Im NSU-Prozess stellen abwechselnd Pflichtverteidiger und Angeklagte Anträge auf Entlassung aus dem Mandat. Doch aus guten Gründen ist es nicht einfach, eine Pflichtverteidigung niederzulegen, erklärt Eren Basar.
Der Wechsel eines Verteidigers in der laufenden Hauptverhandlung ist bei größeren Verfahren keine Seltenheit – das Kachelmann-Verfahren ist nur ein prominentes Beispiel, auch im Nürburgringverfahren kam es (allerdings aus anderen Gründen) zu einem Wechsel in der Riege der Verteidiger. Meinungsverschiedenheiten zwischen Anwalt und Mandant gibt es genauso häufig wie zwischen anderen (Vertrags-)Partnern. Manchmal hält dies die Beziehung aus. Tut sie es nicht oder nicht mehr, muss der Anwalt richtigerweise das Mandat niederlegen bzw. das Gericht um Aufhebung seiner Bestellung ersuchen.
Eine direkte gesetzliche Regelung hierfür findet sich in der Strafprozessordnung (StPO) nicht. In § 143 StPO ist nur geregelt, dass die Bestellung zurückgenommen werden muss, wenn ein Wahlverteidiger die Verteidigung übernimmt. Darüber hinaus kann die "Entpflichtung" des Pflichtverteidigers nach herrschender Meinung und der Praxis der Gerichte nur aus wichtigem Grund vorgenommen werden. Wenn das Verfahren bereits weit vorangeschritten ist, muss das Gericht im Zweifel mit neuem Verteidiger neu verhandeln. Der Schaden ist in den meisten Fällen nicht allzu groß. Im NSU-Prozess liegen die Dinge anders.
Das Recht, sich zu verteidigen bzw. einen Verteidiger mit dieser Aufgabe zu betrauen, gehört zum unverfügbaren Kernbestand eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens. Dieser Grundsatz wird als Ausgestaltung des Gebots der fairen Verfahrensführung gesehen und dem Rechtsstaatsprinzip selbst entnommen. Dies ist ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. beispielsweise den Beschluss vom 13. November 2005, Az. 2 BvR 792/05 mit Verweis auf Beschl. v. 26.08.2008, Az. 2 BvR 335/08; Beschl. v. 08.10.1985, Az. 2 BvR 1150/80, 1504/82).
In Fällen, in denen das Gesetz davon ausgeht, dass die Verteidigung unverzichtbar ist (§ 140 StPO), kann sich der Angeklagte der Bestellung eines Anwalts – notfalls auch gegen seinen Willen – nicht entziehen. Wenn er keinen eigenen Verteidiger beauftragt, wird das Gericht einen beiordnen: den Pflichtverteidiger.
Wer es macht, muss es gut machen
Wer angesichts dessen die Verteidigung eines Angeklagten übernimmt, hat nach allgemeiner Ansicht auch die Pflicht, diese Verteidigung mit Leben zu füllen und zwar unabhängig davon, ob er dies als Wahl- oder Pflichtverteidiger tut. Das bedeutet nicht zwingend, dass eine Flut von Erklärungen abgegeben oder das Gericht mit Anträgen zugeschüttet werden muss. Lebendige Verteidigung kann gelegentlich nach außen passiv wirken, z.B. schlicht indem das Schweigerecht des Angeklagten begleitet wird. Die Basis ist allerdings immer ein mit dem Mandanten abgestimmtes Konzept, das davon genährt wird, dass der Mandant seine eigenen Wahrnehmungen und sein Wissen um die den Fall betreffenden Fragen offenbart. Dazu ist Vertrauen notwendig.
Dieser einfach klingende Satz ist für so manchen Angeklagten ein echtes Hindernis. Auf ihn prallt seitens der Justiz und auch seitens der Öffentlichkeit bei Anklageerhebung große Skepsis und nicht selten Häme. Im Münchener Handbuch der Strafverteidigung wird der Kern des Verteidigungsverhältnisses daher idealerweise als "Insel des Vertrauens" in einem vom Misstrauen geprägten Umfeld bezeichnet. Auch hier sollte man die "reine Lehre" nicht überstrapazieren: Selbstverständlich müssen Verteidigung und Mandant nicht in allen Punkten einer Meinung sein; im Kern aber muss die Beziehung intakt sein. Wer seinem Anwalt nicht mehr vertraut oder vertrauen kann – womöglich gar nicht mehr mit ihm spricht –, kann zu seiner eigenen Verteidigung kaum mehr etwas beitragen.
NSU-Prozess: . In: Legal Tribune Online, 22.07.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16321 (abgerufen am: 06.10.2024 )
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