Am Sonntag ist es soweit. Um acht Uhr öffnen die Wahllokale, unmittelbar nach deren Schließung um 18 Uhr werden die ersten Hochrechnungen veröffentlicht. Im Vorfeld beantwortet LTO ein paar Fragen rund ums Wahlrecht: Welche Regelungen haben am Sonntag Premiere? Müssen Nichtwähler ein Bußgeld zahlen? Und dürfen Wahlcomputer eingesetzt werden?
Neues Wahlrecht
Am 22. September 2013 hat ein neues Wahlrecht Premiere. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte den Gesetzgeber mehrfach aufgefordert, endlich die Sache mit den Überhangmandaten verfassungskonform zu regeln. Überhangmandate werden vergeben, wenn eine Partei mehr Direktmandate durch Erststimmen in einem Bundesland erringt als ihr gemäß dem Zweitstimmenergebnis in diesem Bundesland zustehen würden.
Zuletzt monierte Karlsruhe zum einen, dass Überhangmandate mit einiger Wahrscheinlichkeit zu einer erheblichen Verzerrung der Mehrheitsverhältnisse im Bundestag führen. Zum anderen bemängelte das Gericht, dass ein Zuwachs an Zweitstimmen für eine Partei zu einem Verlust an Mandaten oder umgekehrt ein Verlust an Zweitstimmen zu einem Gewinn an Mandaten führen können.
Im Mai trat nun ein neues Wahlrecht in Kraft, das diesem Urteil Rechnung tragen soll. Kritiker befürchten vor allem, dass sich der Bundestag stark vergrößern könnte, weil Überhangmandate nun vollständig ausgeglichen werden, indem den übrigen Parteien solange weitere Mandate zugeteilt werden, bis der Proporz nach dem Zweitstimmenergebnis wieder hergestellt ist.
Wahlberechtigung
Nicht jeder darf wählen. Man muss nicht nur volljähriger Deutscher sein, sondern auch seit mindestens drei Monaten in Deutschland wohnen, Art. 38 Abs. 2 Grundgesetz (GG), § 12 Abs. 1 Bundeswahlgesetz (BWahlG). Einschränkungen bestehen zudem bei Deutschen, deren dauerhafter Wohnsitz im Ausland liegt (Auslandsdeutschen).
Wahlalter
Zunächst zum Wahlalter: Früher durfte man erst ab 21 Jahren wählen. 1970 setzte der Gesetzgeber das Wahlalter auf 18 herab, Art. 38 Abs. 2 GG. Es gibt immer wieder Bestrebungen, das Alter für das aktive Wahlrecht noch weiter zu senken, auf 16 Jahre. Auf Landes- und Kommunalebene ist das teilweise bereits geschehen. Für die Bundestagswahl konnte sich der Vorschlag jedoch bisher nicht durchsetzen. Gegen eine Absenkung des Wahlalters wird die mangelnde Fähigkeit zum Durchschauen und Verstehen politischer Prozesse angeführt.
Auslandsdeutsche
Die alte Fassung des § 12 Abs. 2 S. 1 BWahlG gewährte Auslandsdeutschen nur dann ein Wahlrecht, wenn diese irgendwann einmal für drei Monate in Deutschland gelebt hatten. Im August 2012 stellte das BVerfG fest, dass diese Vorschrift gegen die Allgemeinheit der Wahl verstößt und mit Art. 38 GG unvereinbar ist. Die Karlsruher Richter wichen damit von ihrer bisherigen Rechtsprechung ab, weil die Anknüpfung des Wahlrechts an einen bestehenden oder nur wenige Jahre zurückliegenden dreimonatigen Wohnsitz oder Aufenthalt in Deutschland durch die Entwicklung von Mobilität und Kommunikationstechnik an Plausibilität eingebüßt habe (Beschl. v. 04.07.2012, Az. 2 BvC 1/11 u.a.).
Daraufhin änderte der Gesetzgeber das Wahlrecht auch in diesem Punkt. Es darf nun nicht mehr länger als 25 Jahre her sein, dass der Auslandsdeutsche in der Bundesrepublik gelebt hat. Außerdem muss er während dieser Zeit mindestens 25 Jahre alt gewesen sein. Für Menschen, die noch nie auch nur drei Monate in Deutschland gelebt haben, gibt es eine weitere Ausnahme: Sie müssen eine persönliche Vertrautheit mit den politischen Verhältnissen in Deutschland nachweisen können und von ihnen betroffen sein.
Ausschluss vom Wahlrecht
Außerdem kann man sein Wahlrecht verlieren und zwar durch die Anordnung der Betreuung oder die Einweisung in die Psychiatrie, vgl. § 13 BWahlG. Auch ein Strafgericht kann einem Verurteilten für die Dauer von zwei bis zu fünf Jahren das Wahlrecht aberkennen, etwa wenn es um Delikte wie Friedens-, Hoch- oder Landesverrat, Wahlfälschung, Wählerbestechung oder Abgeordnetenbestechung geht, § 45 Abs. 5 Strafgesetzbuch (StGB).
Wahlpflicht
In Deutschland ist niemand verpflichtet, wählen zu gehen. Das ist nicht überall so. In Belgien, der Türkei oder Liechtenstein etwa muss mit einem Bußgeld rechnen, wer am Wahltag zu Hause bleibt. Gegen die Einführung einer Wahlpflicht in Deutschland führen manche Juristen die Verfassung an. Nach Art. 38 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz (GG) müssten die Wahlen "frei" sein: Das schließe jede Form von Zwang hinsichtlich der Stimmabgabe aus. Das sieht allerdings nicht jeder Verfassungsrechtler so.
Wählbarkeit
Anders als in manchen US-Bundesstaaten, können in Deutschland leider keine Katzen gewählt werden. Auch an die Wählbarkeit knüpft das BWahlG strenge Voraussetzungen, die denen für die Wahlberechtigung entsprechen. Früher konnte man erst mit 25 Jahren gewählt werden, mittlerweile liegt die Altersgrenze wie für das aktive Wahlrecht bei 18 Jahren, § 15 BWahlG.
Wählbar ist außerdem nur, wer auch selbst wählen darf. Außerdem kann man das passive Wahlrecht genauso wie das aktive Wahlrecht durch Richterspruch verlieren. Nach § 45 Abs. 1 StGB kann für die Dauer von fünf Jahren nicht mehr für eine Wahl kandidieren, wer wegen eines Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr verurteilt worden ist. Außerdem kann das Gericht dem Verurteilten für die Dauer von zwei bis zu fünf Jahren die Wählbarkeit aberkennen, wenn es etwa um Friedens-, Hoch- oder Landesverrat geht. Ebenso bei Delikten wie Wahlfälschung, Abgeordnetenbestechung, Subventionsbetrug oder die Bildung einer terroristischen Vereinigung.
Zur Wahl vorschlagen kann einen eine Partei. Diese muss jedoch, wenn sie im Bundes- oder einem Landtag seit deren letzter Wahl nicht ununterbrochen mit mindestens fünf Abgeordneten vertreten war, vom Wahlausschuss zugelassen werden. Erfolgreich gegen eine Nicht-Zulassung gewehrt hatte sich dieses Jahr nur die Vereinigung Deutsche Nationalversammlung, die letztlich aber doch nicht zur Wahl antritt.
Wahltermin
Der Bundespräsident legt in Abstimmung mit der Bundesregierung fest, wann gewählt wird, § 16 BWahlG. Das Grundgesetz gibt dabei den Zeitrahmen vor, Art. 39 Abs. 1 GG. Eine Neuwahl muss frühestens 46 und spätestens 48 Monate nach dem Beginn der laufenden Wahlperiode stattfinden. Vorgezogene Neuwahlen sind allerdings möglich, wenn der Bundestag vorzeitig aufgelöst wird, wie dies etwa in der letzten Legislaturperiode mit Gerhard Schröder als Kanzler der Fall war. Dann muss innerhalb von 60 Tagen gewählt werden. Der Wahltermin muss auf einen Sonn- oder Feiertag fallen und soll sich nicht mit den Hauptferienzeiten überschneiden.
Dieses Jahr gab es Diskussionen um den Wahltag. Die CSU wollte einen möglichst großen zeitlichen Abstand zwischen die bayerische Landtags- und die Bundestagswahl bringen, die SPD eine Kollision mit den Herbstferien in SPD-regierten Bundesländern verhindern.
Briefwahl
Wer am 22. September unterwegs ist, kann per Brief wählen, § 36 BWahlG. Einer besonderen Begründung bedarf es dafür nicht. Das war nicht immer so. Vor einer Reform von 2008 musste man etwa glaubhaft machen, dass man wichtige Gründe dafür hatte, sich nicht im Wahlbezirk aufzuhalten, den Weg zum Wahllokal wegen gesundheitlicher Gebrechen nicht schaffen würde oder kürzlich umgezogen ist. Das BVerfG hat die Gesetzesänderung erst vor kurzem in Bezug auf die Europawahl für verfassungsrechtlich unbedenklich erklärt. Sie trage der Mobilität der heutigen Gesellschaft Rechnung.
Wahlcomputer
Theoretisch können auch Wahlcomputer eingesetzt werden. § 35 BWahlG ermöglicht das. Das BVerfG erklärte jedoch die auf dieser Grundlage erlassene Bundeswahlgeräteverordnung im März 2009 für verfassungswidrig. Die bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag eingesetzten Wahlcomputer entsprächen nicht den Anforderungen des Grundgesetzes.
Die Karlsruher Richter setzen für den Einsatz von Wahlcomputern voraus, "dass die wesentlichen Schritte der Wahlhandlung und der Ergebnisermittlung vom Bürger zuverlässig und ohne besondere Sachkenntnis" überprüfbar sein müssen. Das gebiete der Grundsatz der Öffentlichkeit, der sich aus Art. 38 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergebe (Urt. v. 03.03.2009, Az. 2 BvC 3/07 u.a.). Den Bundestag lösten die Verfassungsrichter deshalb dann aber doch nicht gleich auf. Wäre vielleicht etwas chaotisch geworden und immerhin gab es ja nicht einmal Anzeichen für eine Manipulation der Wahlcomputer.
Genauso wie 2009 werden auch dieses Jahr keine Wahlcomputer eingesetzt, weil es noch keine Geräte gibt, die den Anforderungen des BVerfG gerecht würden.
Zwei Stimmen
Damit sind wir schon recht nah dran am eigentlichen Wahlvorgang. Jeder Wähler hat zwei Stimmen. Eine Erststimme für die Wahl eines Abgeordneten aus seinem Wahlkreis und eine Zweitstimme für die Wahl der Landesliste einer Partei, § 4 BWahlG.
Fünf-Prozent-Hürde
Wer es am Ende in den Bundestag schafft, darüber entscheidet nicht nur der Wähler, sondern auch das Wahlrecht. An der Fünf-Prozent-Hürde werden die meisten Parteien, die auf den Wahlzetteln stehen, scheitern. Für das Europaparlament erklärte das BVerfG eine solche Hürde 2011 für verfassungswidrig. Irgendwie sei das Europaparlament kein richtiges Parlament.
Wer sein Wissen rund um das Wahlrecht noch ein bisschen testen will, für den geht's hier weiter zum LTO-Wahlrechtsquiz.
cko/LTO-Redaktion
Wahlrecht – eine Übersicht: Zwei Stimmen, 34 Parteien . In: Legal Tribune Online, 16.09.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9565/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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