Sollte man kennen: 5 wich­tige BVerfG-Ent­schei­dungen 2020

von Dr. Markus Sehl

22.12.2020

5/5: Bestandsdatenauskunft und eine verfassungsrechtliche Stunt-Einlage

Im Juli traf das BVerfG eine Entscheidung, die durchaus absehbar war – aber unangenehme Konsequenzen für ein Prestige-Projekt der Bundesjustizministerin hat. Die Karlsruher Richterinnen und Richter erklärten die staatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf persönliche Daten von Handy- und Internetnutzern zur Strafverfolgung und Terrorabwehr für zu weitgehend, und damit den für zahlreiche Sicherheitsgesetze wichtigen § 113 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) für verfassungswidrig (Beschl. v. 27.05.2020, Az. 1 BvR 1873/13 u.a.). Die TKG-Regelung und ihre Entsprechungen etwa in Gesetzen für die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt und die Nachrichtendienste verletzten das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung und das Telekommunikationsgeheimnis. 

Die Regelungen waren nach einem ersten Urteil des BVerfG von 2012 schon einmal überarbeitet worden. Mit dem aktuellen Beschluss des BVerfG ist nun klar, dass das reformierte Gesetz immer noch nicht den damals gestellten Anforderungen genügt. Die Karlsruher Richter bekräftigen in ihrer Entscheidung zwar, dass die Auskunft über Bestandsdaten grundsätzlich zulässig ist. Voraussetzung dafür müsse aber das Vorliegen einer konkreten Gefahr oder der Anfangsverdacht einer Straftat sein. IP-Adressen, die Rückschlüsse auf die Internetnutzung zulassen, genössen dabei sogar besonderen Schutz.

Auch das Prestige-Projekt von Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD), das sogenannte Gesetz gegen Hasskriminalität, setzt auf die Bestandsdatenauskunft. Und nach der Entscheidung des BVerfG war klar, dass der Gesetzgeber bei diesem Gesetz, grob zusammengefasst, die gleichen Fehler gemacht hat wie beim TKG. Und zwar so offensichtlich, dass der Bundespräsident das Gesetz wegen verfassungsrechtlicher Zweifel nicht ausfertigte.

Dem BMJV blieb nichts anderes übrig, als auf die Reparatur durch das für die Bestandsdatenauskunft zuständige Bundesinnenministerium zu warten. Das hat nun ein Reparaturgesetz vorgelegt, mit dem das Hatespeech-Gesetz geändert werden soll, obwohl es noch gar nicht in Kraft getreten ist. Auch das BMJV setzt offenbar darauf, dass der Bundespräsident dann beide Gesetze direkt nacheinander ausfertigt, sodass beide im selben Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden können. Eine regelrechte verfassungsrechtliche Stunt-Einlage.

Zitiervorschlag

Sollte man kennen: . In: Legal Tribune Online, 22.12.2020 , https://www.lto.de/persistent/a_id/43814 (abgerufen am: 08.10.2024 )

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