dem 50. Jahrestag des Terroraktes erstritt er als Anwalt für die Angehörigen des Münchner Olympia-Attentats eine Entschädigungsregelung.

“Er redete niemandem nach dem Mund”

Er war stets ein kritischer Geist, dem geistiger Opportunismus fremd war. Er blieb seiner FDP treu, auch wenn er mit der eher wirtschaftsliberalen Engführung nach der Wende zur CDU immer haderte. Er war ein echter Rechtsstaatsliberaler und scheute sich nicht auch den Kurs seiner Partei zu kritisieren, zuletzt bei Lindners Lob für Musk und Milei, oder auf sie einzuwirken, um sie für ein konsequentes Eintreten für Bürgerrechte (zurück) zu gewinnen. Er forderte von seiner Partei immer wieder Diskurs. 

Als "freischwebender Liberaler" wollte er sich in seiner liberalen Partei immer wieder erkennen. Er profilierte sich nie auf Kosten seiner Partei über die Differenz zu ihr, wie dies manche andere Ehemaligen der Parteipolitik nach ihrem Ausscheiden aus der aktiven Politik zuweilen tun. Er hatte es einfach gar nicht nötig. Das mag mancher Abgeordneter und Parteivorsitzender nicht immer so gesehen haben. Baum war sicher "streitbar und umstritten", wie er selbst über sich sagte. Aber er kämpfte immer um und für die Zukunft des Liberalismus, auch um die Identität seiner liberalen Partei. Gerhart Baum war nicht einer, der sich wohlfeilen Applaus abholte, er redete niemanden nach dem Mund. Er war kein Mann der Bubbles, sondern ein Freund der Auseinandersetzung. Wo es schwierig wurde, stritt er sich und stahl sich nicht heraus.


Gerhart Baum bei der Bundespressekonferenz 2022 picture alliance / photothek | Thomas Trutschel/photothek.de

Als im Dezember 2023 der Kölner Musiker-Verein ‚Arsch huh, Zäng ussenander’ angesichts des Krieges im Nahen Osten zu einer Friedenskundgebung mit Musik und Wortbeiträgen aufrief und einen Aufruf, der den demokratischen Staat Israel mit der Terrororganisation Hamas semantisch auf eine Stufe stellte, veröffentlichte, kritisierten dies die Jüdische Gemeinde und die Deutsch-Israelische Gesellschaft massiv. Gerhart Baum entschied sich dennoch hinzugehen, weil er ein Signal gegen den aufflammenden Antisemitismus setzen wollte. Den Veranstaltern der Kundgebung schrieb er ins Stammbuch, dass deren Beidseiteritis fehl am Platze war. Ihm fehle „die überzeugende Solidarität mit Israel”. Trotz aller Kritik, die er selbst an Netanjahu äußerte, stellte er fest: „Die Hamas ist der Angreifer und der Staat Israel nimmt das in der UN-Charta verbriefte Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch – so wie die Ukraine. Davon ist im Aufruf nicht die Rede.” Wie im Umgang mit seiner eigenen Partei zeigte sich hier seine unbedingte Orientierung am Recht und sein Anspruch des Diskurses.


Engagiert bis zu den letzten Tagen

Die wehrhafte Demokratie, das war sein Verständnis von Demokratie, die Feinde der Demokratie, das war in seiner letzten großen Rede vor dem Bundestag seine große Sorge.
In seiner Rede zum 75. Jahrestag der ersten konstituierenden Sitzung des Deutschen Bundestages erinnerte Gerhart Baum an Worte von Carlo Schmid und sagte in seinen eigenen Worten: "Wir haben euch ein ganz freies Grundgesetz gegeben mit vielen Möglichkeiten. Aber eines müsst ihr im Kopf haben: Wenn diese Freiheit benutzt wird, um sie abzuschaffen, müsst ihr reagieren. - Und das müssen wir jetzt tun."
Diese Rede war eine besondere Leistung. Sie ist sein Vermächtnis. Wer ihn kannte, merkte, wieviel Kraft sie ihn kostete. Bis in die letzten Tage blieb Gerhart Baum engagiert.

Bei der Verteidigung von Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaat wird seine Stimme künftig fehlen. Aber: Wenn wir denjenigen entgegentreten, die die Menschenwürde und die elementare Rechtsgleichheit aller, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit angreifen und aushöhlen wollen, dann handeln wir in seinem Sinne und bewahren sein Vermächtnis.

Der Autor Volker Beck war von 1994 bis 2017 Mitglied des Deutschen Bundestages (Bündnis90/Die Grünen). Beck war zeitweise rechtspolitischer, menschenrechtspolitischer, innenpolitischer, religionspolitischer sowie migrationspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen. Seit 2022 ist er Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft.

Zitiervorschlag

Zum Tode von Gerhart Baum: . In: Legal Tribune Online, 16.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56608 (abgerufen am: 17.03.2025 )

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