Der Youtuber Marvin Wildhage hat sich durch Täuschung eine Neuanfertigung des Bundesverdienstkreuzes des verstorbenen Peter Lustig schicken lassen. Hat er sich damit strafbar gemacht?
Der Youtuber Marvin Wildhage hat sich einen Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland ("Bundesverdienstkreuz") verschafft. Er gerierte sich als Nachlassverwalter des verstorbenen Fernsehmoderators und Ordensträgers Peter Lustig und fragte nach einer Neuanfertigung wegen Diebstahls. Nach Versand eines Zeitungsartikels bekam er die Auszeichnung zugeschickt. Die Geschichte sahen sich in den ersten vier Tagen nach dem Upload knapp eine Millionen Menschen an – mit unterschiedlichsten Reaktionen.
Einige Zuschauer feiern seine Vorgehensweise, die die Schwächen des Systems offenlege. Demgegenüber findet sich in den Kommentarspalten zu den Medienberichten auch negative Kritik: Wildhage diskreditiere das Bundesverdienstkreuz in einer Weise, die strafrechtliche Konsequenzen verlange. Wer also ist dieser Youtuber und hat er die "rote Linie" zum Strafrecht überschritten?
Wer ist dieser Youtuber?
Der 28-jährige Wildhage ist bereits mehrfach mit Aktionen aufgefallen, die auch strafrechtliche Folgen hatten: 2020 hat er sich etwa mittels einer gefälschten Dissertationsurkunde einen Doktortitel in den Personalausweis eintragen lassen. Der Youtuber gab den Ausweis nach wenigen Tagen zurück und betonte in seinem Video, er habe nur auf die Überlastung der Berliner Behörden hinweisen wollen. Das Amtsgericht Tiergarten verurteilte ihn gleichwohl Anfang 2022 wegen mittelbarer Falschbeurkundung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen in Höhe von je 80 Euro.
Im Jahr 2024 gelangte Wildhage beim Eröffnungsspiel der Fußball-Europameisterschaft in München als Maskottchen verkleidet auf das Spielfeld. Die UEFA erteilte ihm Hausverbot und zeigte ihn an wegen Hausfriedensbruchs, Urkundenfälschung und Erschleichens von Leistungen. Dieses Verfahren ist nach Mitteilung der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen, weitere Ermittlungen laufen.
Youtuber Wildhages Weg zum Bundesverdienstkreuz
In dem Youtube-Video vom 27. April 2025 schildert Wildhage detailliert seine Vorgehensweise: Als er die Liste der Träger des Bundesverdienstkreuzes durchstöbert, fällt sein Blick auf den 2016 verstorbenen Kindheitshelden Peter Lustig. Lustig – u.a. Moderator und Hauptakteur der Kindersendung "Löwenzahn" – bekam 2007 vom damaligen Bundespräsidenten Horst Köhler das Bundesverdienstkreuz verliehen.
Mit einem ausgedachten Namen schreibt Wildhage als scheinbarer Geschäftsführer einer fiktiven Marketingagentur an den Hersteller des Bundesverdienstkreuzes (Steinhauer & Lück) und gibt sich als Nachlassverwalter von Peter Lustig aus. In dieser "Funktion" behauptet der Youtuber, dass der Orden gestohlen worden sei und bittet um Informationen für eine Ersatzanfertigung. Das Unternehmen nennt einen Netto-Preis von 149 Euro, verlangt aber zuvor die Verleihungsurkunde als Nachweis. Den kann Wildhage nicht erbringen und möchte die Urkunde auch nicht fälschen. Zu seinem Glück meldet sich der Hersteller kurze Zeit später proaktiv und teilt mit, dass auch ein Zeitungsartikel als Nachweis genüge. Wildhage findet einen Beitrag der Welt aus dem Jahr 2007 über die Verleihung an Peter Lustig. Er versendet ihn, bezahlt und erhält daraufhin ein Bundesverdienstkreuz zugeschickt.
In dem Video beteuert er mehrfach, wie schockiert er sei, wie falsch sich das anfühle und dass er den Orden zurückgeben werde, steckt ihn sich zuvor aber dennoch an. Dabei fragt Wildhage noch: "Soll ich mir das mal anlegen oder ist das irgendwie Amtsanmaßung oder so?"
Das Bundesverdienstkreuz und die Verleihungsurkunde
Das Bundesverdienstkreuz ist ein Orden nach § 3 Abs. 1 Gesetz über Titel, Orden und Ehrenzeichen (OrdenG), der vom Bundespräsidenten gestiftet und verliehen wird. Es handelt sich um die einzige allgemeine Verdienstauszeichnung und die höchste Anerkennung der Bundesrepublik Deutschland für Verdienste um das Gemeinwohl.
Die Geehrten erhalten zudem die Verleihungsurkunde. Diese verleiht die Berechtigung, den Orden zu tragen (§ 8 OrdenG), der Orden ist das physische Abzeichen (Ordenszeichen). Eigentum und Besitz an dem Orden verbleiben nach dem Tod des Geehrten bei den Erben (§ 13 Abs. 1 OrdenG). Verliehen wird diese höchstpersönliche Auszeichnung aber ausschließlich dem Inhaber, weshalb selbst die Erben das Bundesverdienstkreuz des Erblassers nicht tragen dürfen, § 15 OrdenG.
Kein Betrug ohne Vermögensschaden
Wildhagens Vorgehensweise trägt auf den ersten Blick die Züge einer Betrugsstrafbarkeit gem. § 263 Strafgesetzbuch (StGB). Die Mitarbeiter des Herstellerunternehmens hat er zweifellos über seine Rolle als Nachlassverwalter getäuscht und diese haben sich entsprechend geirrt. Schon die ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung der Vermögensverfügung ist aber zumindest diskutabel.
§ 14 Abs. 1 OrdenG untersagt die entgeltliche Überlassung von Orden und Ehrenzeichen an Privatpersonen ohne Berechtigungsnachweis (insb. die Verleihungsurkunde). Denkbar wäre also, dass es sich bei dem Bundesverdienstkreuz schon gar nicht um ein Objekt des Wirtschaftsverkehrs handelt, das den Schutz des § 263 StGB genießt. Die herrschende Lehre des ökonomisch-juristischen Vermögensbegriffs gewährt diesen Schutz aber sogar für den rechtswidrigen Besitz an Betäubungsmitteln. Der rechtmäßige Besitz an dem Orden muss daher erst recht tauglicher Gegenstand einer Vermögensverfügung sein können.
Als Gegenleistung zahlt Wildhage 149 Euro zzgl. Steuern und Versandkosten an den Hersteller. Das Unternehmen hat für seine Leistung den von ihm selbst festgelegten Preis erhalten. Es erleidet damit keinen Vermögensschaden, sodass eine Betrugsstrafbarkeit ausscheidet.
Ein etwaiger "Reputationsschaden" des Bundesverdienstkreuzes ist angesichts des Schutzguts des § 263 StGB (Vermögen) unbeachtlich.
Identitätstäuschung als "Marc Furmich"
Noch schneller abzulehnen ist die Urkundenfälschung durch den Versand der E-Mail unter fremdem Namen gem. § 267 StGB – der Tatbestand erfasst keine E-Mails. Denn eine Urkunde setzt eine unmittelbar visuell wahrnehmbare Gedankenerklärung voraus, an der es bei elektronisch gespeicherten Daten fehlt, die nur auf Bildschirmen sichtbar gemacht werden können. Daher gibt es den Auffangtatbestand des § 269 StGB, die Fälschung beweiserheblicher Daten.
Das Tatobjekt "Datenurkunde" deckt sich mit Ausnahme der Wahrnehmbarkeit im Wesentlichen mit dem Urkundenbegriff in § 267 StGB. Nach herrschender Definition ist eine Urkunde eine (verkörperte) menschliche Gedankenerklärung, die zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet und bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen lässt.
In der E-Mail-Korrespondenz gibt der Youtuber die rechtserhebliche Erklärung ab, als Nachlassverwalter von Peter Lustig ein Replikat des Bundesverdienstkreuzes erwerben zu wollen. Er unterzeichnet als die fiktive Person "Marc Furmich" und lässt das von ihm scheinbar geleitete Unternehmen "Lightbox Media" als Aussteller erkennen. Dass das genannte Unternehmen als solches nicht existiert, steht den niedrigen Anforderungen an die Beweiseignung nicht entgegen. Es liegt somit eine Datenurkunde vor, die tatsächlich Wildhage ausgestellt hat und damit unecht ist. Wildhage wollte Steinhauer & Lück zum Versand eines Bundesverdienstkreuzes bewegen und handelte deshalb auch zur Täuschung im Rechtsverkehr. Da der Youtuber auch vorsätzlich handelte, ist dieser Straftatbestand erfüllt.
Der Gebrauch der E-Mail als Datenurkunde nach § 269 Abs. 1 Var. 3 StGB durch das Absenden an den Hersteller ist gegenüber den anderen Tatbestandsvarianten konkurrenzrechtlich vorrangig.
Strafbarkeit durch das Anlegen des Ordens?
Wildhage äußert zwar verhaltene Zweifel an der Legalität seines Verhaltens, steckt sich den Orden aber dennoch vor laufender Kamera an die Brust. Sicherlich zu hoch gegriffen wäre diesbezüglich der Vorwurf der Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole (§ 90a StGB), zumal der Youtuber seinen Respekt gegenüber dem Bundesverdienstkreuz mehrfach zum Ausdruck bringt und die Tatbestandsvoraussetzungen sehr hoch sind. Zum Vergleich: In der Kommentarliteratur wird das Aufstellen der Bundesflagge in einem Misthaufen oder das Urinieren auf die Flagge als Beispiele genannt. Aus dem gleichen Grund ist die Schwelle der Strafbarkeit nach § 189 StGB, der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (hier: Peter Lustig), nicht erreicht.
Der von Wildhage selbst erwähnte Tatbestand der Amtsanmaßung (§ 132 StGB) ist ebenfalls nicht einschlägig, da das Tragen eines Bundesverdienstkreuzes keine amtliche Tätigkeit ist.
Passender ist der "Nachbartatbestand" des Missbrauchs von Titeln, Berufsbezeichnungen und Abzeichen (§ 132a StGB). Ratio der Vorschrift ist der Schutz vor Missbrauch des besonderen Vertrauens, das u.a. dem Träger einer Berufsbezeichnung wie "Arzt", "Psychotherapeut", "Rechtsanwalt" oder bestimmter amtlicher Kleidung entgegengebracht wird. Das Bundesverdienstkreuz garantiert allerdings keine besonderen Qualitäten oder Fähigkeiten, die seinen Trägern aufgrund der Verleihung zugeschrieben werden. Der Orden soll die Ausgezeichneten lediglich ehren und fällt daher nicht in den Schutzbereich des § 132a StGB.
Das unbefugte Tragen von Orden ist also weniger sanktionswürdig als der Missbrauch von Berufsbezeichnungen etc. und deshalb in § 15 Abs. 1 Nr. 1 OrdenG bloß als Ordnungswidrigkeit ausgestaltet. Die Norm soll verhindern, dass jemand den unzutreffenden Anschein erweckt, ihm sei ein Bundesverdienstkreuz verliehen worden. Dadurch könnte das Ansehen der Auszeichnung beeinträchtigt werden.
Die fehlende Befugnis von Wildhage zum Tragen ergibt sich aus § 8 OrdenG, wonach nur diejenigen die Auszeichnungen tragen dürfen, die tatsächlich mit diesen geehrt wurden und dies nachweisen können. Offen ist somit nur, ob er den Orden "getragen" hat. Dies mag auf den ersten Blick evident erscheinen, der Begriff ist aber unter Berücksichtigung des geschützten Rechtsguts auszulegen. Der Handelnde muss die Ehrung (konkludent) für sich in Anspruch nehmen. Wildhage äußert in dem Video indes mehrfach, dass ihm kein Orden verliehen wurde. Das Rechtsgut ist folglich genauso wenig tangiert wie bei einem Schauspieler, der ein Bundesverdienstkreuz auf der Bühne trägt.
Der Youtuber begeht also allein eine Straftat nach § 269 StGB, eine Fälschung beweiserheblicher Daten.
Das Verhalten des Herstellers
Es bleibt der Versand durch den Hersteller: Nach § 15 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 OrdenG handelt ordnungswidrig, wer Orden einer Privatperson entgeltlich überlässt, ohne sich einen ordnungsgemäßen Nachweis vorlegen zu lassen. Dafür genügt ein Zeitungsartikel keinesfalls, sondern nur die Verleihungsurkunde und ihre Äquivalente, die der Youtuber aber nicht präsentiert hat.
Eine Beteiligung von Wildhage an dieser Ordnungswidrigkeit (§ 14 Abs. 1 S. 1 OWiG) dürfte hingegen aus systematischen Gründen nicht in Betracht kommen. Der "unbefugte" Besitz von Orden stellt keine Ordnungswidrigkeit dar, sondern erst das Tragen. In dem Verbot des unbefugten Tragens ist daher eine abschließende Regelung für ordnungswidriges Handeln des Erwerbers zu sehen, die gegenüber der Beteiligung an der Überlassung Sperrwirkung entfaltet.
Wildhages Aktion enthält also erneut straf- und ordnungswidrige Dimensionen. Es wird vermutlich nicht seine letzte gewesen sein.
Der Autor Jonas Saathoff ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl von Prof. Dr. Thomas Rönnau für Strafrecht, Wirtschaftsstrafrecht und Strafprozessrecht an der Bucerius Law School in Hamburg.
Strafbarer Scherz?: . In: Legal Tribune Online, 10.05.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/57141 (abgerufen am: 22.05.2025 )
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