Schnelleres Bauen im Fokus von Schwarz-Rot: Wie ein "echter" Bau-Turbo zünden könnte

Gastbeitrag von Dr. Peter Neusüß und Prof. Dr. Reinhard Sparwasser

19.03.2025

Union und SPD haben angekündigt, die Bauwirtschaft anzukurbeln. Reicht es dafür aus, die auf der Strecke gebliebene Baurechtsnovelle der Ampel zu reaktivieren oder braucht es mehr? Peter Neusüß und Reinhard Sparwasser analysieren die Lage.

Laut Sondierungspapier vom 8. März wollen Union und SPD zur Ankurbelung des Wohnungsbaus Verfahren beschleunigen und Standards vereinfachen. Aber wie soll das konkret gelingen?  

Die Novelle des Baugesetzbuchs (BauGB) und der sowohl von der Ampel als auch von der CDU in den Bundestag eingebrachte "Bau-Turbo" setzten in der vergangenen Wahlperiode auf eine Verlagerung vom Planungs- in das Genehmigungsverfahren. Also auf ein Bauen ohne Bebauungsplan sowie auf weitere Ausnahmen von als lästig empfundenen Regeln.

Hintergrund dieser Stoßrichtung ist, dass die Vereinfachung von Planungsverfahren in der Vergangenheit häufig an EU-Recht scheiterte oder besser an der Auslegung von EU-Recht durch das Bundesverwaltungsgericht.

"Beschleunigung pur" nicht immer angemessen

Aber ist es überhaupt sinnvoll, das Bauen verstärkt planungsfrei zu ermöglichen?

Für die Genehmigungsverfahren sind die Länder zuständig, die derzeit Nachbarbeteiligungen beschränken, das Prüfungsprogramm teils drastisch reduzieren und kurze Verfahrensfristen durch eine Fiktion der Genehmigung bei Fristüberschreitung schärfen. Das Genehmigungsverfahren wird damit deutlich schlanker.  

"Beschleunigung pur" ist aber nicht immer angebracht: Größere Neubauprojekte werfen durchaus vielerlei Zuträglichkeitsfragen auf und verdienen Überlegung und Beteiligung, Ausgleich und Optimierung. Genehmigungsverfahren sind dazu kaum ausreichend, schon gar nicht, wenn sie ohne Nachbarbeteiligung durch eine Genehmigungsfiktion abgeschlossen werden. Denn die materiellen Anforderungen sind ohne vorgeschaltete Planung allenfalls in Teilen geringer und – ohne abschichtendes Planungsverfahren – vollständig im Genehmigungsverfahren zu bewältigen.  

Ein Bebauungsplan wird von den Gerichten auf Antrag eines auch nur geringfügig Betroffenen auf jegliche Fehler geprüft, eine Baugenehmigung hingegen nur auf Verletzung nachbarschützender Rechte der Kläger. Dies führt zu einem grundsätzlich sorgfältigen Bearbeiten aller Konflikte im Planungsverfahren und zu einer eher pragmatischen Handhabung im Baugenehmigungsverfahren, teilweise durch die Behörden und – bei fehlender Prüfung erst recht – durch die Bauherren.  

Vereinfachung statt Abschaffung materieller Anforderungen

Die Vorhabenzulassung auf Genehmigungsverfahren zu beschränken, reduziert also nur teilweise die materiellen Anforderungen und Ermittlungspflichten, jedenfalls aber die gerichtliche Überprüfung. Das führt schneller zu Rechtssicherheit, geht aber auf Kosten der Konfliktbewältigung und der Vorhabenqualität.

Es braucht daher differenziertere Lösungen und zwar nicht nur auf Verfahrensebene. Dazu gehört – neben überwiegend überzeugenden Änderungen in der bislang geplanten BauGB-Novelle – die Vereinfachung, nicht Abschaffung materieller Anforderungen, die auch im Genehmigungsverfahren zu beachten sind. Wie dies erfolgt, ist von der Politik zu entscheiden.  

Wo der Schuh drückt, kann jedenfalls aus der Praxis berichtet werden. Hier ein Überblick:

Harmonierung von Lärmvorschriften  

Lärmschutz: Bekanntlich wird Lärm je nach Quelle sehr unterschiedlich geregelt: Gewerbelärm in der Technische Anleitung (TA)-Lärm, Verkehrslärm in der 16. und Sportlärm in der 18. Bundesimmissionsschutzverordnung etc.  

Eine Harmonisierung oder Zusammenfassung dieser Regeln wird schon lange diskutiert, wäre wohl auch wünschenswert, ist allerdings ein größeres Projekt. Kurzfristiger Abhilfe könnte eine Änderung der TA-Lärm bringen.  

Die überkomplexe Experimentierklausel eines vorliegenden Referentenentwurfs der amtierenden Bundesregierung mit umfassenden Detailregelungen ist auch nur ein halber Schritt mit viel Ermittlungs- und Abwägungsaufwand und wieder entsprechender Rechtsunsicherheit. Einfacher wären zum Beispiel Harmonisierungen beim "hyperdifferenzierten" Schutzniveau: Warum ist dieses beim Geräuschpegel im reinen Wohngebiet fünf dB(A) höher als in einem allgemeinen Wohngebiet? Warum ist das Schutzniveau gegenüber Gewerbelärm höher als gegenüber Verkehrslärm?

Auch über Erleichterungen der Lärmvorsorge sollte nachgedacht werden. Bei Verkehrslärm ist passiver Lärmschutz längst zulässig, bei Gewerbelärm sind die Werte aber stets vor öffenbaren Fenstern einzuhalten, passiver Lärmschutz durch Lärmschutzfenster helfen also nicht. Dies macht gerade in dicht bebauten Regionen neue Baugebiete fast unmöglich. Die Praxis behilft sich derzeit mit teuren und meist scheußlichen vorgehängten Fassaden oder dem übergriffigen Verbot, öffenbare Fenster zu installieren.  

Artenschutz als Bremse  

Artenschutz: Der europäische Artenschutz stellt in der Praxis das größte Planungs- und Bauhindernis dar. Langdauernde Untersuchungen und das Erfordernis teurer projektnaher Ausgleichsflächen verlangsamen Projekte nicht nur Monate, sondern Jahre.  

Und auch für Arten, die schon in der näheren Umgebung gar nicht selten sind. Kurzfristig könnte eine Ergänzung der Ausnahmevorschrift helfen, in der klargestellt wird, dass der Wohnungsbau ein zwingender Grund des überwiegenden öffentlichen Interesses ist und bei ausreichendem Erhaltungszustand einer Population im Landschaftsraum keine Ersatzmaßnahmen erforderlich sind.

Mittelfristig verdient eine Übernahme der Regelungen zur Windkraft vertiefte Überlegung: Der Bauherr, regelmäßig ein artenschutzfachlicher Laie, ist nicht für die Schaffung von Ersatzhabitaten zuständig, sondern zahlt beispielsweise an die Kommune einen Ablösebeitrag, damit für die betroffene Art an geeigneter Stelle kostengünstiger und im Ergebnis viel effizienter Lebensräume geschaffen werden. Das ist auch auf europäischer Ebene zu diskutieren bzw. dort einzubringen.  

Ermittlungsaufwand begrenzen  

Ermittlungsaufwand: Große Unsicherheiten bestehen in der Praxis, welche Untersuchungen mit welcher Tiefe auf Planungsebene erforderlich sind und was dem Genehmigungsverfahren überlassen werden kann. Gerade bei einem Angebots-Bebauungsplan, bei dem noch gar nicht klar ist, wann und in welchem Umfang er umgesetzt wird, ist die Untersuchung auf Planungsebene häufig wenig ergiebig:  

Wie laut es tatsächlich ist, ändert sich bis Baubeginn (weil ein abschirmendes Gebäude entstand oder entfiel oder sonst sich Lärmquellen (z.B. Verkehr, Gewerbe, Sportanlagen) geändert haben; geschützte Arten sind bis zur Baugenehmigung zu- oder abgewandert.  

Der Aufwand ist oft immens: Teils müssen alte Baugenehmigungen bezüglich des Immissionsschutzes ausgewertet, LKW-Bewegungen erfasst und Betriebe zu ihren Erweiterungsabsichten befragt werden, teils mehrfache Begehungen zu verschiedenen Jahreszeiten stattfinden.  

Erleichterung schaffen könnte eine Begrenzung des Ermittlungsaufwands im Planungsverfahren, etwa auf vorhandene Daten – wie bei der Windkraft – oder auf pauschalierte Emissionswerte bezüglich des Lärms. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich, dass diese Belange auf Genehmigungsebene noch abschließend geprüft werden – vielleicht auch nicht immer im bisherigen Detaillierungsgrad.

Regelungen zur Unbeachtlichkeit von Fehlern nachschärfen

Abwägungs- und Ermittlungsfehler: Aufgrund der strengen Anforderungen der Rechtsprechung an die Ermittlung und die Abwägung aller öffentlichen und privaten Belange werden Umweltberichte, Gutachten und Begründungen immer länger und lange Tabellen erstellt, in denen sämtliche Einwendungen aufgeführt und beantwortet werden.  

Einwendungen werden damit abgearbeitet, führen aber regelmäßig nur dann zu Änderungen, wenn der Einwand zwingend zu berücksichtigen ist, sich also nicht "wegwägen" lässt. Weil auch engagierte Gemeinderäte nicht mehrere 100 Seiten lesen, bevor sie über einen Bebauungsplan pauschal abstimmen. Und weil die Entscheidung, den Bebauungsplan aufzustellen, ohnehin schon gefallen ist.  

Stellt ein Gericht einen Fehler fest, wird der Bebauungsplan regelmäßig unverändert geheilt. Hier kann darüber nachgedacht werden, die Regelungen über die Unbeachtlichkeit von Fehlern nachzuschärfen, die Abwägungstiefe zu reduzieren oder das Nachholen der Abwägung in einzelnen Punkten im Rahmen eines Gerichtsverfahrens, jedenfalls ohne neue langwierige Beteiligungsverfahren zu ermöglichen.  

Deutlich weniger Bebauungspläne

Beschleunigtes Verfahren: Die Rechtsprechung hat in vielen Urteilen und um den Preis vieler aufgehobener Bebauungspläne herausgearbeitet, unter welchen Umständen ein beschleunigtes Verfahren nach § 13a BauGB zulässig ist. Zudem hat das Bundesverwaltungsgericht § 13b BauGB, der Bebauungsplan für den Wohnungsbau im Außenbereich im beschleunigten Verfahren zuließ, ziemlich freihändig und EU-Recht  übererfüllend verworfen. Seitdem gibt es deutlich weniger neue Wohnbaubebauungspläne.

Als Reaktion auf diese Rechtsprechung wurde § 13b BauGB vollständig gestrichen, statt die Regelung europarechtskonform auszugestalten, einfach mit der Ergänzung, dass bei positiver Vorprüfung eine Umweltprüfung durchgeführt werden muss (vgl. DAV-Stellungnahme SN 64/23). Auch § 13a BauGB könnte auf den gesamten Innenbereich ausgedehnt werden. Ein beschleunigtes Planverfahren wäre auch für die Natur besser, als gerade im Außenbereich durch einen Bau-Turbo vollständig ohne Bebauungsplan zu bauen.

All diese Beispiele zeigen: Die zukünftige Koalition hätte die Gelegenheit, die BauGB-Novelle der Ampel von zu komplexen Ausnahmevorschriften und voreiligen Kahlschlägen zugleich zu befreien. Mögen sie genutzt werden.  

Die Autoren Dr. Peter Neusüß und Prof. Dr. Reinhard Sparwasser sind Partner und Fachanwälte für Verwaltungsrecht der Sozietät Sparwasser und Schmidt in Freiburg. Sie sind vielfältig, insbesondere beim VHW, als Dozenten tätig, Sparwasser ist zudem Honorarprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg. Beide Autoren waren als Mitglied bzw. ehemaliges Mitglied im Verwaltungsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltsvereins an den Fachgesprächen zur Vorbereitung der BauGB-Novelle und verschiedenen Stellungnahmen des DAV beteiligt. Der Beitrag gibt ausschließlich ihre persönliche Meinung wieder.

Zitiervorschlag

Schnelleres Bauen im Fokus von Schwarz-Rot: . In: Legal Tribune Online, 19.03.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56824 (abgerufen am: 19.04.2025 )

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