Der Verfassungsschutz darf den Forderungen nach der Überwachung von Parteien und Abgeordneten nicht sorglos nachgeben, sagt Florian Albrecht. Maßnahmen, die in demokratische Willensbildungsprozesse eingreifen, sollten gut überdacht sein.
Thomas Oppermann, der Fraktionsvorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, fordert dieser Tage, dass die Alternative für Deutschland (AfD) zumindest teilweise vom Verfassungsschutz unter Beobachtung gestellt werden solle. Entsprechendes hatte Vizekanzler Sigmar Gabriel bereits im Februar geäußert. Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Hans-Georg Maaßen, lehnt eine solche Beobachtung von AfD-Politikern jedoch ab. Aus Kreisen der AfD wird im Gegenzug eine Überwachung der Bundesregierung gefordert. Diese und vergleichbare Forderungen geben Anlass, daran zu erinnern, dass im demokratischen Rechtsstaat verfassungswidrige Bestrebungen in erster Linie durch den offenen Diskurs und nicht mittels staatlicher Eingriffsmaßnahmen abgewehrt werden. Das Grundgesetz vertraut auf die Fähigkeit der Bürger, sich mit Kritik an der Verfassung auseinander zu setzen und im Ergebnis rechtsstaatlich-demokratischen Argumenten den Vorzug zu geben.
Allerdings kann die freie Meinungsäußerung und -bildung nicht so weit gehen, dass die Demokratie die Voraussetzung für ihre eigene Beseitigung schafft. Die abwehrfähige Konzeption des deutschen Staatswesens lässt zu, dass zentrale Werte auch aktiv durch den Staat gesichert und verteidigt werden. Freilich stellt der oftmals im Geheimen agierende und in hierarchische Strukturen eingebettete Verfassungsschutz hierzu kein bedenkenlos einsetzbares Allheilmittel dar. Im Gegenteil weist er selbst ein großes Missbrauchspotential auf und kann sich schnell zu einem Herrschafts- und Unterdrückungsinstrument verwandeln. Grundsätzlich ist es daher erfreulich, wenn ein vom Bundesinnenminister eingesetzter Verfassungsschutzpräsident Sachlichkeit und Neutralität bei seiner Aufgabenwahrnehmung auch gegenüber dem politischen Gegner in Aussicht stellt.
Überdies sind dem Verfassungsschutz auf Bundesebene enge Grenzen gezogen. Eine offene oder ggf. auch verdeckte Überwachung von Abgeordneten und Parteien kommt dann in Betracht, wenn diese sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten. Hierunter versteht u.a. § 4 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Bestrebungen von Einzelnen oder von Personenmehrheiten, die auf eine Beseitigung dieser Ordnung gerichtet sind, können Anlass zur staatlichen Beobachtung und Analyse geben.
Eingriff in das freie Mandat erfordert kämpferische Aktivitäten
Besonders problematisch wird die staatliche Überwachungstätigkeit allerdings dann, wenn sie geeignet ist, demokratisch gewählte Abgeordnete oder am demokratischen Wettbewerb teilnehmende Parteien in ihrer Handlungsfreiheit zu beschränken. Das Bundesverfassungsgericht hat die Konfliktlage erkannt und insbesondere die Beobachtung von Abgeordneten nur unter strengen Auflagen gestattet.
Es stellt insoweit fest, dass die Beobachtung eines einzelnen Abgeordneten durch den Verfassungsschutz einen Eingriff in dessen durch Art. 38 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) geschütztes "freies Mandat" darstellt. Dieses soll u.a. gewährleisten, dass Abgeordnete eine vor staatlicher Beeinflussung, Abschreckung und Stigmatisierung geschützte Kommunikationsbeziehung mit den Bürgern aufbauen und frei von staatlicher Beobachtung, Beaufsichtigung und Kontrolle arbeiten können (vgl. BVerfG, Beschl. v. 17.09.2013, Az. 2 BvR 2436/10, Rn. 91).
Allerdings gelten für die Freiheit des Mandats die gleichen (verfassungsimmanenten) Schranken wie für die Meinungsbildung und –äußerung: Auch sie muss Beschränkungen hinnehmen, wenn andere Rechtsgüter von Verfassungsrang, etwa die freiheitlich demokratische Grundordnung, gefährdet werden. Im Rahmen der im Einzelfall gebotenen strengen Verhältnismäßigkeitsprüfung kommt eine offene Beobachtung von Abgeordneten durch den Verfassungsschutz etwa dann in Betracht, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass der Betroffene sein freies Mandat "zum Kampf gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung missbraucht oder diese aktiv und aggressiv bekämpft" (BVerfG, Beschl. v. 17.09.2013 – 2 BvR 2436/10, Rn. 121).
Das ist nicht schon dann der Fall, wenn Verfassungswerte kritisiert oder im Rahmen des demokratischen Prozesses verändert bzw. reformiert werden sollen. Erforderlich ist vielmehr ein unablässiges und planvolles Tätigwerden des Abgeordneten, mittels dessen die freiheitlich demokratische Grundordnung zersetzt oder eine Unordnung herbeigeführt werden soll, in der freiheitlich demokratische Grundsätze nicht mehr wirken können. Anders gesagt muss sich die Abgeordnetentätigkeit als Kampf gegen einen Feind und das von ihm getragene politische System darstellen.
Florian Albrecht, Wehrhafte Demokratie: . In: Legal Tribune Online, 27.06.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/19806 (abgerufen am: 03.12.2024 )
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