"Du bist doch Jurist!" Auch schon gefragt worden, ob Herr Range Recht hatte? Für alle, die nicht so recht wissen, wie unabhängig Staatsanwälte sind oder sein sollten, haben wir die wichtigsten Fakten. Und die Argumente. Für beide Seiten.
1. Staatsanwälte zählen in Deutschland nicht zur "unabhängigen Justiz".
- Staatsanwaltschaften sind kein Teil der Judikative, sondern gehören im Staatsaufbau der Exekutive an.
- Dennoch zählt das BVerfG sie zur Justiz. Sie sind in besonderem Maße Recht und Gesetz verpflichtet und organisatorisch den Gerichten zugeordnet, §§ 141, 144 Gerichtsverfassungsgesetz.
- Staatsanwälte sind nicht unabhängig, sondern haben Berichtspflichten zu ihren Vorgesetzten (Oberstaatsanwälte, Leitende Oberstaatsanwälte, Generalstaatsanwälte) und müssen deren Weisungen folgen.
- Nur Richtern wird in Art. 97 Grundgesetz (GG) Unabhängigkeit garantiert.
2) Es gibt sowohl einzelfallbezogene als auch generelle Anweisungen.
- Das sog. "externe" Weisungsrecht der jeweiligen Justizminister des Bundes und der Länder gegenüber den ihnen unterstellten Generalstaatsanwälten an den Oberlandesgerichten bzw. dem Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof (BGH) ist in § 147 Nr. 1 und 2 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) geregelt.
- Dieses "Recht der Aufsicht und Leitung" erlaubt sowohl rechtliche und tatsächliche Weisungen im Einzelfall, als auch generelle Anweisungen, also fallgruppenbezogene Weisungen und allgemeine Richtlinien, um die Einheitlichkeit der Strafverfolgung zu gewährleisten.
- Davon zu unterscheiden ist das Weisungsrecht innerhalb der Behörde, §§ 145, 146, 147 Nr. 3 GVG.
3) Das Weisungsrecht ist nicht grenzenlos.
- Auch der weisungsbefugte Justizminister ist an Recht und Gesetz gebunden und darf nicht aus politischer Willkür handeln.
- Erfolgt eine Weisung rechtswidrig und zu dem Zweck, eine Bestrafung zu vereiteln, so macht sich der Anweisende wegen Strafvereitelung im Amt strafbar, §§ 258 und § 258a des Strafgesetzbuchs (StGB). Erfolgt sie zu dem Zweck, Unschuldige strafrechtlich zu verfolgen, kommt eine Anklage wegen Verfolgung Unschuldiger, § 344 StGB, in Betracht.
- Bei der Staatsanwaltschaft Berlin liegen zur Zeit Strafanzeigen gegen Heiko Maas wegen Strafvereitelung im Amt vor. Die Behörde prüft diese, hat bislang aber keinen Anfangsverdacht bejaht und kein Ermittlungsverfahren eröffnet.
4) Die Staatsanwaltschaft war schon immer weisungsgebunden.
- Die Staatsanwaltschaft wurde erst Mitte des 19. Jahrhunderts "erfunden", um ein Gegengewicht zur damaligen Allmacht des Richters im Inquisitionsprozess zu schaffen.
- Damals wurde ihr die Aufgabe der Ermittlung der Strafsache sowie der Anklage übertragen.
- Das Gesetz bestimmte schon damals, dass Staatsanwälte in ihrer Amtsführung der Aufsicht des Justizministers unterworfen waren und dessen Anweisungen Folge zu leisten hatten.
5) Der Deutsche Richterbund, einige Länder und die Opposition sind für die Abschaffung des Weisungsrechts, der Anwaltverein dagegen, die Regierungsparteien enthalten sich.
Positionen der Fürsprecher:
- Die radikalste Lösung aus der juristischen Wissenschaft schlägt eine vollständige Abschaffung des externen Weisungsrechts vor. Dies könnte z.B. bewerkstelligt werden, indem die Staatsanwaltschaft durch eine Grundgesetzänderung gänzlich der Judikative zugeordnet und somit der parlamentarischen Kontrolle vollends entzogen wird.
- Zurückhaltender ist der Deutsche Richterbund (DRB), der 2014 auch einen Gesetzentwurf verfasst hat: Er will nicht das allgemeine Weisungsrecht der Justizminister, wohl aber das Weisungsrecht in Einzelfällen weitestgehend abschaffen und durch die Möglichkeit eines eigenständigen Klageerzwingungsverfahrens ersetzen.
- Auch die Oppositionsparteien FDP, Grüne, Linke, Piraten sowie einige Bundesländer plädieren für eine Abschaffung oder aber eine starke Einschränkung des Weisungsrechts.
Der wohl einflussreichste Vertreter der Gegenthese:
- Der Deutsche Anwaltverein.
Enthaltungen:
- Die Regierungsparteien
2/2: Pro Abschaffung des Weisungsrechts
1) Es besteht die Gefahr politischer Beeinflussung der Justiz und der Gefährdung der Neutralität der Staatsanwaltschaft.
- Anders als im anglo-amerikanischen "adversarial system" muss die Staatsanwaltschaft im deutschen Recht gemäß § 160 Abs. 2 Strafprozessordnung (StPO) sowohl Beweise für als auch gegen den Beschuldigten ermitteln. Mitunter bringt ihr dies die Bezeichnung als "die neutralste Behörde der Welt ein", was allerdings stets etwas augenzwinkernd gemeint ist, da der Schwerpunkt ihrer Arbeit gleichwohl auf der Strafverfolgung und nicht auf der Strafverteidigung liegt.
- Der DRB fasst seine Befürchtung folgendermaßen zusammen: "Bereits der böse Anschein, die Politik instrumentalisiere den Justizbereich für ihre Zwecke, ist geeignet, das Vertrauen in die Unvoreingenommenheit und Unabhängigkeit der Strafrechtspflege insgesamt zu untergraben."
2) Das Weisungsrecht widerspricht dem Gleichheitsgrundsatz.
- Insbesondere das einzelfallbezogene Weisungsrecht der Politik gegenüber der Staatsanwaltschaft könne dazu führen, dass aus politischen Gründen Ermittlungen gegen einzelne Personen blockiert oder forciert werden können.
- Es ist naheliegend, dass die Politik vor allem bei öffentlichkeitswirksamen Verfahren einschreitet, nicht hingegen bei unbekannten Angeklagten, obwohl hier die Gefahr unrechtmäßigen Handelns genauso groß ist.
- Diese Ungleichbehandlung widerspricht der Gleichheit aller vor dem Gesetz.
3) Das Weisungsrecht widerspricht dem Rechtsstaatsprinzip und dem Prinzip der Gewaltenteilung.
- Dieses Argument stammt vor allem von Seiten jener, die die Staatsanwaltschaft gern durch eine Grundgesetzänderung der Judikative zugeordnet sähen.
- Dann wäre ihre Weisungsunabhängigkeit verfassungsrechtlich geboten, weil die Exekutive, also die Minister, nicht über die Judikative bestimmen dürfen.
4) Das Weisungsrecht ist ein historisches Überbleibsel und heute überflüssig, was sich daran zeigt, dass es fast nie ausgeübt wird.
- Tatsächlich betonten auch die Justizminister immer wieder, dass sie ohnehin keine Weisungen erteilten – zumindest keine offiziellen. Auf Nachfrage konnten uns weder das Bundesjustizministerium noch der Generalbundesanwalt einen einzigen früheren Fall nennen, in dem eine formelle Weisung erteilt worden wäre.
- Manche folgern daraus, dass man dann auch einfach den nächsten Schritt gehen und das Weisungsrecht ganz abschaffen könne.
- Andere sehen das Risiko "unter der Hand" erteilter Weisungen bzw. vorauseilenden Gehorsams und fordern deshalb die Abschaffung.
Contra Abschaffung des Weisungsrechts
1) Das Weisungsrecht ist ein notwendiges Instrument der parlamentarischen Kontrolle der Exekutive und dient damit dem Demokratieprinzip.
- In einer klassischen Verwaltungsbehörde muss es für jeden Beamten eine ununterbrochene Weisungskette bis zum Parlament geben, damit sein Handeln demokratisch legitimiert ist.
- Das Weisungsrecht der Justizminister als Regierungsmitglieder und Parlamentarierer dient damit der parlamentarischen Kontrolle.
- Die Ungleichbehandlung zu den Richtern rechtfertigt sich daraus, dass Gerichtsverhandlungen grundsätzlich mündlich und öffentlich sind, während Ermittlungsverfahren im Geheimen stattfinden.
2) Die historisch gewachsene Gewaltenteilung dient dem Schutz der Bürger.
- Früher ermittelten die Gerichte, klagten an und entschieden anschließend über die Anklage.
- Erst im 19. Jahrhundert wurden die Anklage und die Ermittlung auf die Staatsanwaltschaften übertragen, um den Bürger zu schützen.
- Würde man – wie teilweise vorgeschlagen – die Staatsanwälte der Judikative zuordnen, so wäre dies ein historischer Rückschritt und die Bürger in höherem Maße der Gefahr justizieller Willkür ausgesetzt.
3) Die Zusammenarbeit der Staatsanwaltschaft mit Polizei und Verfassungsschutz muss kontrolliert werden.
- Diese verschiedenen Arme der Exekutive dürfen nicht zu eng zusammenarbeiten, weil auch hier Willkür zu Lasten des Bürgers droht.Die Staatsanwaltschaft ist die Herrin des Ermittlungsverfahrens, die Informationen von Polizei und ggf. Geheimdiensten anfordern kann. Gerade auf Grund dieser Machtstellung braucht sie eine Kontrollinstanz.
4) Es besteht die Möglichkeit, Fehlurteile und Justizirrtümer wieder neu aufzurollen.
- Der Gedanke hinter diesem Argument ist, dass niemand gerne Fehler zugibt – auch die Staatsanwaltschaft nicht.
- Einer Weisung hingegen muss sich die Behörde fügen.
- Die Öffentlichkeit und die Politik kann jedoch nur Druck auf Minister ausüben, Weisungen zu erteilen. Je unabhängiger die Behörde, desto weniger muss sie sich um die öffentliche Meinung kümmern.
- Ein prominentes Beispiel ist der Fall Mollath: Hier setzte der Bayerische Landtag 2013 einen Untersuchungsausschuss ein, der Licht in den Fall des siebeneinhalb Jahre in der Psychiatrie verschwundenen Gustl Mollath brachte. Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Gerichte hatten zuvor versagt.
Anne-Christine Herr, Unabhängige Justiz?: 13 Fakten für die Diskussion in der Kneipe – pro & contra . In: Legal Tribune Online, 08.08.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16548/ (abgerufen am: 25.04.2024 )
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