Die Universität Konstanz hat Veronica Saß, einer Tochter des früheren Bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber, den Doktortitel aberkannt. Der Fall ist ein Musterbeispiel heutiger Promotionskultur. Aber darf man darüber berichten?
Seit Mitte Februar überprüfte die Universität Konstanz anonyme Hinweise auf eine mutmaßlich plagiierte juristische Doktorarbeit von 2008 über das Wettbewerbsrecht im Mobilfunk. Autorin ist Veronica Saß, geborene Stoiber, Tochter des früheren bayerischen Ministerpräsidenten.
Wie im Fall Guttenberg stürzte sich alsbald eine ganze Internet-Community auf die Dissertation und dokumentiert die Kopien auf einer Webseite unter dem Titel "Vroniplag". Aufgelistet sind dutzende Seiten aus der insgesamt annähernd vierhundert Seiten starken Schrift. Vor diesem Hintergrund hat die Promotionskommission der Uni jetzt den Doktortitel aberkannt.
Die Hochschule hat jetzt erstmals den Namen der Doktorandin genannt. Sie sei zwar "keine Person des öffentlichen Interesses", aber trotzdem "unter großem öffentlichen Interesse" als Verfasserin eines Plagiats bekannt geworden. Einige große Medien hatten unter vollem Namen berichtet, andere (angeblich) wegen der Persönlichkeitsrechte nur anonym oder überhaupt nicht.
Tatsächlich aber war Saß schon länger ein Medienstar, mit Eltern auf dem Oktoberfest, als "Powerfrau" mit Kind und Promotion, der "Rechtsanwältin und Tochter des Ministerpräsidenten a.D." in einem Münchener Promi-Golfclub.
Prüfen in (allzu) gutem Glauben
"Niemand, der in der Wissenschaft etwas unter eigenem Namen veröffentlicht, hat ein Anrecht auf schonende Aufmerksamkeit der anderen", erklärt der Münchner Rechtsprofessor und Plagiatjäger Volker Rieble (www.wissenschaftsplagiat.de).
Saß' Doktorvater Georg Jochum geht schon aus persönlichem Interesse in die Offensive und gibt Einblick in die übliche Doktoranden-Prüfung: Darlegungen, die Saß nicht durch nähere Quellenangaben ausgewiesen hat, habe er im Zweifelsfalle gutgläubig, um nicht zu sagen naiv, für ihre eigenen Erkenntnisse aus der Berufserfahrung gehalten. Saß war nämlich schon fertige Anwältin in der Abteilung "Recht & Regulierung" beim Mobilfunkunternehmen O2 und promovierte nebenberuflich.
Gerade wegen ihres beruflichen Erfahrungswissens sei die Bewerberin für ihn interessant gewesen, so Jochum. Er ist selbst mit Beiträgen zum Recht der Kommunikationstechnologie hervorgetreten, über die wohl auch Saß den Weg zu ihm gefunden habe. Weil die Doktorandin selbst nicht in Konstanz studiert und ihre Staatsprüfung auch nicht in Baden-Württemberg abgelegt hat, holte Jochum für sie so gar sogar eine Sondergenehmigung der Fakultät ein.
Das Zweitgutachten übernahm Jochums eigener Lehrer Kay Hailbronner, ein renommierter Europarechtler. Er erklärt gegenüber LTO, dass er sich selber "mit dem Spezialthema nicht näher befasst" habe. Das sei auch unbedenklich, "wenn der Erstgutachter mit dem Kandidaten die Themenstellung und die Fertigstellung der Arbeit hinreichend bespricht".
Die eingeschränkte eigene Verantwortung unterstreicht im Falle Guttenberg praktisch genau so der Zweitgutachter Rudolf Streinz. "Da läuft etwas schief", bemerkt der Bonner Rechtsprofessor und Chef des bundesweiten Ombudsgremiums gegen wissenschaftliches Fehlverhalten, Wolfgang Löwer: "Wir müssen die Rolle des Zweiten neben dem Doktorvater neu einschärfen. Angesichts des Nahverhältnisses von Lehrer und Schüler ist die Kritik des Gutachters mit persönlicher Distanz besonders gefragt."
Karriereknick mit Sex oder Science
Wo geprüft wird, gibt es immer wieder Täuschungsversuche. Dass solche Affären überhaupt jenseits der Hochschule Wellen schlagen können, hängt aber nur vordergründig mit Promis zusammen.
Im Hintergrund glänzt der Doktortitel als bürgerliches Adelsprädikat mit respektabler Tradition aus dem 19. Jahrhundert. In Gesellschaften mit anderer Geschichte spielt der Namenszusatz "Dr." eine weitaus geringere Rolle, wie die New York Times jüngst in einem kritischen Kommentar aus Berlin herausstellte. So hatte sich etwa auch der spätere Nobelpreisträger Martin Luther King in seiner Doktorarbeit mit fremden Federn geschmückt, ohne deshalb am breiten Ansehen Schaden zu nehmen.
In den USA, so der Kommentator Michael Kimmelman, erleiden Promis im Sport oder auch auf dem Präsidentenstuhl wegen Sexgeschichten einen Karriereknick, in Deutschland wegen der akademischen Ehre. Der Unterschied ist nur historisch zu erklären.
Der Autor Hermann Horstkotte arbeitet als selbständiger Journalist mit Schwerpunkt Hochschulthemen in Bonn. Er ist zugleich Privatdozent an der Technischen Hochschule Aachen.
Wissenschaftsplagiat : . In: Legal Tribune Online, 11.05.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/3242 (abgerufen am: 15.10.2024 )
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