Zehn Jahre Guantánamo Bay: Waterboarding ist kein Freizeitspaß

Am 11. Januar 2002 wurden die ersten Gefangenen nach Guantánamo verschleppt. Der US-Marinestützpunkt ist seither Synonym für eine Weltmacht, die im Krieg gegen den Terror das Völkerrecht nur zu beachten scheint, wenn es zweckmäßig ist. Der Jahrestag ist daher Anlass für die nachdrückliche Forderung, Guantánamo endgültig zu schließen, meint Michael Lysander Fremuth.

Die Weltgemeinschaft und die Vereinten Nationen fordern sie seit Langem, Obama hat sie eigentlich schon angeordnet und selbst Bush weckte noch während seiner Amtszeit entsprechende Hoffnungen darauf: die Schließung Guantánamos. Dort sind jedoch noch immer mehr als 170 Menschen inhaftiert und erst Ende Dezember hat der US-Präsident ein Gesetz unterzeichnet, das das System Guantánamo auf unbestimmte Zeit fortschreibt; den Schritt hatte Obama bereits Anfang 2011 bekannt gegeben.

Das Gefangenenlager ist freilich nicht zu denken ohne die erschütternden Anschläge des 11. September 2001. Der in Reaktion darauf erklärte "global war on terror" kann aber nur gewonnen werden, wenn das Völkerrecht und insbesondere die Menschenrechte beachtet werden. Die USA stehen dabei auf dem Standpunkt, dass die internationalen Menschenrechtsverträge außerhalb des eigenen Hoheitsgebietes nicht anwendbar sind. Wie praktisch ist es da, dass Guantánamo auf Kuba liegt.

Auch das Humanitäre Völkerrecht, das in bewaffneten Konflikten ein Minimum an Menschlichkeit garantiert, sollte nach dem Willen der Vereinigten Staaten zunächst nicht oder nur eingeschränkt gelten: Es sei für Kriege zwischen Staaten gedacht, nicht für den Kampf gegen den Terrorismus, erklärten manche Vertreter der Bush-Regierung. Man etikettierte Mitglieder der Taliban und Al-Qaidas daher einfach als "unlawful combatants" und sperrte sie in Guantánamo ein. Sie sollten legitimes Angriffsziel sein, ohne dabei den Schutz als Kriegsgefangene zu genießen.

Das Völkerrecht gilt auch im Anti-Terror-Kampf

Dies war unzulässig, was auch US-Gerichte erkannten. Denn das Kriegsrecht kennt weder ungesetzliche Kombattanten noch rechtsfreie Räume. Anwendung findet es allerdings nur bei bewaffneten Konflikten, wie dem Militäreinsatz gegen die Taliban in Afghanistan. Der "war on terror" selbst ist kein Krieg, in dem Kriegsvölkerrecht anwendbar wäre.

Dafür genießen Terror-Verdächtige außerhalb eines konkreten und andauernden bewaffneten Konflikts aber den umfassenden Schutz der allgemeinen Menschenrechte. Die Menschenrechtsverträge gelten dabei nach überzeugender Ansicht auch außerhalb des eigenen Hoheitsgebiets. Denn wenn Menschenrechte den Einzelnen vor unberechtigter Hoheitsgewalt schützen sollen, kann es nicht darauf ankommen, wo diese Gewalt wirkt.

Außerdem gelten zentrale Menschenrechte und Regeln des Kriegsvölkerrechts ungeachtet ihrer vertraglichen Kodifizierung kraft Gewohnheitsrecht – manche von ihnen, wie das Folterverbot, sogar absolut und zwingend. Ihnen entkommt kein Staat – nirgends. Der Kampf gegen den Terrorismus, so wichtig er ist, rechtfertigt keine Ausnahme.

Menschenrechtsverletzungen im System Guantánamo

Seit dem Ausbau Guantánamos zu einem Internierungslager sind etliche Völkerrechtsverstöße dokumentiert, von denen insbesondere die Foltervorwürfe eine breitere Öffentlichkeit bewegt haben. Glaubhaft wurden Schlafentzug, sexuelle Erniedrigung, erzwungene Nacktheit, Schläge sowie die ständige Beleuchtung und Beschallung der Gefangenen nebst anderen Formen seelischer und körperlicher Misshandlungen berichtet. Diese Praktiken stellen eine schwere Verletzung der Menschenrechte, teilweise sogar der Menschenwürde dar. Sie sind auch nach dem Kriegsrecht unter keinen Umständen zu rechtfertigen, sondern ausnahmslos verboten.

Zwar gibt es Verbesserungen, etwa dass Obama 2009 jede Folteranwendung untersagt hat. Sie reichen aber nicht aus: Ein System wie Guantánamo, basierend auf schwacher Kontrolle, einer angespannten Stimmung bei räumlicher Distanz und Abgeschiedenheit, provoziert derartige Verstöße.

Zudem hat die Mehrheit der republikanischen Präsidentschaftskandidaten bereits erklärt, am so genannten Waterboarding festhalten zu wollen. Unter ihnen auch Mitt Romney, der die ersten beiden Vorwahlen für sich entscheiden konnte. Was unter der Chiffre "erweiterte Verhörmethoden" geführt wird und nach Wassersport im Freizeitpark klingt, stellt aber als simuliertes Ertrinken eindeutig unzulässige Folter dar.

Menschenrechtsverletzungen geschehen aber auch unterhalb dieser Schwelle: Schon eine Inhaftierung auf unbestimmte Zeit und ohne Anklage ist etwa durch den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die Genfer Konventionen verboten. Selbst laut Kriegsvölkerrecht müssen Internierte nach Ende der aktiven Feindseligkeiten freigelassen oder vor Gericht gestellt werden. Dabei haben Betroffene das Recht, sich gegen den Freiheitsentzug zu wehren. Ein Gericht muss dann auf gesetzlicher Grundlage im Rahmen eines fairen Verfahrens über die Fortdauer der Haft entscheiden.

Keine fairen Verfahren für die Gefangenen auf Guantánamo

Auch hier liegt noch einiges im Argen: Die für die Gefangenen auf Guantánamo extra eingesetzten Militärtribunale garantieren auch in Reaktion auf die durch ein Urteil des US-Supreme Court aus dem Jahr 2006 erzwungen Verbesserungen noch keine unabhängige und unparteiische Entscheidung. Sie bleiben Sondergerichte, deren Akteure zu eng mit Militär und Regierung verbunden sind. Da Prozesse auch geheim ablaufen und die Akteneinsicht sowie sonstige Verteidigungsmöglichkeiten der Betroffenen erheblich beschränkt werden können, bestehen zudem deutliche Zweifel, dass die Verfahren als fair bezeichnet werden können.

Immerhin hat der US-Supreme Court 2004 und 2008 den Weg zu einer Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Haft durch ordentliche Bundesgerichte eröffnet ("habeas corpus-petition"). Die Verfahren dauern jedoch unangemessen lange und es bestehen weiterhin Unzulänglichkeiten. So ist das allein zuständige Bundesberufungsgericht in Washington DC weitgehend auf eine Rechtskontrolle der Entscheidung der Militärtribunale beschränkt. Es hat zudem Gefangene alleine aufgrund ihrer unterstellten Zugehörigkeit zu Al Qaida in Haft gelassen, ohne Nachweis, dass sie tatsächlich eine Bedrohung darstellen.

Guantanámo muss geschlossen werden - und das zügig

Wirkliche Abhilfe ist deshalb nicht geschaffen. Selbst ein Freispruch kann ergebnislos bleiben, weil sich die US-Regierung vorbehält, Personen in Haft zu halten, wenn sich kein Land findet, das die Betreffenden aufnimmt. Da ihnen eine Einreise in die USA verwehrt wird, bleiben so mitunter auch Unschuldige in Haft.

Neben der längst überfälligen Schließung Guantánamos, muss unter amerikanischen Politikern und in Teilen der amerikanischen Bevölkerung deshalb ein grundlegender Sinneswandel stattfinden. In einer zunehmend globalisierten und interdependenten Welt bedarf es der Achtung des Völkerrechts und der Menschenrechte. Die Supermacht USA sollte dabei eine Vorreiterrolle einnehmen.

Nur so lässt sich eine Ordnung schaffen, die allen Menschen dient, die Frieden und Sicherheit dauerhaft gewährleisten kann. Und schließlich könnten so die USA, die sich schon in der Verfassungspräambel zur Verwirklichung der Gerechtigkeit bekennen, weltweit glaubhafter für Demokratie und Menschenrechte eintreten.

Dr. Michael Lysander Fremuth forscht und lehrt als Akademischer Rat an der Universität zu Köln, er ist aktiv bei Amnesty International und der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen.

 

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Zitiervorschlag

Privatdozent Dr. Michael Lysander Fremuth, Zehn Jahre Guantánamo Bay: . In: Legal Tribune Online, 11.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5278 (abgerufen am: 03.12.2024 )

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