Wahlprogramme im Check: Was die Par­teien mit Justiz, Anwalt­schaft und Jura­stu­dium vor­haben

von Hasso Suliak

18.02.2025

Was erwartet Richter, Anwälte und Jurastudenten in der nächsten Legislatur? LTO hat die Wahlprogramme der Parteien gecheckt und nachgehakt. Ein Fazit: FDP und Grüne machen sich im Rechtsbereich die meisten Gedanken.

Dem Thema Justizpolitik geht es im zu Ende gehenden Bundestagswahlkampf wie so vielen anderen: Angesichts der dominanten Fragen rund um Migration und Wirtschaftskrise ist das Thema weitestgehend hinten rüber gefallen – und zwar nicht nur in den zahlreichen Talkshows oder bei den vielen Wahlkampfauftritten.  

Auch in den Wahlprogrammen einiger im Bundestag vertretener Parteien werden Fragen, die Gerichte und Rechtsanwälte betreffen, äußerst stiefmütterlich behandelt. So schafft es etwa die vor allem bei jungen Menschen aktuell boomende Linke in ihrem 60-seitigen Wahlprogramm, die dritte Gewalt im Staat – immerhin ein Korrektiv gegen Ungerechtigkeiten und staatliche Willkür – kein einziges Mal zu erwähnen. Gibt man den Suchbegriff "Justiz" ein, erzielt man im Wahlprogramm der Linken nicht einen Treffer.

Bei den Ampelparteien kommen Fragen zur Rechtspolitik im engeren Sinne zwar vor, allerdings in sehr unterschiedlicher Gewichtung. Ganz besonders am Herzen liegt offenbar den Grünen das Schicksal der Dritten Gewalt. "Die Unabhängigkeit der Justiz ist ein hohes Gut", heißt es im Programm der Ökopartei, in dem der Begriff "Justiz" immerhin 19-mal Erwähnung findet.  

Einigkeit bei Pakt für den Rechtstaat

Inhaltlich gibt es zwischen Grünen und SPD (Begriff "Justiz" findet sich im SPD-Programm fünfmal) Gemeinsamkeiten. Sollte eine der beiden Parteien demnächst wieder in Regierungsverantwortung stehen, dürfte die Neuauflage eines Paktes für den Rechtstaates ganz oben auf ihrer justizpolitischen Agenda stehen.  

"Neben den Sicherheitsbehörden wollen wir die Staatsanwaltschaften und (Straf-)Gerichte stärken. Die Justiz darf nicht zum Flaschenhals werden. Mit einem erneuten Pakt für den Rechtsstaat werden wir gemeinsam mit den Ländern die Justiz personell und materiell besser ausstatten", heißt es bei der SPD. Bei den Grünen klingt es ähnlich: "Mit einer Neuauflage des Pakts für den Rechtsstaat wollen wir gemeinsam mit den Bundesländern die Modernisierung unserer Justiz fortsetzen." Damit Vertrauen in den Rechtstaat entstehe und Recht effektiv durchgesetzt werden könne, brauche es "genügend Richter*innen und Staatsanwält*innen, gut ausgestattete Gerichte sowie eine entschiedene Digitalisierung der Justiz".  

Nach den Vorstellungen der Grünen sollen zudem die Nebeneinkünfte von Bundesrichtern – wie schon jetzt beim Bundesverfassungsgericht – auch bei allen anderen obersten Bundesgerichten veröffentlicht werden. Doch wie die Gerichte zudem vor Verfassungsfeinden geschützt werden sollen, bleibt bei den Grünen unkonkret. "Wir werden rechtsstaatliche Regelungen ergreifen, damit die Justiz vor Verfassungsfeind*innen geschützt ist." Welche das sind, wird nicht verraten.

Darüber hinaus erweist sich das SPD-Programm in puncto Justiz als einigermaßen dünn. Die Vorstellungen der Sozialdemokraten von einer modernen Justiz erschöpfen sich in einem Satz: "Wir wollen […] die Digitalisierung der Justiz mit bundesweit kompatiblen Systemen fortsetzen." Grüne und FDP dagegen gehen ins Detail und bringen beide auch das Thema KI ins Spiel.

Einsatz von KI in der Justiz

Bei der FDP heißt es: "Zu einem modernen Rechtsstaat gehören gut ausgestattete Gerichte und Staatsanwaltschaften. Dazu gehört auch, dass die Chancen der Künstlichen Intelligenz (KI) in der Justiz genutzt werden. Diese wollen wir konsequent ausloten, ohne dass KI richterliche Entscheidungen ersetzt. Dazu müssen gerichtliche Entscheidungen als Trainingsdaten zur Verfügung stehen. Wir stehen auch für eine umfassende Erprobung neuer Technologien. Wir setzen uns darüber hinaus für eine weitere Digitalisierung von Gerichten und Verfahrensrecht ein, etwa durch Online-Gerichtsverfahren. Auf diese Weise können Zivilrechtstreitigkeiten schneller, bürgernäher und kostengünstiger durchgeführt werden."  

Auch die Grünen setzten auf KI. Ihr Einsatz "als Unterstützung in der Justiz" soll weiter erforscht und entwickelt werden. Wie die FDP wollen auch die Grünen das Thema Online-Gerichtsverhandlungen vorantreiben: "Wir wollen ein deutschlandweites Onlineverfahren für Zivilprozesse, das medienbruchfrei von Klage bis Urteil arbeitet."

Die Rolle der (weisungsgebundenen) Staatsanwaltschaften sprechen von den demokratischen Parteien ausschließlich Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Programm an. Um die Unabhängigkeit der Justiz zu schützen, "werden wir das ministerielle Weisungsrecht an Staatsanwält*innen transparent ausgestalten", versprechen sie. Außerdem plädieren die Grünen dafür, zusammen mit den Ländern mehr Schwerpunktstaatsanwaltschaften schaffen, die sich auf komplexe Rechtsgebiete spezialisieren und den Einsatz nicht juristischer Fachleute unterstützen. "Wir machen Europa zu einem starken und gemeinsamen Raum des Rechts. Dafür stärken wir die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) und die Agentur der Europäischen Union für justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen (Eurojust) und harmonisieren Recht auf Basis hoher verfassungsrechtlicher Grundsätze."

FDP hält an Dokumentation der Hauptverhandlung fest

In puncto Strafprozess bleibt von den drei Parteien der Ex-Ampel die SPD nur oberflächlich: "Wir wollen die Strafprozessordnung auf Effektivität reformieren". Mehr Effizienz in der Strafprozessordnung also – das bedeutete in der Vergangenheit in erster Linie den Abbau von Verteidiger- und Beschuldigtenrechten. Zwar gibt auch die FDP in ihrem Wahlprogramm ein Bekenntnis für eine "starke Strafjustiz, die schnelle Verurteilungen von Straftätern gewährleistet und sich dabei auf das Wesentliche konzentriert", erteilt aber zugleich auch eine Absage an unreflektierte Strafverschärfungen: Ständige Ausweitungen des Strafrechts seien mit seinem Charakter als Ultima Ratio des Rechtsstaats nicht vereinbar. Und auch an einem liegengebliebenen Ampel-Vorhaben hält die FDP fest: "Wir wollen das Strafgesetzbuch systematisch überprüfen und überholte Straftatbestände anpassen oder streichen."  

Das umstrittene Thema "Dokumentation der Hauptverhandlung", die der damalige FDP-Justizminister Marco Buschmann im Ergebnis vergeblich in der letzten Wahlperiode vorangetrieben hatte, findet sich nur noch im Programm der Liberalen wieder: Die Gerichtsverhandlung in Strafprozessen soll künftig aufgezeichnet und die Aufzeichnung sodann automatisiert verschriftlicht werden. Außerdem fordert die FDP eine öffentlich einsehbare Datenbank für Gerichtsentscheidungen in anonymisierter Form.  

CDU/CSU sind für einen kurzen Prozess

Welche dieser Vorstellungen dann voraussichtlich mit der Union in einer möglichen Regierungskoalition umsetzbar wären, bleibt nach Durchsicht des rund 80-seitigen Wahlprogramms von CDU/CSU offen: Inhaltlich zusammenfinden würde man wohl beim Thema Pakt für den Rechtsstaat, den auch die Union will. "Wir brauchen eine bessere personelle Ausstattung unserer Gerichte, eine konkurrenzfähige Besoldung, einen Digitalisierungsschub und schnellere Gerichtsverfahren." Eine Entlastung des Personals sei vor allem mit Hilfe technischer Prozesse und durch die Unterstützung von KI möglich.  

Im Kapitel "Ja zu Recht und Ordnung" fordern CDU/CSU auch starke Sicherheitsbehörden, die "moderne Befugnisse für ihre Arbeit" bräuchten.  Welche das sein sollen, bleibt offen.  

Im Bereich Strafrecht dürfte es in einer Koalition aus Union mit einer oder zwei der ehemaligen Ampelparteien wohl am ehesten knirschen. Mit Straftätern will die Union laut ihrem Wahlprogramm kurzen Prozess machen: "Wer sich nicht an Recht und Gesetz hält, muss umgehend bestraft werden." Außerdem setzen CDU/CSU auf die Ausweitung von Erwachsenenstrafrecht: Künftig soll auf alle Heranwachsende (18 bis 21 Jahre) das allgemeine Strafrecht Anwendung finden, außerdem soll das Mindestalter für Strafmündigkeit überprüft werden. Kinder unter 14 Jahren sind bislang strafrechtlich nicht schuldfähig. "Es ist fraglich, ob diese Altersgrenze dem heutigen Reifegrad von Kindern noch angemessen ist." Gewissheit soll hier eine wissenschaftliche Untersuchung bringen.  

AfD will "Entpolitisierung der Justiz"

Und die anderen Oppositionsparteien? Die AfD widmet sich vergleichsweise breit der Rechtspolitik und fordert etwa eine "Entpolitisierung der Justiz". Die Einflussnahme der politischen Parteien auf die Ernennung von Richtern und Staatsanwälten müsse beendet werden. Die in Teilen rechtsextreme Partei verweist in ihrem Programm auf Vorschläge des Deutschen Richterbundes, der für die Selbstverwaltung der Justiz plädiert. "Wir unterstützen […] den Modellvorschlag des Deutschen Richterbundes, einen Justizwahlausschuss einzurichten. Wir fordern eine Besetzung nach spezieller Qualifikation, um so insbesondere die Verfassungsgerichte vor parteipolitischer Einflussnahme zu schützen." Auch die Weisungsgebundenheit der Staatsanwaltschaft wolle man abschaffen "und damit die Abhängigkeit von den Justizministerien beenden".

Weiter spricht sich die AfD für einen "effektiven Rechtsschutz der Bürger" aus. Auf LTO-Anfrage, was darunter zu verstehen ist, erläutert der rechtspolitische Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion Tobias Peterka: "Effektiver Rechtsschutz für den Bürger bedeutet, dass dieser seine begründeten Ansprüche in einem Verfahren zügig durchgesetzt bekommt, aber auch, dass er vor staatlichen Eingriffen in seine Rechte geschützt wird. Dies erstreckt sich durch alle Verfahren, aber insbesondere in verwaltungsgerichtlichen und zivilgerichtlichen Verfahren ist zu beobachten, dass sich Verfahren unglaublich lange hinziehen und Rechtsschutz teilweise für die Betroffenen zu spät kommt." Die StPO will die AfD grundlegend reformieren. Diese sei immer anwenderunfreundlicher geworden. "Verfahrensbeschleunigung, schnelle Ergreifung und Ingewahrsamnahme von gefährlichen Beschuldigten sowie eine massive Entlastung der Justiz müssen oberstes Ziel sein."

BSW: Polizei- und Sicherheitsbehörden nicht mit Bagatellen belasten

Das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) sieht in seinem gerade einmal 40 Seiten umfassenden Programm eine funktionierende Justiz als Voraussetzung für eine rechtsstaatlich verfasste Demokratie. "Unsere Justizbehörden, besonders in den Ländern, sind personell stark unterbesetzt, obwohl jedes Jahr die Zahl der Verfahren steigt. Das führt zu einer Überlastung des Personals und zu überlangen Verfahrensdauern, was Betroffene zu Recht unzufrieden macht. "Wir wollen deutlich mehr Personal in den Justizbehörden und eine Reduzierung der Verfahrenszahlen. Dies erreichen wir durch sinnvolle Reformen, besonders im Bereich des Strafrechts. Deshalb fordern wir eine grundlegende Reform der StPO."

Was das konkret bedeuten soll, erläutert BSW-Co-Vorsitzende und ehemalige Linken-Fraktionsvorsitzende Amira Mohamed Ali auf LTO-Anfrage: "Das BSW ist offen für den Einsatz neuer digitaler Technologien, die Strafbehörden in ihrer Arbeit unterstützen, unter der Voraussetzung, dass diese zweifelsfrei datenschutz- und bürgerrechtskonform eingesetzt werden." Polizei- und Sicherheitsbehörden, so die Rechtsanwältin, müssten bei der Verfolgung von Bagatellen entlastet werden, damit sie sich auf die Verfolgung von schweren Verbrechen konzentrieren könnten. "Manche Politiker beschäftigten ganze Staatsanwaltschaften damit, ihre Kritiker wegen harmloser Postings in den Sozialen Medien zu verfolgen und ziehen so Kapazitäten ab, die für Wichtigeres gebraucht werden."

Linke: Jährlich 50 Millionen Euro für die Digitalisierung

Die Linke begründet ihre Lücke zum Thema Justiz mit dem Zeitdruck beim Verfassen des Wahlprogramms. Die Partei habe sich deshalb dazu entschieden, sich auf bestimmte Schwerpunkte zu konzentrieren. "Leider sind unter anderem auch wichtige rechtspolitische Themen dieser Verkürzung zum Opfer gefallen", bedauert Rechtspolitikerin Clara Bünger auf LTO-Nachfrage. Aber auch die Linke will einen neuen Pakt für den Rechtsstaat, um die Modernisierung der deutschen Justiz voranzutreiben. "Die Justiz muss finanziell und personell wesentlich besser ausgestattet werden." Und um die Digitalisierung in der Justiz fortzusetzen, soll nach Auffassung der Linken das von der Bundesregierung für die Haushaltsjahre 2023 bis 2026 zugesagte Budget "auch in der 21. Legislaturperiode zur Verfügung stehen, also 50 Millionen Euro pro Jahr".  

Die audiovisuelle Dokumentation der strafrechtlichen Hauptverhandlung hält Bünger für dringend geboten, um falsche oder willkürliche Urteile wegen fehlerhafter oder ungenauer Mitschriften insbesondere von Zeugenaussagen zu vermeiden und um mehr Transparenz zu erreichen.

Kaum Aussagen zum anwaltlichen Berufsrecht

Relativ blank sind die Parteien beim Thema Anwaltsberuf – außer die Grünen und die FDP: "Wir schützen das Berufsgeheimnis von Anwältinnen und Anwälten sowie Notarinnen und Notaren. Offenbarungspflichten und der Zugriff auf Informationen, die dem Berufsgeheimnis unterliegen, dürfen nur auf der Grundlage strengster Vorgaben ermöglicht werden", heißt es bei den Liberalen.  

Auch von den Grünen kommt ein Bekenntnis: "Eine starke Anwaltschaft ist Fundament eines stabilen Rechtsstaats und der Bürger*innenrechte. Wir werden auch zukünftig sicherstellen, dass jeder Mensch, der in Haft genommen wird, anwaltlichen Beistand bekommt."

Juristenausbildung und Legal-Tech

Das Thema Juristenausbildung kommt in den Wahlprogrammen ebenfalls nur bei FDP und Grünen vor. Damit Rechtsschutz für alle offenstehe, seien niedrigschwellige Zugänge zur Justiz unabhängig vom Einkommen erforderlich, finden die Grünen. Es brauche eine attraktive juristische Ausbildung, offenbar, um für ausreichend juristischen Nachwuchs zu sorgen. "Die bisher schon eingeführten Reformen wie zum Beispiel den integrierten juristischen Bachelor unterstützen wir und schaffen einen bundesgesetzlichen Rahmen, der die Bedeutung der juristischen Ausbildung für die Resilienz des Rechtsstaats wie auch die Entwicklung der juristischen Berufe durch Legal Tech in den Blick nimmt."

Bei der FDP heißt es: "Um dem Fachkräftemangel auf dem juristischen Arbeitsmarkt entgegenzuwirken und die Funktionsfähigkeit des Rechtsstaats zu sichern, wollen wir die Qualität und Attraktivität der juristischen Ausbildung mit zeitgemäßen Reformen stärken." Auch die Liberalen greifen das Thema Legal-Tech auf: "Wir wollen den Rechtsrahmen für Legal-Tech-Unternehmen präzisieren und fordern klare gesetzliche Regelungen, die Legal-Tech-Unternehmen und insbesondere Anwältinnen und Anwälten sowie Notarinnen und Notaren Sicherheit geben und innovative Lösungen ermöglichen." 

Zitiervorschlag

Wahlprogramme im Check: . In: Legal Tribune Online, 18.02.2025 , https://www.lto.de/persistent/a_id/56619 (abgerufen am: 17.03.2025 )

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