Nach einer populären Formel ist Winterreifenzeit von Oktober bis Ostern. Dennoch erwischt der Winter jedes Jahr viele Autofahrer eiskalt. Nach den üblen Unfallerfahrungen wegen falsch bereifter PKW wurde dann Ende 2010 die Winterreifenpflicht in der StVO verankert – für wen und wann genau diese Pflicht gilt, ist aber nach wie vor nicht ganz klar, meint Adolf Rebler.
Die Winterreifenpflicht in Deutschland gibt es mindestens schon seit 2006 - so zumindest dachten viele bei einem Blick in die vor dem 1. Dezember 2010 gültige Straßenverkehrsordnung (StVO). In deren § 2 Abs. 3a Sätze 1 und 2 fand sich nämlich folgenden Formulierung: "Bei Kraftfahrzeugen ist die Ausrüstung an die Wetterverhältnisse anzupassen. Hierzu gehören insbesondere eine geeignete Bereifung und Frostschutzmittel in der Scheibenwaschanlage."
Zudem war bei einem Verstoß gegen diese Regelung auch ein Bußgeld fällig. Nach der amtlichen Begründung vom 22. Dezember 2005 sollte "mit der ausdrücklichen Hervorhebung der bereits nach bisherigem Recht bestehenden Pflicht, die Ausrüstung eines Kraftfahrzeuges an die Wetterverhältnisse anzupassen", vor allem "dem bei extremen winterlichen Straßenverhältnissen auftretenden Straßenverhältnissen auftretenden Missstand begegnet werden, dass Kraftfahrzeuge mangels geeigneter Bereifung liegen bleiben und damit erhebliche Verkehrsbehinderungen verursachen." "Ausdrücklich klargestellt" wurde damit die Pflicht, bei plötzlich eintretenden winterlichen Wetterverhältnissen und unzureichender Winterausrüstung auf die Teilnahme am öffentlichen Straßenverkehr zu verzichten.
Im Gegensatz zu § 18 der "Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personennahverkehr" (BOKraft) verwendete die StVO aber nicht ausdrücklich den Begriff des "Winterreifens". Auch auf § 36 Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung und den dort verwendeten Begriff "M+S-Reifen" wurde nicht Bezug genommen.
OLG Oldenburg erklärte alte Regelung für verfassungswidrig
Doch wie es so ist im Leben - nicht alle teilen sich die gleiche Meinung. Vor allem das Oberlandesgericht (OLG) Oldenburg war so ganz anderer Auffassung, was die "Winterreifenpflicht" betraf. Hintergrund war der Fall eines Autofahrers, der im Februar 2009 mit Sommerreifen über eine Eisplatte geschlittert war und dabei ein Schaufenster eines Geschäftes zertrümmert hatte.
Nach dem Unfall bekam der Mann einen Bußgeldbescheid, weil er keine Winterreifen aufgezogen hatte. Auf seine Rechtsbeschwerde hin erklärte das OLG die Regelung in § 49 Abs. 1 Nr. 2 StVO, die ein Bußgeld für einen Verstoß gegen § 2 Abs. 3a StVO vorsah, für zu unbestimmt und damit verfassungswidrig. Eine "Winterreifenpflicht" konnte das Gericht hier nicht erkennen. Und was "geeignete Bereifung" sei, sei wohl Geschmacksfrage (Urt. v. 09.07.2010, Az. 2 SsRs 220/09).
Die Oldenburger Entscheidung sorgte für erhöhte Betriebsamkeit beim Bundesverkehrsministerium: Schon zum 1. Dezember 2010 trat eine Neufassung des § 2 Abs. 3a StVO in Kraft. Danach dürfen Kraftfahrzeuge bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte nur mit Reifen gefahren werden, welche die in Anhang II Nummer 2.2 der Richtlinie 92/23/EWG über Reifen von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhängern beschriebenen Eigenschaften erfüllen (M + S-Reifen). Bei LKW und Bussen genügt es, wenn Winterreifen nur auf den Antriebsachsen aufgezogen sind. Hier geht man davon aus, dass sich die Reifen von Nutzfahrzeugen wegen ihres hohen Anteils an Naturkautschuk – im Gegensatz zu Sommerreifen von PKW - von vornherein besser für den Ganzjahreseinsatz eignen.
Zweiräder, nur Winter, alle Straßen: ja oder nein?
Der Gesetzgeber hat damit seine Pflicht getan und die Winterreifenpflicht geregelt – so scheint es, aber nur auf den ersten Blick. Denn nach wie vor ist vieles gar nicht klar: § 2 Abs. 3a StVO nimmt Bezug auf die Richtlinie 92/23/EWG. Diese wiederum verweist hinsichtlich der Definition der "Fahrzeuge" auf die "Richtlinie 70/156/EWG des Rates vom 6. Februar 1970 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Betriebserlaubnis für Kraftfahrzeuge und Kraftfahrzeuganhänger".
Als Fahrzeuge im Sinne dieser letztgenannten Richtlinie gelten - mit Ausnahme von Schienenfahrzeugen sowie landwirtschaftlichen Zug - und Arbeitsmaschinen - alle zur Teilnahme am Straßenverkehr bestimmten Kraftfahrzeuge mit oder ohne Aufbau mit mindestens vier Rädern und einer bauartbedingten Höchstgeschwindigkeit von mehr als 25 km/h sowie ihre Anhänger. Von Zweirädern wie Motorräder oder Motorrollern beispielsweise ist hier überhaupt keine Rede. Nach Meinung des Bundesverkehrsministeriums sind diese Fahrzeuge von der "Winterreifenpflicht" aber sehr wohl betroffen.
Dazu kommt, dass die Regelung in § 2 Abs. 3a StVO nur bei Glatteis, Schneematsch oder Eisglätte gilt. Diese Voraussetzung kann sich aber allenfalls auf den "Belag" konkreter Straßen beziehen, nicht aber auf eine Jahreszeit und auch nicht auf alle Straßen. Ebenso ist es nach dem Wortlaut des Gesetzes nicht ausgeschlossen, auch während der Wintermonate bei trockener Fahrbahn mit Sommerreifen unterwegs zu sein. § 2 Abs. 3a StVO ist nämlich eine Verhaltens-, aber keine Ausrüstungsvorschrift. Sie gilt also nur dort, wo es tatsächlich rutschig und glatt ist, und das kann sich schon während einer Fahrt gravierend ändern. Dazu kommt, dass die Regelung eine kalendermäßig bestimmte Geltungsdauer nicht vorsieht. Trotz der Präzisierungsbemühungen des Verordnungsgebers werden die Gerichte beim Thema "Winterreifenpflicht" in Zukunft daher wohl noch so einiges klären müssen.
Der Autor Adolf Rebler ist Regierungsamtsrat in Regensburg und Autor zahlreicher Publikationen zum Straßenverkehrsrecht.
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Adolf Rebler, Winterreifen: . In: Legal Tribune Online, 06.12.2011 , https://www.lto.de/persistent/a_id/4978 (abgerufen am: 07.11.2024 )
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