Nur ein paar Tage vor dem Parteitag am nächsten Wochenende hat die CDU-Spitze mit ihrem Vorstoß zu einer verbindlichen Lohnuntergrenze die Debatte um den Mindestlohn neu entfacht. Sie ist vor allem politisch brisant. Vermeintliche rechtliche Argumente führen dagegen ins Leere, meint André Niedostadek.
Die Überraschung war gelungen: Mit ihrer Forderung nach einer verbindlichen Lohnuntergrenze für tariflose Branchen schien die CDU-Spitze im letzten Monat eine Kehrtwende in Sachen Mindestlohn zu vollziehen. Damit sorgte sie nicht nur innerhalb der eigenen Partei für manches Erstaunen, sondern auch bei Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite.
Am Wochenende steht auf dem Parteitag in Leipzig ein entsprechender Antrag zur Abstimmung. Im Wesentlichen geht es dabei um ein moderates Modell für ein rechtlich zulässiges Arbeitsentgelt. Die CDU scheint in dieser Frage zwar selbst noch gespalten. Man wird aber wohl kein Orakel bemühen müssen, um zu prophezeien, dass der Parteitag die entsprechenden Weichen stellen wird.
Kommt damit der Mindestlohn oder – wie es im CDU-Vorschlag heißt – die Lohnuntergrenze? Das ist zwar wahrscheinlich, aber nicht unbedingt sicher. Denn dazu ist das Thema parteiübergreifend zu sehr ein politischer Spielball.
Befürworter wie Kritiker bringen auch schon ihre Geschütze in Stellung. Bestückt sind die jedoch im Wesentlichen mit altbekannten Argumenten: Während die Befürworter herausstellen, dass Mindestlöhne der Armut vorbeugen und die Sozialkassen entlasten, sehen die Gegner darin einen Sargnagel für Arbeitsplätze. Vor allem von kritischen Stimmen werden dabei immer wieder auch rechtliche Argumente ins Feld geführt. Diese könnten jetzt jedoch weitgehend ins Leere laufen - jedenfalls wenn man sich das aktuell diskutierte Modell etwas genauer ansieht.
Lösung nach britischem Vorbild?
Soweit ersichtlich soll es bei dem Vorstoß der CDU nicht um einen vom Gesetzgeber diktierten einheitlichen Mindestlohn gehen mit Fixbeträgen für alle Branchen. Insofern unterscheidet sich der Vorschlag von den Forderungen der Oppositionsparteien.
Die Christdemokraten denken eher an ein Modell nach britischem Vorbild. Dort erarbeitet schon seit Ende der 1990-er Jahre eine aus Arbeitgebern, Gewerkschaften und Wissenschaftlern besetzte "Low Pay Comission" jährlich Vorschläge für eine Mindestlohngrenze.
Hierzulande soll nach den Vorstellungen der CDU künftig eine mit Vertretern von Arbeitgeber- und Arbeitnehmerseite besetzte Kommission ebenfalls eine Lohnuntergrenze ausarbeiten, die dann für verbindlich erklärt werden soll. Ob es einen Orientierungsrahmen geben wird, der sich an den Regelungen für die Zeitarbeit anlehnt, scheint noch offen zu sein. Bei der Zeitarbeit bewegt sich der Mindestlohn zwischen 7,01 Euro (Ost) und 7,89 Euro (West). Gerade bei diesem letzten Punkt könnte der Teufel aber noch im Detail liegen.
Ein Modell nach britischem Vorbild hatte im Übrigen auch schon der 68. Juristentag favorisiert, der sich im vergangenen Jahr gleichfalls mit Fragen des gesetzlichen Mindestlohns befasst hatte. Das britische Kommissionsmodell, so ist der abschließenden Beschlussfassung zu entnehmen, zeichne sich durch eine intensive Beteiligung der Tarifvertragsparteien aus und die sorgfältige zeitnahe Untersuchung des Arbeitsmarkts. Ganz neu ist also auch der Vorstoß der CDU nicht.
Wie sieht aber der rechtliche Rahmen für die jetzt angedachte Lohnuntergrenze aus? Während bei einem klassischen gesetzlichen Mindestlohn die rechtlichen Grenzen enger gesteckt wären, besteht bei dem jetzt angedachten Modell durchaus mehr Spielraum.
Kein Eingriff in die Tarifautonomie
Der rechtliche Rahmen ist in Sachen Mindestlohn selbst durchaus weit gefasst. Im Grunde bietet das BGB mit seinem Verbot des Lohnwuchers (§ 138 BGB) bereits eine Art Mindestlohngrenze. Allerdings greift diese Regelung nur in besonderen Ausnahmesituationen.
Daher rücken spezielle arbeitsrechtliche Regeln in den Fokus, allen voran das Tarifvertragsrecht. Vor allem die Kritiker sehen speziell die Tarifautonomie als tragende Säule der sozialen Marktwirtschaft in Gefahr. Der Begriff der Tarifautonomie besagt zunächst einmal nichts anderes, als dass die Tarifpartner, also die Gewerkschaften einerseits und die Arbeitgeber andererseits, eine tarifvertragliche Vereinbarung autonom aushandeln und abschließen, ohne dass Dritte hierauf Einfluss nehmen könnten.
Diese Autonomie wird durch Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt. Sie gilt aber nicht uneingeschränkt. Vielmehr muss sie, wenn erforderlich, mit anderen Belangen von Verfassungsrang, wie dem Sozialstaatsprinzip, in Übereinstimmung gebracht werden. Hier hat der Gesetzgeber durchaus Gestaltungsmöglichkeiten. Mit dem angedachten britischen Modell könnte er die Tarifautonomie wahren.
Allgemeinverbindliche Tarifverträge und andere Möglichkeiten
Nicht neu ist, dass eine gefundene tarifvertragliche Lösung einen erweiterten Anwendungsbereich erhalten kann. Das Arbeitsrecht selbst bietet die Möglichkeit, Tarifverträge für allgemeinverbindlich zu erklären. Der rechtliche Hebel dafür ist die Allgemeinverbindlicherklärung nach § 5 des Tarifvertragsgesetzes (TVG).
Sie bewirkt, dass die Rechtsnormen des Tarifvertrags in seinem Geltungsbereich auch die bisher nicht tarifgebundenen Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfassen. Das wird schon heute praktiziert, wenn auch zunehmend weniger. Ein rechtsverbindlicher Mindestlohn kann sich zudem aus dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz (AEntG) ergeben. Die Vorschrift des § 3 AEntG enthält auch eine Regelung zu tarifvertraglichen Arbeitsbedingungen.
In die Diskussion eingebracht wurde schließlich noch ein weiterer gesetzlicher Ansatz über das Mindestarbeitsbedingungsgesetz. Dieses 1952 verabschiedete und 2009 überarbeitete Relikt spielt in der Praxis zwar (noch) keine Rolle. Es erlaubt dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales aber, gemeinsam mit einem bei ihm gebildeten Fachausschuss Mindestarbeitsbedingungen festzusetzen. Dabei können auch Mindestlohne geregelt werden.
Der Teufel liegt im Detail
Es ist anzunehmen, dass der Mindestlohn kommen wird – in welcher Form auch immer. Aber nichts wird bekanntlich so heiß gegessen, wie es gekocht wird.
Vorschläge zum Mindestlohn rütteln nicht an den Grundfesten des Arbeitsrechts. Der Gesetzgeber hat schon jetzt einen gewissen Spielraum. Freilich kann jeder Vorschlag dabei im Detail auch Tücken bergen. Auch das ist aber nichts Ungewöhnliches.
Selbst der jetzt zur Diskussion stehende Vorschlag wirft Abgrenzungsfragen auf: Sollen die beabsichtigten Lohnuntergrenzen tatsächlich nur für Beschäftigte gelten, die in Bereichen ohne Tarifregelung arbeiten? Was, wenn es einen Tarifvertrag in der Branche gibt, dessen Löhne möglicherweise unter denen des Mindestlohnes liegen? Das politisch Gewollte rechtssicher umzusetzen, ist der zweite Schritt. Zunächst einmal gilt es, für den kommenden Weg politische Mehrheiten zu erstreiten.
Der Autor Prof. Dr. André Niedostadek lehrt Wirtschafts-, Arbeits- und Sozialrecht an der Hochschule Harz.
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André Niedostadek, Zankapfel Mindestlohn: . In: Legal Tribune Online, 10.11.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4773 (abgerufen am: 02.12.2024 )
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