War der Welfenschatz Gegenstand eines NS-verfolgungsbedingten Zwangskaufs oder nicht? Dieser Streit dauert schon lange an. Jetzt soll eine Kommission erneut prüfen – doch die Stiftung Preußischer Kulturbesitz stellt sich quer.
Der sogenannte Welfenschatz ist eine Sammlung kunsthandwerklicher Gegenstände, vor allem Goldschmiedearbeiten, der 1935 von einem Konsortium von jüdischen Kunsthändler:innen verkauft worden ist. Heute befindet er sich im Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) und liegt im Berliner Kunstgewerbemuseum. Die Umstände des Verkaufs sind aber bis heute umstritten.
Zwar hatte ein 2014 erstelltes Gutachten der Beratenden Kommission für NS-Raubkunst festgestellt, dass der Verkauf nicht als verfolgungsbedingte Veräußerung einzuordnen sei. Inzwischen sind aber neue Dokumente aufgetaucht, auf deren Grundlage die Kommission die Verkaufsumstände erneut prüfen soll. Gestritten wird aktuell darüber, ob und wie die Beratende Kommission sich den Fall noch einmal vornehmen soll.
Verhindert wurde die erneute Prüfung bisher durch die Stiftung, die der Meinung ist, es müssten zunächst Fragen zur Berechtigung einzelner Anspruchsteller:innen geklärt werden. Anders sieht das die Beratende Kommission und ihr Vorsitzender Professor Hans-Jürgen Papier, ehemaliger Präsident des Bundesverfassungsgerichts: Er meint, die Stiftung müsse der Prüfung unverzüglich zustimmen.
Der Welfenschatz besteht heute noch aus 42 Kunstwerken, darunter kostbare Altaraufsätze, Schmuckkreuze und Schreine aus dem Braunschweiger Dom. Es handelt sich dabei um Goldschmiedearbeiten aus dem 11. bis 15. Jahrhundert, zuletzt wurde sein Wert auf 300 Millionen US-Dollar geschätzt.
Dubiose Verkaufsumstände
Ende der 1920er Jahre gehörte der Welfenschatz einer Gruppe jüdischer Kunsthändler:innen. 1935 verkauften sie ihn für 4,25 Millionen Reichsmark an die Dresdner Bank, stellvertretend für den Preußischen Staat. Nach dem Zweiten Weltkrieg ging er schließlich in den Besitz der Stiftung Preußischer Kulturbesitz über.
Schon 2008 wurden von Nachfahren der jüdischen Verkäufer:innen Ansprüche auf Restitution geltend gemacht. Sie riefen die Beratende Kommission NS-Raubkunst an, deren Aufgabe es ist, bei Differenzen über die Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogener Kulturgüter zu vermitteln. Damals prüfte die Beratende Kommission und kam 2014 zur Auffassung: Der Verkauf sei nicht “verfolgungsbedingt” gewesen, es gebe keine Ansprüche der Nachfahren. Grund dafür sei, dass der Kaufpreis angemessen gewesen sein soll und die Verkäufer:innen diesen zur freien Verfügung erhalten hätten. Die Kommission betonte damals, dass, obwohl sie sich des schweren Schicksals der Kunsthändler:innen und ihrer Verfolgung in der NS-Zeit bewusst sei, keine Indizien vorlägen, “die darauf hindeuten, dass die Kunsthändler und ihre Geschäftspartner in dem (…) speziellen Fall in den Verhandlungen – etwa von Göring – unter Druck gesetzt worden sind”.
Aus den 2021 neu aufgetauchten Dokumenten könnte sich aber etwas anderes ergeben. Ihnen zufolge presste der NS-Staat einer der ehemaligen Besitzerinnen, einer jüdischen Frau namens Alice Koch, für die Erlaubnis zur Ausreise in die Schweiz eine sogenannte Reichsfluchtsteuer in Höhe von 1,155 Millionen Reichsmark ab, wie der Spiegel berichtete. Diese habe Alice Koch nur aus dem Verkauf des Welfenschatzes aufbringen können. Das lässt Zweifel an der Freiwilligkeit des Verkaufs aufkommen. Auf diese Dokumente stützt sich nun ein Nachfahre Kochs, der die Vorgänge erneut von der Kommission überprüfen lassen will.
Es gibt kein “Restitutionsgesetz”
Für solche Fälle gibt es die sogenannten Washingtoner Prinzipien von 1998, auf die sich die Parteien auch in diesem Streit beziehen. Die, rechtlich nicht bindende aber moralisch verpflichtende, Übereinkunft soll helfen, während der NS-Zeit beschlagnahmte Kunstwerke zu identifizieren, deren Voreigentümer:innen beziehungsweise ihre Erbinnen und Erben ausfindig zu machen und “gerechte und faire Lösungen zu finden”. Auch Deutschland hat sich bezugnehmend auf diese Prinzipien selbst verpflichtet, als Träger öffentlicher Einrichtungen darauf hinzuwirken, NS-verfolgungsbedingt entzogene Kulturgüter zurückzugeben.
Da die Selbstverpflichtung aber nicht rechtlich bindend ist, fordert beispielsweise Papier schon seit langem ein Restitutionsgesetz, das festlegt, unter welchen Voraussetzungen NS-Raubkunst an die Nachkommen der ehemaligen Eigentümer:innen herausgegeben werden muss. Zwar hatte das Bundesministerium für Justiz im April 2024 einen Entwurf für ein Gesetz zur Rückforderung von NS-Raubkunst veröffentlicht, zu mehr kam es aber nicht mehr.
Will die Stiftung das Verfahren verschleppen?
Die Stiftung Preußisches Kulturgut betonte in einer Pressemitteilung, sie bekenne sich unmissverständlich zu den Washingtoner Prinzipien von 1998 und würde einer erneuten Befassung der Kommission zustimmen. Es müssten aber vorher noch Fragen unter anderem zu Berechtigung der einzelnen Anspruchsteller:innen geklärt werden. Die Stiftung sieht sich konkurrierenden Ansprüchen mehrerer Anspruchsteller:innen ausgesetzt und verweist auf die Verfahrensordnung der Kommission. Danach soll vor einer Prüfung durch die Kommission die Stiftung selbst die Berechtigung der Anspruchsteller:innen klären, was sie bisher noch nicht ausreichend tun konnte, so die SPK in einer Pressemitteilung.
Trotzdem lässt die Stiftung die Kommission nun seit neun Monaten warten, bereits im April letzten Jahres hatte sich der Nachfahre mit der Bitte, den Fall zu untersuchen, an die Kommission gewendet. Diese kann ihre Prüfung aber erst mit Zustimmung der SPK beginnen. Der Stiftung wurde daher eine Verzögerungstaktik und ein Hinhalten der Opferseite unterstellt.
Papier betont in einer Pressemitteilung der Kommission, dass die Stiftung verpflichtet sei, einer Anrufung der Kommission durch die Opferseite unverzüglich zuzustimmen. Die Ansicht der SPK noch etwaige Berechtigungen prüfen zu müssen, weißt er entschieden zurück. “Die Prüfung der Zulässigkeit eines Verfahrens vor der Kommission ist Sache der Kommission”, heißt es in Mitteilung.
Experte ist zuversichtlich
Professor Peter Raue, der als Spezialist im Restitutionsrecht schon zahlreiche Verfahren auf beiden Seiten geführt hat, meint gegenüber LTO, dass Entschädigungsverfahren nach den Washingtoner Prinzipien inzwischen immer besser laufen: “Es gibt eigentlich kein öffentliches Museum, das sich weigert, eine Arbeit herauszugeben, wenn sie befangen ist.” Es müsse nun sensibel verhandelt werden, was seinem Eindruck nach aber inzwischen auch die Stiftung eingesehen habe. Er ist zuversichtlich, dass das Verfahren für die Beteiligten positiv verlaufen kann.
Streit zwischen Erben und Stiftung Preußischer Kulturbesitz: . In: Legal Tribune Online, 07.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56546 (abgerufen am: 17.03.2025 )
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