Wann ein Anbieter für Grabmale Hinterbliebene kontaktieren darf, ist nicht nur eine Frage der Pietät, sondern des Wettbewerbsrechts. Nach einer am Donnerstag verkündeten Entscheidung des Bundesgerichtshofs dürfen Steinmetze in den ersten zwei Wochen nach einem Todesfall keine Briefwerbung versenden. Der BGH sieht darin eine wettbewerbswidrige unzumutbare Belästigung.
Der Streuselkuchen auf dem Tisch ist noch nicht ganz eingetrocknet, die Verwandten sind abgereist, und die Todesanzeige über die "Beisetzung im engsten Familienkreis" ist gerade einmal einen Tag alt. Da erhält die Witwe den Brief eines Steinmetzes, der darüber informiert, dass er den passenden Grabstein für das gerade in Benutzung genommene Grab bereit halte.
Die Witwe ist empört. Sie empfindet es als unzumutbare Belästigung, während der Trauerzeit mit solch schnöder Werbung konfrontiert zu werden und übergibt die Sache an die Wettbewerbszentrale. Diese fordert von dem Unternehmer Unterlassung und weist darauf hin, dass nach ihrer Ansicht eine Wartezeit von vier Wochen nach dem Tod einzuhalten sei, bevor derartige Briefe versandt werden dürften. Der Steinmetz aber bleibt steinhart und findet nicht, dass sein Brief Gefühle der Hinterbliebenen verletzt. Der Fall geht also zu Gericht.
So oder so ähnlich mag sich der Sachverhalt abgespielt haben, den der Bundesgerichtshof (BGH) am vergangenen Donnerstag nun endgültig entschieden hat (Urt. v. 22.04.2010, Az. I ZR 29/09, noch nicht veröffentlicht). Er teilte die Meinung der klagenden Wettbewerbszentrale und stufte den Brief als unzulässige belästigende Werbung ein. Allerdings hielt der BGH deren Forderung nach einer Wartefrist von vier Wochen für überzogen: Lediglich zwei Wochen müsse abgewartet werden. Dies war auch die Auffassung des Oberlandesgerichts Frankfurt a.M., dessen Urteil der I. Zivilsenat damit bestätigte.
Besonderer Fall der Briefwerbung wegen Trauersituation
Obwohl eine genaue Bewertung der Entscheidung erst möglich sein wird, wenn die schriftlichen Entscheidungsgründe vorliegen, kann doch bereits jetzt gesagt werden, dass das Ergebnis einigermaßen hart ausgefallen ist.
Anders als bei "Cold Calls", also unerwünschter Werbung per Email oder Telefax, nimmt die Rechtsprechung nämlich seit jeher für die Briefwerbung eine eher liberale Haltung ein (BGH, GRUR 1973, 552, 553 – Briefwerbung; OLG Hamburg, NJW-RR 1989, 873). Dahinter steckt der Gedanke, dass die Privatsphäre des Empfängers geringer beeinträchtigt wird als bei anderen Werbeformen. Unter Abwägung mit den ebenfalls schützenswerten Interessen des Unternehmers wird dem Empfänger zugemutet, seine Post durchzusehen, diese zu prüfen und Werbung gegebenenfalls zu entsorgen.
Die aktuelle Entscheidung musste also von besonderen Umstände ausgehen, um trotzdem eine Wettbewerbswidrigkeit anzunehmen. Es spricht einiges dafür, dass der Bundesgerichtshof die Wertung des Berufungsgerichts geteilt hat, dass die besonderen Umstände in der Trauersituation und in der unmittelbaren Ansprache nur einen Tag nach Erscheinen der Todesanzeige zu sehen sind.
Typisierte Kerntrauerzeit trotz bestehenden Informationsbedürfnisses?
Aber ist diese Bewertung richtig? Dabei stellt sich schon die Frage, ob man überhaupt von einer typisierten "Kerntrauerzeit" von zwei Wochen ausgehen kann, wie es die Gerichte hier offensichtlich tun wollen. Während dieser Zeitraum für manche Trauerfälle sicherlich noch viel zu kurz bemessen sein mag, stellt er sich in einem Fall, in dem die ungeliebte Schwiegermutter verscheidet, als unnötig lang heraus.
Fraglich ist auch, ob die wirtschaftlichen Interessen des Unternehmers ausreichend Berücksichtigung finden. Werbung für Grabmale findet in aller Regel in Massenmedien nicht statt. Es gibt also ein Informationsbedürfnis - sowohl für den Unternehmer als auch für die Hinterbliebenen.
Da letztere die Marktteilnehmer nicht kennen, sind sie besonders empfänglich für Empfehlungen von dritter Seite und damit möglicherweise geneigt, den erstbesten Rat anzunehmen.
Traueranzeigen, die wie hier den Anlass des Werbeschreibens gegeben haben, werden in sehr vielen Fälle auf die Initiative des Bestattungsunternehmers hin geschaltet, der die Hinterbliebenen oft schon wenige Stunden nach dem Tod des Angehörigen besucht. Häufig wird dann versucht, "alle Formalitäten" möglichst rasch zu erledigen. Da man selbstverständlich auch gute Kontakte zu einem ortsansässigen Steinmetz hat, wird dessen Name gerne bei dieser Gelegenheit fallen gelassen. Hier setzt das Interesse des Grabmalverkäufers in unserem Fall an, der noch "dazwischen kommen" will, bevor der Wettbewerber zum Zuge kommt.
Ist die Berufsausübungsfreiheit des Steinmetzes also hinreichend berücksichtigt worden und darüber hinaus auch, dass es in vielen Fällen ein großes Informationsinteresse der Hinterbliebenen an derartiger Briefwerbung gibt? Wir werden dies bald lesen.
Der Autor Dr. Alexander von Bossel ist Partner im Bereich IP/IT einer internationalen Sozietät am Standort Köln.
Alexander von Bossel, Werbung eines Grabsteinunternehmers: . In: Legal Tribune Online, 26.04.2010 , https://www.lto.de/persistent/a_id/436 (abgerufen am: 04.10.2024 )
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